der wah­re geg­ner der SPD: die rea­li­tät

felix schwenzel

nach der wahl am sonn­tag wur­de mir klar, was das pro­blem der SPD ist. oder ge­nau­er, was das pro­blem von po­li­tik all­ge­mein ist. die SPD hat mas­si­ve wahr­neh­mungs­stö­run­gen.

man hör­te nach der wahl, wie die SPD ihre mas­si­ven ver­lus­te un­ter an­de­rem da­mit er­klärt, dass sie ihr wäh­ler­po­ten­zi­al nicht habe aus­schöp­fen kön­nen. manch­mal wird die­se blöd­sin­ni­ge aus­sa­ge auch so for­mu­liert: man habe die stamm­wäh­ler der SPD nicht mo­bi­li­sie­ren kön­nen. das ist in etwa so blöd­sin­nig wie wenn mi­cro­soft be­haup­ten wür­de, dass der zune sich nicht or­dent­lich ver­kauft, weil das mar­ke­ting nicht gut ge­nug war oder man nicht aus­rei­chend für den zune ge­wor­ben hät­te. fakt ist, dass nie­mand den zune kau­fen will, weil kaum je­mand glaubt, dass der zune ein gu­tes pro­dukt ist. der grund für die­se an­nah­me ist nicht man­geln­des mar­ke­ting oder op­ti­mie­rungs­wür­di­ge kom­mu­ni­ka­ti­on, son­dern weil der zune DRM-ver­seuch­ter, schlecht zu be­die­nen­der schrott ist. zu­mal nie­mand ei­ner fir­ma glaubt, die ihr „plays for sure“-DRM sys­tem nicht mal selbst be­nut­zen will, weil es zu kom­pli­ziert ist.

die par­al­le­le ist ein­fach zu er­ken­nen, mi­cro­soft kann wie­der­holt be­haup­ten, dass der zune ein tol­les, ein­fach zu be­die­nen­des und über­le­ge­ne­nes pro­dukt ist, wenn das pro­dukt aber nicht hält was mi­cro­soft ver­spricht, kauft es auch kei­ner. die SPD kann so viel ge­rech­tig­keit, wohl­stand und ar­beits­plät­ze ver­spre­chen wie sie will, der bü­ro­krat an der spit­ze kann sich so ein­fühl­sam, kunst­sin­nig und mensch­lich dar­stel­len wie er will, nur wählt nie­mand die SPD, der die SPD elf jah­re da­bei be­ob­ach­tet hat wie sie trotz ge­gen­tei­li­ger ver­spre­chen nichts ge­gen stei­gen­de ar­beits­lo­sen­zah­len un­ter­neh­men konn­te, ein mil­li­ar­den­teu­res bü­ro­kra­tie­mons­ter na­mens „bun­des­an­stalt für ar­beit“ in ein noch teu­re­res bü­ro­kra­tie­mons­ter um­wan­del­te und um­be­nann­te, wie sie bür­ger­rech­te ab­schaff­te und den po­li­zei­staat stärk­te.

um zu­rück zum wahr­neh­mungs­pro­blem zu kom­men: die SPD scheint nach elf jah­ren öf­fent­li­chem und exes­si­ven wein-kon­sums zu glau­ben, dass die men­schen da­von zu über­zeu­gen sei­en, die SPD stün­de nicht für wein son­dern für was­ser, weil sie das ein paar wo­chen lang im wahl­kampf wie­der­holt be­haup­tet: wir ste­hen für was­ser, die an­de­ren für wein und der wein ist im üb­ri­gen un­ser al­ler un­ter­gang. was kann das an­de­res sein als eine wahr­neh­mungs­stö­rung? die stam­wäh­ler oder po­ten­zi­el­len wäh­ler der SPD kri­ti­sie­ren seit jah­ren den ex­zes­si­ven wein­kon­sum der SPD, sie zeig­ten ih­ren miss­mut bei je­der ein­zel­nen wahl und die SPD mein­te nach je­der ab­wahl das sei eine kla­re er­mun­te­rung im all­tag wei­ter wein zu trin­ken und im wahl­kampf was­ser zu pre­di­gen?

im ernst, wie kann man jah­re­lang die pa­ro­le „auf nach nor­den“ aus­ge­ben, wäh­rend es aus dem un­ter­stüt­zer- und sym­pa­tis­an­ten-la­ger ruft „im sü­den ge­fällt es uns bes­ser“ und sich dann wun­dern, dass ei­nen nie­mand wählt, ob­wohl man meh­re­re wo­chen im wahl­kampf-bus nach nor­den schö­ne lie­der vom sü­den ge­sun­gen hat?

kann na­tür­lich auch sein, dass das gar kei­ne wahr­neh­mungs­stö­rung ist, son­dern hy­bris. oder eine über­schät­zung der ei­ge­nen rhe­to­ri­schen und kom­mu­ni­ka­ti­ven fä­hig­kei­ten. aber er­staun­lich fin­de ich es dann doch, dass man sich in der SPD über das wahl­de­sas­ter wun­dert und meint das jetzt ana­ly­sie­ren zu müs­sen. je­der mensch weiss doch, dass men­schen die man mit „tralafit­ti“-sprü­chen ver­al­bert oder mit wan­zen, bü­ro­kra­ten, wil­kür und po­li­zei droht oder mit un­halt­ba­ren ver­spre­chen ver­äp­pelt, ei­nem bei der stimm­ab­ga­be nicht un­be­dingt un­ter die arme grei­fen wol­len.

jah­re­lang hat die SPD mit der CDU wein ge­sof­fen, weil das not­wen­dig für das land ge­we­sen sei. aus­ser­dem habe man durch das weins­aufen im­mer­hin das schnaps­saufen ver­hin­dern kön­nen. wenn sich jetzt an­de­re mehr­hei­ten bil­den und plötz­lich an­de­re mit der CDU wein sau­fen kön­nen und wer­den, sei das to­tal schlecht. be­lei­digt wen­det man sich von den dum­köp­fen ab, die der SPD kein wort glaub­ten und die jetzt schon noch ihre schwarz-gel­be quit­tung be­kom­men wer­den.

hät­te die SPD auch nur ei­nen hauch rea­li­täts­sinn, hät­te sie mer­ken kön­nen, dass die men­schen un­zu­frie­den sind. nicht nur un­zu­frie­den mit der CDU oder der FDP oder der lin­ken oder den grü­nen, son­dern auch und vor al­lem mit der SPD. statt die­se un­zu­fri­den­heit mit kla­ren, of­fe­nen und ehr­li­chen wor­ten zu be­gen­gen, dach­te man in der SPD man kön­ne die un­zu­frie­den­heit im wahl­kampf auf die an­de­ren len­ken. die FDP neo­li­be­ral und an­ti­so­zi­al, die lin­ken schwät­zer, die das blaue vom him­mel ver­spre­chen, aber nichts hal­ten kön­nen, die CDU ir­gend­wie ein­fach doof und schäd­lich, al­ler­dings nicht so schäd­lich, dass man ncht wei­ter mit ih­nen an ei­nem strang zie­hen wol­le. kein ein­zi­ges selbst­kri­ti­sches wort habe ich im wahl­kampf von der SPD ge­hört. auch nach der wahl üb­ri­gens nicht, da hiess es dann man müs­se jetzt mal ana­ly­sie­ren wor­an es ge­le­gen ha­ben könn­te, dass man sei­ne wäh­ler nicht mo­bi­li­sie­ren konn­te. die höchs­te form der selbst­kri­tik zu der die SPD fä­hig zu sein scheint, ist die aus­sa­ge, jetzt zu ver­su­chen al­les bes­ser zu ma­chen.

was hin­dert die SPD dar­an of­fen und klar zu be­ken­nen, dass sie in den letz­ten elf jah­ren (auch) viel scheis­se ge­baut hat? war­um be­kennt sich die SPD nicht dazu, in der ar­beits­markt-po­li­tik ver­sagt zu ha­ben. war­um sagt nie­mand, wir ha­ben auch kei­ne ah­nung wie man mit die­ser wirt­schafts­kri­se um­ge­hen soll, wir ha­ben nur ver­sucht die lage zu sta­bi­li­sie­ren, ja, man habe auch ge­merkt, das die al­ten pa­tent­re­zep­te nicht mehr funk­tio­nie­ren. war­um kein kla­res be­kennt­nis zur stär­kung der bür­ger­rech­te? war­um über­lässt man jetzt der FDP die­ses feld, statt zu sa­gen: wir ha­ben uns über den tisch zie­hen las­sen, wir wa­ren hys­te­risch, der staat hat im pri­vat­le­ben der bür­ger nichts zu su­chen. statt selbst­kri­tik wird die SPD jetzt, wie im­mer, per­so­nal­kri­tik üben. die al­ten sind schuld, der mün­te, der frank-wal­ter, der schrö­der so­wie­so.

ich wün­sche mir eine SPD die auf­hört mit dem fin­ger auf an­geb­lich schul­di­ge zu zei­gen, die auf­hört die feh­ler im­mer bei den an­de­ren zu su­chen, bei den neo­li­be­ra­len, dem rech­ten SPD-flü­gel, der wirt­schaft, den ma­na­gern, der FDP, der pres­se oder gar den wäh­lern, die nicht be­grif­fen ha­ben wie irre so­zi­al und pa­tent die SPD ist. ich wün­sche mir eine SPD die selbst­kri­tisch ist, de­mü­tig und vor­wärts statt rück­wärts­ge­wandt, eine SPD die wie­der an das gute im men­schen glaubt und mehr bür­ger­rech­te, mehr frei­heit und we­ni­ger staat wa­gen möch­te, eine SPD die die zu­kunft nicht als be­dro­hung, son­dern als chan­ce sieht und die men­schen ernst nimmt und nicht für dep­pen hält, de­nen man die welt nur rich­tig er­klä­ren muss. eine SPD die ehr­lich zu ih­ren feh­lern und ih­rem schei­tern steht, die nie­der­la­gen nicht mit schlech­tem wahl­kampf oder feh­len­der mo­bi­li­sie­rung, son­dern mit schlech­tem re­gie­ren er­klärt.

ich glau­be es geht gar nicht so sehr um pro­gram­ma­ti­sche fra­gen, son­dern um die hal­tung. wenn die SPD endlch mehr auf­rich­tig­keit wa­gen wür­de, dann könn­te das auch wie­der was wer­den.

dass das mit der auf­rich­tig­keit, dem rea­li­täts­sinn und der SPD so schnell nichts wird scheint aber auch klar. gros­se tei­le der SPD glau­ben of­fen­bar tat­säch­lich, dass leu­te wie nah­les oder sig­mar ga­bri­el wähl­bar sind. das wer­den lan­ge op­po­si­ti­ons­zei­ten.