ix und die brand­eins

felix schwenzel

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mit­te juni war ich zu be­such in der brand­eins-re­dak­ti­on. nach­dem ich tho­mas ram­ge in ei­nem ar­ti­kel über ei­nen sei­ner ar­ti­kel re­la­tiv hef­tig an­ge­grif­fen hat­te und spä­ter dazu mit ga­brie­le fi­scher ein paar mails ge­wech­selt hat­te, lud sie mich zu ei­nem „streit­ge­spräch“ mit ram­ge in die re­dak­ti­on ein.

die re­dak­ti­on am speers­ort 1 ist ein biss­chen wie das heft selbst, ge­schmack­voll ge­stal­tet, viel (weiss)raum, schö­ne il­lus­tra­tio­nen und in­ter­es­san­te in­hal­te. ex­trem durch­ge­stylt und trotz­dem nicht prot­zig. wie auch beim art­di­rek­tor scheint die re­dak­ti­on auch beim ar­chi­tek­ten ein ziem­lich gu­tes händ­chen ge­habt zu ha­ben.

ga­brie­le fi­scher ist auch toll, freund­li­che, wa­che, neu­gie­ri­ge au­gen, gleich­zei­tig klei­ner aber auch grös­ser als ich sie mir vor­ge­stellt habe und ir­gend­wie — hört sich doof an, passt aber — fröh­lich.

nach­dem wir uns in ga­brie­le fi­schers büro ge­setzt hat­ten, be­merk­te ich, dass das streit­ge­spräch nicht nur als streit­ge­spräch ge­dacht war, son­dern dass ga­brie­le fi­scher „ir­gend­was“ dar­aus ma­chen woll­te, dass sie es als eine art in­ter­view ge­dacht hat­te und es auf­zeich­nen woll­te. hät­te ich das ge­ahnt, hät­te ich mich viel­leicht so­gar vor­be­rei­tet, statt ein­fach nur in der mit­tags­pau­se vom ho­me­of­fice mal eben in die brand­eins­re­dak­ti­on zu hüp­fen.

da tho­mas ram­ge et­was spät war, plau­der­ten wir erst noch ein biss­chen über ar­chi­tek­tur, die usm-hal­ler mö­bel die über­all in der re­dak­ti­on rum­stan­den und die noch aus den al­ten spie­gel-zei­ten stamm­ten, die hap­tik von epa­per auf dem ipad, das schrei­ben all­ge­mein, das blog­gen, le­ser­brie­fe und die brand­eins. mir kam beim beim plau­dern der ge­dan­ke, dass schrei­ben für mich eine art nach­zu­den­ken ist, ein werk­zeug, das ge­dan­ken die in mir ste­cken her­vor­zu­lo­cken und zu schär­fen ver­mag, aber im pro­zess des schrei­bens auch völ­lig neue ge­dan­ken und ideen her­vor­zu­brin­gen ver­mag. so un­speck­ta­ku­lär sich die­se er­kennt­nis jetzt in die­sem ar­ti­kel an­hört, hat sie sich wahr­schein­lich auch in ga­brie­le fi­schers büro an­ge­hört, als sie mei­nen kopf ver­liess, aber die ei­gent­li­che er­kennt­nis die dar­aus er­wuchs war eh eine ganz an­de­re. näm­lich wie gross­ar­tig und in­spi­rie­rend es ist, sich mit leu­ten zu un­ter­hal­ten die a) klü­ger als man selbst sind, b) neu­gie­rig sind und c) aus an­de­ren le­bens­be­rei­chen kom­men als die, in de­nen man selbst fest­steckt.

die­se, viel­leicht ein biss­chen pro­fa­ne er­kennt­nis ver­tief­te sich noch ein stück­chen, als dann tho­mas ram­ge kam und wir tat­säch­lich strit­ten. da merk­te ich, wie gross­ar­tig streit ist, wie in­spi­rie­rend mei­nungs­ver­schie­den­heit sein kann und wie wich­tig gute mo­de­ra­ti­on ist.

im lau­fe des ge­sprächs ka­men wir auf den ei­nen oder an­de­ren mir ganz neu­en ge­dan­ken und ent­wi­ckel­ten die eine oder an­de­re idee, die jetzt — in al­ler be­schei­den­heit — auch in die ak­tu­el­le brand­eins-aus­ga­be („Die Sehn­sucht nach dem Ech­ten“) ge­flos­sen sein dürf­te.

ein ge­dan­ke war bei­spiels­wei­se, die fra­ge, war­um es kaum un­rechts­be­wusst­sein bei leu­ten gibt, die il­le­gal fil­me, mu­sik­stü­cke oder an­de­re di­gi­ta­le schöp­fun­gen run­ter­la­den, tau­schen oder wei­ter­ver­tei­len. ein grund da­für ist mög­li­cher­wei­se der hohe abs­trak­ti­ons­grad die­ser di­gi­ta­len gü­ter. eine DVD ist nicht abs­trakt, son­dern ganz kon­kret, ding­lich, manch­mal so­gar wer­tig. eine .avi-da­tei ist viel we­ni­ger kon­kret, ich kann sie nicht in die hand neh­men, be­rüh­ren oder ins re­gal stel­len, mit der da­tei ver­bin­de ich kei­ne emo­ti­on, kein er­leb­nis. wenn ich ins kino gehe bin ich auch mit ei­nem abs­trak­ten, un­greif­ba­ren ding auf der lein­wand kon­fron­tiert, er­le­be aber mit dem gang ins kino, dem bei­na­he fei­er­li­chen ein­lass in pa­last­ar­ti­ge räu­me et­was be­son­de­res, neh­me an qua­si ri­tu­el­len hand­lun­gen teil (pop­corn kau­fen, wer­bung und eis­ver­käu­fer er­tra­gen). das er­leb­nis for­dert und be­schäf­tigt mei­nen gan­zen kör­per, ich rie­che pop­corn­duft, höre und sehe und rie­che vie­le men­schen. kurz, das kino ver­leiht dem film ei­nen wert der über den in­halt des films hin­aus­geht. ein ki­no­be­such lädt den sub­jek­tiv em­fun­de­nen wert des films auf. selbst ein be­such in der DVD­thek ist er­leb­nis­rei­cher und hap­ti­scher als ein dow­load. fil­me im kino oder aus der DVD­thek ge­win­nen ei­nen zu­sätz­li­chen, ge­fühl­ten wert. rein di­gi­ta­len pro­duk­ten fehlt so­et­was zum gros­sen teil.

das, dach­te ich so vor mich hin wäh­rend wir strit­ten, ist auch eins der gros­sen ver­säum­nis­se der un­ter­hal­tungs­in­dus­trie und der ver­le­ger, näm­lich dass sie es bis­her nicht ge­schafft ha­ben di­gi­ta­len gü­tern ei­nen hin­rei­chen­den, ge­fühl­ten wert zu ver­lei­hen. im ge­gen­teil. wenn ich ei­nen film le­gal her­un­ter­la­de, kann ich ihn nicht wie­der ver­kau­fen, weil ich kein pro­dukt er­wor­ben habe, son­dern eine li­zenz. schlim­mer noch, DRM und ähn­li­cher quatsch zer­stö­ren den letz­ten fühl­ba­ren wert den eine da­tei ha­ben kann — ich kann da­mit nicht ma­chen was ich will, sie nicht auf an­de­re ge­rä­te schie­ben oder se­hen, muss mich un­ter um­stän­den mit man­gel­haf­ter soft­ware rum­pla­gen die nach 5 jah­ren er­fah­rungs­ge­mäss nicht mehr funk­tio­niert.

all die vor­tei­le die din­ge ha­ben, ha­ben die meis­ten di­gi­ta­len wer­ke die ich le­gal er­wer­ben kann nicht, im ge­gen­teil — und trotz­dem er­war­tet die in­dus­trie, dass ich fast ge­nau­so­viel geld da­für be­zah­le, wie für ein ding.

bei ei­nem solch ho­hem abs­trak­ti­ons- und re­du­zie­rungs­grad, fällt es selbst gut­mei­nen­den und rechts­treu­en men­schen schwer ein un­rechts­be­wusst­sein ge­gen­über il­le­ga­len (aber prak­ti­ka­ble­ren) di­gi­ta­len ko­pien auf­zu­bau­en. oder an­ders­rum aus­ge­drückt, wie soll man sol­che di­gi­ta­len wer­ke mit wer­tig­keit as­so­zie­ren?

ich weiss nicht wie lan­ge wir ge­re­de­tet, ge­strit­ten und ar­gu­men­tiert ha­ben, aber aus dem mä­an­dern­den ge­spräch hat ga­brie­le fi­scher eine or­dent­li­che hal­be sei­te text ge­kne­tet, die in ein ziem­lich in­ter­es­san­tes in­ter­view mit dem jura-pro­fes­sor karl-ni­ko­laus pfei­fer ein­ge­bet­tet ist:

„De fac­to ist es Recht“
Der Blog­ger Fe­lix Schwen­zel (wir­res.net) über sei­ne Sicht der Ur­he­ber­rechts­de­bat­te.

„Ur­he­ber­recht ist et­was an­de­res als die Ver­wer­tung von Ur­he­ber­rech­ten.

Wenn kino.to mit den Pro­duk­ten an­de­rer Ur­he­ber Geld ver­dient, ist auch für mich der Punkt er­reicht, wo man ge­gen so was vor­ge­hen muss. Da ist nicht nur die Rechts­la­ge, son­dern auch das Rechts­emp­fin­den klar. Aber der Typ, der sich um­sonst ei­nen Film an­sieht — wear­um muss man den ver­fol­gen?

Das ist das alte Spiel der Un­ter­hal­tungs­in­dus­trie: Es wird im­mer so ge­tan, als wäre je­der Down­load auch gleich­zei­tig ein ver­lo­re­ner Kauf. Aber wenn die Leu­te nur kos­ten­los run­ter­la­den und es so­wie­so nicht ge­kauft hät­ten — was wäre dann der Ver­lust?

Bei Soft­ware, Mu­sik, bei al­len di­gi­ta­len Gü­tern geht es ei­gent­lich nicht mehr um eine Ware, son­dern um Li­zen­zen oder Nut­zungs­rech­te — und da ist man schnell in Sphä­ren, die kaum noch je­mand ver­steht. Wer liest sich bei iTu­nes tat­säch­lich die User-Agree­ments bis zum Ende durch? Das ist so abs­trakt, dass der Miss­brauch nach abs­trak­ter wird.

Na­tür­lich ist klar und für je­den Ju­ris­ten glas­klar, dass da Recht ge­bro­chen wird. Aber trotz­dem müs­sen wir uns fra­gen, wie wir in die al­ten Rechts­grund­sät­ze in die di­gi­ta­le Welt über­tra­gen.

Es geht nicht um das Ge­schäfts­mo­dell an sich, son­dern um die Fra­ge, ob bei der Durch­set­zung die­ser Ge­set­ze ein Kol­la­te­ral­scha­den ent­steht.

Ich habe kei­ne Ah­nung von Jura, ich habe nur Fra­gen. Zum Bei­spiel: Ich kau­fe bei Ama­zon eine DVD für 15 Euro — ich könn­te sie aber auch in der Bi­blio­thek für eine ge­rin­ge Mo­nats­ge­bühr aus­lei­hen. Alle Men­schen, be­son­ders In­tel­lek­tu­el­le, sa­gen, Bi­blio­the­ken sind toll, weil es da Gu­tes für ganz we­nig Geld gibt. Was ist dann so schlimm dar­an, es um­sonst her­un­ter­zu­la­den?

Wenn ich für ei­nen Down­load geld ha­ben will, muss ich mich fra­gen, wie ich das Pro­dukt für mei­nen Kun­den at­trak­tiv ma­chen kann. Statt­des­sen wird ei­nem je­der Kauf ver­lei­det, weil man nur eine Li­zenz kauft, die man nicht ver­kau­fen oder ver­lei­hen darf. Es wird also noch mehr abs­tra­hiert, statt das Pro­dukt zu kon­kre­ti­sie­ren.

Stimmt schon, es gibt kein Un­rechts­be­wusst­sein. Aber es gibt auch kein Be­mü­hen eins zu schaf­fen.

Auf der ju­ris­ti­schen Ebe­ne, kei­ne Fra­ge, gibt es ei­nen Un­ter­schied. Auf der Ebe­ne des ge­sun­den Men­schen­ver­stan­des nicht.

Die tech­ni­sche Ent­wick­lung hat da­für ge­sorgt, dass der kos­ten­lo­se Down­load de fac­to von vie­len als le­gal an­ge­se­hen wird. Sich da­ge­gen zu sträu­ben ist schon fast Rea­li­täts­ver­wei­ge­rung — bes­ser ist es, über Al­ter­na­ti­ven nach­zu­den­ken. Denn nicht nur iTu­nes zeigt: Man kann mit kos­ten­los kon­kur­rie­ren.“