bil­dungs­fern­se­hen

felix schwenzel

ges­tern hab ich im fern­se­hen wie­der ein paar sa­chen ge­lernt. die letz­te sen­dung des „köl­ner treffs“ er­füll­te also qua­si den öf­fent­lich recht­li­chen bil­dungs­auf­trag.

1. ich er­tra­ge gund­run land­gre­be nicht
ir­gend­wie sieht sie ja ganz be­zau­bernd aus, die land­gre­be. so er­trug ich die ka­me­ra­schwenks die sie zeig­ten im lau­fe der sen­dung völ­lig pro­blem­los. al­ler­dings — und ich über­trei­be nicht — beim ers­ten satz aus ih­rem mund, muss­te ich so­fort vor­spu­len. ich fin­de das des­halb be­mer­kens­wert, weil ich sie als schau­spie­le­rin, bei­spiels­wei­se in „das merk­wür­di­ge ver­hal­ten ge­schlechts­rei­fer groß­städ­ter zur paa­rungs­zeit“ sehr gut aus­hielt. be­mer­kens­wert auch des­halb, weil ich selbst­ge­fäl­li­ges, hu­mor­lo­ses und wich­tig­tue­ri­sches rum­ge­re­de manch­mal durch­aus 5-10 mi­nu­ten aus­hal­te, zum bei­spiel bei gui­do cantz.

2. gui­do cantz ist nicht wit­zig
gui­do cantz scheint ganz aus­ser­or­dent­lich dis­zi­pli­niert und fleis­sig zu sein, ein ech­tes ar­beits­tier, ei­ner der seit bald zwan­zig jah­ren die im­mer­glei­chen aus­wen­dig ge­lern­ten poin­ten in bier­zel­ten und kar­ne­vals­sit­zun­gen ab­feu­ert, ei­ner der sich für har­te und stumpf­sin­ni­ge ar­beit nicht zu scha­de ist. die­se dis­zi­plin nö­tigt mir re­spekt ab, aber er ringt mir nicht ein ein­zi­ges mü­des lä­cheln ab.

3. lä­cheln kann schmer­zen
die ge­schwis­ter hof­mann, zwei schwä­bi­sche schwes­tern die ihr geld un­ter an­de­rem mit volks­mu­sik und lä­cheln ver­die­nen, se­hen aus, wie sich die mo­de­ra­to­ren in pri­vat­ra­di­os an­hö­ren: im­mer am lä­cheln und sich über ir­gend­was am freu­en. die schwes­tern ha­ben in der sen­dung 45 mi­nu­ten dau­er­ge­lä­chelt.

4. ich er­tra­ge bet­ti­na böt­tin­ger nicht
also ei­gent­lich er­tra­ge ich sie schon, aber eher mit der ei­gen­tüm­li­chen fas­zi­na­ti­on die mich beim be­trach­ten von über­fah­re­nen tie­ren er­greift. sie schafft es trotz ei­ner mit plat­ti­tü­den und be­trof­fen­heits­rhe­to­rik trie­fen­den ge­sprächs­füh­rung, mit tod­erns­tem ge­sicht und völ­li­ger ab­we­sen­heit von hu­mor, im­mer mal wie­der gar nicht mal so un­in­ter­es­san­tes ge­sprä­che hin­zu­be­kom­men. wirk­lich un­er­träg­lich war wie­der­um, als sie den köl­ner ober­bür­ger­meis­ter und ei­nen pfar­rer zum ein­ge­stürz­ten köl­ner stadt­ar­chiv be­frag­te. da wirk­te ihre mi­mik noch staats­tra­gen­der und mas­ken­haf­ter als die des ober­bür­ger­meis­ters. das muss man erst­mal hin­be­kom­men.

aber be­son­ders un­er­träg­lich ist ihre stolz vor­ge­tra­ge­ne igno­ranz.
da fragt die mo­de­ra­to­rin di­ver­ser fern­seh­sen­dun­gen, in de­nen pro­mi­nen­ten und we­ni­ger pro­mi­nen­ten teils sehr per­sön­li­che fra­gen ge­stellt wer­den, doch tat­säch­lich, wie man so ge­stört sein kön­ne, per­sön­li­ches im in­ter­net zu ver­öf­fent­li­chen. we­de­kind, die seit ei­ni­ger zeit bloggt, fragt sie:

sie schrei­ben per­sön­li­che din­ge, aber die adres­sa­ten ken­nen sie nicht per­sön­lich. ich per­sön­lich un­ter­hal­te mich […], sehr alt­mo­disch, lie­ber mit ner freun­din. was ist der sitt­li­che mehr­wert […], dass sie das [ge­gen­über an­ony­men men­schen] im in­ter­net tun? sie ken­nen die die es le­sen […] nicht.

fas­zi­nie­rend, wie man im fern­se­hen sit­zen kann und auf eine kar­rie­re zu­rück­blickt, die zum al­ler­gröss­ten teil dar­auf auf­baut, mög­lichst vie­len men­schen spa­nen­de per­sön­li­che ge­schich­ten vor der ka­me­ra, vor tau­sen­den an­ony­men zu­se­hern, aus der nase zu zie­hen. und wie man das, wenn es im iner­net ge­schieht, in eine fra­ge ver­packt, ver­ur­tei­len kann. aber wahr­schein­lich ist das gar kei­ne igno­ranz, son­dern ar­ro­ganz.

im­mer­hin ant­wor­te­te bea­te we­de­kind dar­auf ge­nau rich­tig, in­dem sie böt­tin­ger dar­auf hin­wies, dass das im jour­na­lis­mus ja nun lei­der fast im­mer so ist, dass man die adres­sa­ten von dem was man schreibt nicht per­sön­lich ken­nen wür­de.

5. blog­gen funk­tio­niert
bea­te we­de­kind wur­de un­ter an­de­rem als „voll­blut­jour­na­lis­tin“ vor­ge­stellt. was auch im­mer das be­deu­ten soll. es be­deu­tet wahr­schein­lich das glei­che wie „power­frau“, näm­lich gar nix. tat­sa­che ist, dass bea­te we­de­kind of­fen­bar ger­ne und viel zei­tun­gen liest und ein gros­ses mit­tei­lungs­be­dürf­nis hat. also hat sie an­ge­fan­gen ins in­ter­net zu schrei­ben. in der sen­dung er­fuhr man, dass sie dort ih­ren spei­se­plan ver­öf­fent­licht, ihre welt­sicht und teil­wei­se auch „per­sön­li­ches“. aus­ser­dem er­fuhr man dass sie das qua­si als hob­by täte, also nichts da­mit ver­dient. was ich wäh­rend der sen­dung sym­pa­thisch fand, war wie we­de­kind dar­stell­te was dar­an spass macht: das ver­öf­fent­li­chen und schrei­ben an sich, das tei­len von er­leb­tem und ge­lern­ten, sich dia­lo­gen öff­nen und die freu­de dar­an zu ha­ben, zu se­hen, dass es an­de­re (nicht alle) auch in­ter­es­siert was man so denkt oder tut. ich hat­te das ge­fühl, dass sie be­grif­fen hat­te, dass man, wenn man din­ge teilt, er­fah­run­gen, ge­füh­le, schei­tern auf­schreibt, mehr zu­rück­be­kommt als man rein­ge­steckt hat. also, dass sie die sog­wir­kung die „blog­gen“ er­zeugt oder er­zeu­gen kann, er­kannt hat.

wenn man sich dann aber ihr blog an­sieht, schüt­telt es ei­nen erst­mal. äs­the­tik ist frau we­de­kind of­fen­bar ein fremd­wort, da­für sind ihr be­grüs­sungs­for­meln und grüs­se ein gros­ses an­lie­gen: je­der ein­trag be­ginnt mit „Lie­be Freun­din­nen und Freun­de“ und en­det mit

Bes­te Grüs­se
Ihre Bea­te We­de­kind
Eure Bea­te

wirk­lich er­schüt­ternd sind ihre viel­fäl­ti­gen mei­nun­gen, hier die vom 14.03.2008:

Mei­ne Mei­nung? Nicht ein­mal die El­tern schei­nen ja an ihn her­an ge­kom­men zu sein. Mei­ne Mei­nung? Un­glaub­lich Mei­ne Mei­nung? Sau­ber! Gute Ar­beit Mei­ne Mei­nung? Eine durch und durch un­durch­sich­ti­ge Ge­schich­te. Gut, dass er sich äu­ßert. Mei­ne Mei­nung? Eine pri­ma Ak­ti­on Mei­ne Mei­nung? Welch bru­ta­le Par­al­lel­welt. Mei­ne Mei­nung? Fa­ta­ler Kreis­lauf Mei­ne Mei­nung? Flo­ri­an Gal­len­ber­gers ers­ter Spiel­film; für ei­nen Kurz­film hat er schon ei­nen Os­car be­kom­men. Haupt­dar­stel­ler Ul­rich Tu­kur: gran­dio­ser Schau­spie­ler Mei­ne Mei­nung? Die Köl­ner Ge­bäu­de sind wirk­lich spek­ta­ku­lär. Die Nach­bar­schaft hat den­noch un­ter ih­nen ge­lit­ten. Mei­ne Mei­nung? The­sen, die un­se­re Hilf­lo­sig­keit nur un­ter­strei­chen. Mei­ne Mei­nung? Das greift tat­säch­lich um sich. Mei­ne Mei­nung? Sie hat sich doch gut wie­der ge­fan­gen. Mei­ne Mei­nung? Sehr sehr trau­rig und voll­kom­men un­ver­ständ­lich. Mei­ne Mei­nung? Die ar­men Kin­der. Mei­ne Mei­nung? Eine der ent­wür­di­gends­ten Ges­ten auf der gan­zen Welt Mei­ne Mei­nung? In­ter­es­sant Mei­ne Mei­nung? Vom al­ten Wis­sen der He­xen und Hei­ler. Mei­ne Mei­nung? Da kommt der Ap­pe­tit von ganz al­lein. Mei­ne Mei­nung? Nur was für Schwin­del­freie.

mei­ne lieb­lings­mei­nung? ein­deu­tig das prä­gnan­te und dif­fe­ren­zier­te „Die ar­men Kin­der“!

trotz­dem. trotz all der ty­po­gra­fi­schen und sprach­li­chen schreck­lich­kei­ten, das blog von bea­te we­de­kind zeigt das gross­ar­ti­ge am blog­gen: je­der kann es. jour­na­lis­ten und man­che blog­fatz­kes fin­den das ganz schreck­lich, dass ein­fach je­der sei­ne mei­nung, sei­ne er­güs­se ver­öf­fent­li­chen kann (ob­wohl die jour­na­lis­ten und fatz­kes meis­ten das wort „dür­fen“ wäh­len). ich fin­de es gran­di­os. und es funk­tio­niert. na gut. bei mir per­sön­lich funk­tio­niert „WAS GIBT’S NEU­ES.... ? Von Bea­te We­de­kind, 57“ nicht, aber ir­gend­wo, bei ir­gend­wem, funk­tio­nierts. im prin­zip.