Der zwei­te Obst­gar­ten

Sascha Lobo

Ei­gent­lich bin ich ge­ra­de dem Glück am Tag auf der Spur. Mei­ne ak­tu­el­le Theo­rie ist, dass zwei un­ter­schied­li­che Her­an­ge­hens­wei­sen Glück in­du­zie­ren kön­nen. Zum ei­nen der Glück­step­pich, also ein be­stän­di­ges Ge­fühl, fein ge­wo­ben aus vie­len gu­ten und schö­nen Din­gen, von de­nen man weiss oder glaubt zu wis­sen, dass sie mor­gen auch noch da sind. Zum an­de­ren ein Stak­ka­to von Glückspeaks. „Alt wie die Nacht, Du Arsch­na­se’ muss ich mir jetzt von den Kno­wing Peo­p­le an­hö­ren, aber ich wuss­te bis zur Gen­der-Vor­le­sung Som­mer­se­mes­ter 1998 „Li­te­ra­tur und Frau“ an der Frei­en Uni­ver­si­tät Ber­lin auch nicht, dass Shake­speare ei­gent­lich drei Les­ben wa­ren.

Mei­nen lös­li­chen Kaf­fee trin­ke ich aus ei­nem gros­sen Glas und das passt in die Beu­le der Hei­zungs­ab­de­ckung ne­ben mei­nem Schreib­tisch, so bleibt der Kaf­fee ganz lan­ge warm und das ist ja wohl nur geil. Noch dazu wur­de mei­ne Hei­zung wahr­schein­lich von Leu­ten ent­wor­fen, die die Um­welt has­sen, denn sie heizt so un­wahr­schein­lich schnell und gut, das kann nicht öko­lo­gisch sein. Aber man macht sie an und die Hit­ze schiesst ei­nem über die Haut, dass es krib­belt. Mei­ne Hei­zung. Im Win­ter.

Im Som­mer; zwi­schen den Kas­ta­ni­en­blät­tern blin­zelt die Son­ne hin­durch und ich blin­ze­le zu­rück, schaue run­ter, zwi­schen den Köpf­chen­stein­pflas­ter­stei­nen des Geh­wegs ist ein Amei­sen­auf­wurf, aber nein - eine Hum­mel klet­tert her­aus und es ist ein Hum­mel­auf­wurf! Ewi­ges Rät­sel Hum­mel, war­um gräbst Du Dich in die Erde, wo Du am höchs­ten Punkt der Kas­ta­nie Dein Nest bau­en könn­test? Rat­los, aber trun­ken vor Glück, man muss dann ste­hen blei­ben und wird un­si­cher in den Knien.

Jen­ni­fer. Wir ha­ben ver­sucht, Sex zu ma­chen, als wir sechs wa­ren. Ich wuss­te noch nicht, dass eine Erek­ti­on hilft und dass es um eine Rein-und-Raus-Be­we­gung geht. Trotz­dem su­per.

Die graue Hose, eine Jeans­ho­se, die ich in Rom ge­kauft habe. Ge­tra­gen Tag um Tag, bis sich eine stren­ge Kopf­no­te im Bou­quet kaum mehr leug­nen liess. Dann aus pu­rer Ho­sen­lie­be mit der Hand ge­wa­schen und auf dem Dach­bo­den, von meh­re­ren Fa­mi­li­en ge­nutzt, auf­ge­hängt. Ich habe die Hose ver­ges­sen und die Stra­fe war, dass sie nach zwei oder drei Wo­chen von lust- und sinn­lo­sem Her­um­ge­trock­ne ver­schwun­den war. Viel, viel spä­ter, eher Jah­re als Mo­na­te, muss ich ei­nen Ka­ter su­chen, auch auf dem Dach­bo­den, gehe um die Ecke, um die ich nie ging, weil ein­mal ein ske­let­tier­ter Pfer­de­schä­del an ei­nem Dach­bal­ken hing und auf ei­nem Hau­fen stau­bi­ger Stei­ne liegt kein Ka­ter, aber Müll und mei­ne Hose und ich muss nie­der­knie­en und ir­gend­je­man­dem dan­ken, und weil ge­ra­de nie­mand an­de­res da ist, neh­me ich halt Gott, so what, hier, Gott, ich glau­be nicht an Dich aber ge­nau jetzt möch­te ich Dir mei­ne Freu­den­trä­ne wid­men, wär­di­to­kee, ja, wa? War okay, kei­ne Be­schwer­den.

Frü­her, ganz früh so­gar, war­um spielt frü­her im­mer im Som­mer oder es liegt Schnee? Es war je­den­falls Som­mer, bei mei­ner Tan­te im Haus, mein On­kel ist Im­ker. Als Hob­by, ei­gent­lich Ar­chi­tekt, „Bie­nen be­frei­en“, sagt er mit sei­nem Au­gen­brau­en-Ge­sicht, die Hän­de stop­fen die Pfei­fe mit exo­ti­schem Frucht­ta­bak. Nachts ma­che ich ins Bett im Schlaf; gu­ter Trick, bis heu­te stolz drauf: Gross­flä­chig Oran­gen­saft über Bett und im gan­zen Zim­mer und schnell für die Un­ge­schickt­heit ent­schul­di­gen. Ir­ri­tier­ter Blick der Tan­te, aber sie ahnt nichts, und als mich eine von den Bie­nen sticht, ob­wohl sie Bir­ken­ho­nig sam­meln soll­te, darf ich ei­nen Obst­gar­ten von Ger­vais. Nur ei­nen, aber der war so gut, so gut, cre­mig und sah­nig und al­les, das gab es zu Hau­se nie.

- Darf ich noch ei­nen?
- Nein, man muss auch ver­zich­ten kön­nen!

Den zwei­ten klaue ich aus dem Kühl­schrank und esse ihn mit der zu­sam­men­ge­roll­ten Deck­fo­lie als Löf­fel­er­satz hin­ten im Gar­ten, ganz in der Nähe von dem Ort, wo mich die Bie­ne ge­sto­chen hat, als ich das Nach­bars­mäd­chen beim pin­keln in der Ho­cke be­ob­ach­tet habe. Der zwei­te Obst­gar­ten, was soll ich sa­gen, der zwei­te Obst­gar­ten, das ewi­ge Pa­ra­dies, nichts wird je her­an­rei­chen.