ab­schlies­sen und zu­hö­ren statt le­sen

felix schwenzel

ich habe 1987 mei­nen high­school-ab­schluss auf der steil­a­coom high­school in der nähe von ta­co­ma in wa­shing­ton sta­te ge­macht. der high­school-schul­ab­schluss wird in ame­ri­ka auf zwei ar­ten ge­fei­ert. ein­mal in­dem man eine klas­sen­ka­me­ra­din um ein date fragt, sie zum es­sen aus­führt und da­nach zur ab­schluss­tanz­ver­an­stal­tung (prom) fährt, wo auch alle an­de­ren klas­sen­ka­me­ra­den sind, die ein date ge­fun­den ha­ben.

um­ge­kehrt, dass eine klas­sen­ka­me­ra­din ei­nen klas­sen­ka­me­rad um ein date fragt, war das zu­min­dest 1987 in steil­a­coom üb­ri­gens ver­pönt. die män­ner hat­ten zu fra­gen, das blu­men­ge­steck, die an­fahrt und das es­sen zu be­zah­len. ich wünsch­te mir da­mals sehr, dass es um­ge­kehrt ge­we­sen wäre*.

das ers­te was man auf der ab­schluss­tanz­ver­an­stal­tung macht ist na­tür­lich ein foto.

in ame­ri­ka gibt es für nie­der­ge­las­se­ne fo­to­gra­fen sehr gute för­der­pro­gram­me. in je­der schu­le gibt es jähr­lich meh­re­re mög­lich­kei­ten sich semi-of­fi­zi­ell pro­fes­sio­nell fo­to­gra­fie­ren zu las­sen. am an­fang des schul­jah­res, grup­pen­fo­tos des sport­teams oder der clubs in de­nen man mit­glied ist und eben gra­dua­ti­on- (ab­schluss-) und prom-fo­tos.

ne­ben dem ab­schluss­tanz gibt es auch noch eine ab­schluss­fei­er zu der so­wohl die leh­rer, als auch die el­tern ein­ge­la­den wer­den und bei der sich die ab­schluss­schü­ler bil­li­ge syn­the­tik-um­hän­ge an­zie­hen und ein qua­drat mit bom­mel auf den kopf set­zen. bei der ab­schluss­fei­er wer­den dann die ab­schluss­zeug­nis­se in ei­ner läng­li­chen ze­re­mo­nie über­ge­ben, ir­gend­wann die qua­dra­te mit bom­mel vom kopf ge­nom­men und in die luft ge­wor­fen und ir­gend­ein pro­mi­nen­ter hält eine so­ge­nann­te com­mence­ment speech.

an die com­mence­ment speech bei mei­ner ab­schluss­fei­er kann ich mich lei­der kaum noch er­in­nern. das kann dar­an lie­gen, dass die fei­er be­reits 25 jah­re her ist oder dass ich die gan­ze zeit ab­ge­lenkt war. die com­mence­ment speech spre­che­rin war eine nach­rich­ten­spre­che­rin ei­nes lo­ka­len fern­seh­sen­ders und ich wun­der­te mich die gan­ze zeit dar­über, wie nach­rich­ten­spre­cher es schaf­fen, sich je­der­zeit wie nach­rich­ten­spre­cher an­zu­hö­ren wenn sie spre­chen.

ich habe noch ein VHS-tape von der ver­an­stal­tung. im NTSC-for­mat. ich glau­be vor 10 jah­ren hat­te ich in wäh­rend des stu­di­ums mal die mög­lich­keit den film zu se­hen. ich kann mich aber an nichts er­in­nern.


com­mence­ment spee­ches sind im netz auch viel bes­ser auf­ge­ho­ben als auf VHS-bän­dern. ein klas­si­ker ist na­tür­lich ste­ve jobs com­mence­ment speech in stan­ford, die er 2005 hielt und die seit­dem min­des­tens sechs schril­lio­nen mal an­ge­se­hen wur­de. war­um com­mence­ment spee­ches so gran­di­os sind, wird bei ste­ve jobs rede ziem­lich deut­lich:

je­mand re­det aus­schliess­lich von sich und sei­nem le­ben — und dann eben doch nicht, son­dern vom künf­ti­gen le­ben und den po­ten­zia­len die in den zu­schau­ern ste­cken.

ein oft pro­mi­nen­ter und zu­min­dest in ir­gend­ei­ner form irre er­folg­rei­cher mensch re­det von sei­nen er­fol­gen und den gross­ar­ti­gen din­gen die er er­reicht hat — und dann eben doch nicht, son­dern von sei­nem schei­tern und sei­nen zwei­feln und schwä­chen.

vie­le com­mence­ment spee­ches las­sen sich wahr­schein­lich in ei­nem satz zu­sam­men­fas­sen: folgt eu­rem ei­ge­nen weg, hört nicht auf das was euch an­de­re sa­gen, aber tut et­was sinn­vol­les.


wes­halb ich über­haupt auf die­ses com­mence­ment-spee­ches-ding ge­kom­men bin, ist dass ich in den letz­ten ta­gen auf zwei re­den ge­stos­sen bin die mir bei­de ziem­lich gut ge­fal­len ha­ben und de­ren kon­trast zu­ein­an­der ich ziem­lich be­ein­dru­ckend fand. ei­ner­seits habe ich aa­ron sor­kins „com­mence­ment ad­dress“ vor der dies­jäh­ri­gen ab­schluss­klas­se der sy­ra­cu­se uni­ver­si­tät ge­se­hen, an­de­rer­seits neil gai­mans com­mence­ment speech vor der ab­schluss­klas­se der „uni­ver­si­ty of the arts“ in phil­adel­phia.

bei­de re­den sind bril­li­ant und ich kann sehr emp­feh­len, sie an­zu­se­hen. und ob­wohl ich aa­ron sor­kin für ei­nen der bes­ten dreh­buch­schrei­ber je­mals hal­te, fand ich es be­mer­kens­wert, wie viel käl­ter, un­sym­pa­thi­scher oder fast mis­an­thro­pisch sor­kin im kon­trast zu gai­man wirkt. nein. ich for­mu­lie­re das noch­mal um: ob­wohl ich sor­kin für ziem­lich sym­pa­thisch und bril­li­ant hal­te, war ich er­staunt, um wie­viel of­fe­ner, sym­pa­thi­scher und viel­leicht auch ehr­li­cher gai­man wirk­te. und wäh­rend ich das schrei­be, fällt mir auch auf war­um. sor­kin sagt an ei­ner stel­le:

You'll meet a lot of peo­p­le who, to put it sim­ply, don't know what they'­re tal­king about. In 1970 a CBS exe­cu­ti­ve fa­mously said that the­re were four things that we would never, ever see on te­le­vi­si­on: a di­vorced per­son, a Je­wish per­son, a per­son li­ving in New York City and a man with a mousta­che. By 1980, every show on te­le­vi­si­on was about a di­vorced Jew who li­ves in New York City and goes on a blind date with Tom Selleck.

I wish you the qua­li­ty of fri­ends I have and the qua­li­ty of col­le­agues I work with.  Base­ball play­ers say they don't have to look to see if they hit a home run, they can feel it.

ob­wohl sor­kin vor leu­ten warnt die kei­ne ah­nung ha­ben, macht er in sei­ner rede deut­lich, dass er voll die ah­nung hat. gai­man sagt wie­der­holt (im­pli­zit und ich glau­be auch ex­pli­zit), dass er kei­ne ah­nung habe wie das mit dem er­folg funk­tio­nie­re, aus­ser dass er be­ob­ach­tet habe, dass es manch­mal funk­tio­niert wenn man echt bock auf das hat was man tut. sor­kin has it all fi­gu­red out.


com­mence­ment spee­ches die ich vor ei­ner wei­le mal ge­se­hen habe und die mir sehr ge­fal­len ha­ben:


tim pritl­ove hat kürz­lich auf der re­pu­bli­ca dar­über ge­re­det, war­um pod­casts sei­ner mei­nung nach er­folg­reich sind. ab­ge­se­hen da­von, dass man sich tim pritl­oves auf­tritt auch gut ohne be­wegt­bild, also nur als pod­cast an­hö­ren kann, hat er glau­be ich in fast al­lem was er sagt sehr recht. vor al­lem, wenn er er­klärt war­um wir na­tür­lich lie­ber hö­ren wie je­mand re­det (eine rede hält), als das trans­skript zu le­sen. wo­bei tim al­ler­dings auch ein biss­chen ver­kennt, das gut ge­schrie­be­ne tex­te durch­aus auch ihre qua­li­tä­ten ha­ben, die mit­un­ter das ge­spro­che­ne wort mei­len­weit schla­gen kön­nen.

so oder so, mei­ne lan­ge-wo­chen­end-er­käl­tung hat mir ge­le­gen­heit ge­ge­ben fast eben­so­vie­len leu­ten zu­zu­hö­ren, wie ich ge­le­sen habe — und ich fand es gut.


*) ich wur­de tat­säch­lich von ei­ner aus­tausch­schü­le­rin an ei­ner an­de­ren schu­le in se­at­tle zum prom-date ge­fragt. kei­ne ah­nung ob das ge­gen die ame­ri­ka­ni­schen sit­ten anno 1987 ver­stiess. es hat sich auf je­den fall ge­lohnt zu­zu­sa­gen, da die prom-fei­er der schu­le in se­at­tle in der space need­le statt­fand und weil ich so noch an ein zwei­tes prom-foto kam.