wie ich lern­te die über­wa­chung zu lie­ben

felix schwenzel

das ist, auf viel­fa­chen wunsch, die ver­schrift­lich­te ver­si­on mei­nes vor­trags auf der re­pu­bli­ca 2014.
die auf­zeich­nung des vor­trags vom 8. mai liegt hier auf you­tube.


diens­tag habe ich mir den vor­trag von frie­de­mann ka­rig an­ge­se­hen.
das the­ma hiess „Über­wa­chung macht im­po­tent!“ – Neue Nar­ra­ti­ve ge­gen Über­wa­chung

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war ein gu­ter vor­trag, al­ler­dings war die ein­le­tung et­was lang.

die ein­lei­tung hat un­ge­fähr 49 mi­nu­ten ge­dau­ert.

dem ei­gent­li­che the­ma, „Neue Nar­ra­ti­ve ge­gen Über­wa­chung“, hat fried­mann ka­rig dann 5 oder 10 mi­nu­ten ge­wid­met. un­ter an­de­rem hat er dann 3 neue (beta) nar­ra­ti­ve prä­sen­tiert.

für mei­nen vor­trag hat­te ich auch ne irre lan­ge ein­lei­tung.

das the­ma der ein­lei­tung war angst. und zwar, dass wir alle angst ha­ben. die re­gie­run­gen vor ter­ror­an­schlä­gen, die si­cher­heits­be­hör­den vor dem er­neu­ten ver­sa­gen und ih­rer ei­ge­nen in­komp­tenz, wir vor dem staat der of­fen­bar die de­mo­kra­tie zer­stö­ren will und es nicht schafft uns zu schüt­zen.

wo­bei wir auch sehr an­spruchs­voll sind:

  • wir wün­schen uns si­cher­heit vor dem staat, also star­ke grund­rech­te.
  • wir wün­schen uns aber auch ei­nen star­ken staat mit ef­fek­ti­ven er­mitt­lungs­be­hör­den. wenn es zum bei­spiel um die ver­hin­de­rung von nazi-auf­läu­fen geht, oder die auf­klä­rung oder ver­hin­de­rung der ta­ten von nazi-mord­ban­den geht.
  • bis jetzt wa­ren wir, wie un­se­re eu­ro­päi­schen nach­barn, ganz froh, aus­sen­po­li­tisch nicht all­zu sou­ve­rän zu sein, neu­er­dings wün­schen wir uns aber ein star­kes deutsch­land, ein deutsch­land, dass uns si­cher­heit vor aus­län­di­schen ge­hei­men mäch­ten bie­ten kann.

aber vor al­lem war das the­ma der ein­lei­tung, die ich ges­tern auf an­ra­ten mei­ner frau kom­plett aus dem vor­trag ge­wor­fen habe, dass wir alle kei­ne ah­nung ha­ben.

Wir lau­fen der Zeit hin­ter­her und wis­sen über­haupt nicht, wie wir als Ge­sell­schaft mit die­sen tech­no­lo­gi­schen Ent­wick­lun­gen um­ge­hen sol­len.
— Juli Zeh

die­ser satz von juli zeh ist üb­ri­gens eine ele­gan­te um­for­mu­lie­rung ei­nes be­kann­ten aus­spruchs un­se­rer bun­des­kanz­le­rin. juli zeh spricht ei­gent­lich von #neu­land.

ich glau­be wir hät­ten die­sem mer­kel-wort nicht mit ar­ro­ganz und in­ter­net­ver­ste­her-ober­che­cker­tum be­geg­nen sol­len. son­dern mit ei­nem ein­ge­ständ­nis:

stimmt. das in­ter­net ist neu­land. auch für uns. wir lau­fen nicht nur den tech­no­lo­gi­schen ent­wick­lun­gen hin­ter­her, son­dern auch den ge­sell­schaft­li­chen — und zwar wir alle, nicht nur die po­li­tik.

.@di­plix steckt die #rp14 in Brand - bild­lich und ver­bal! Ku­dos! pic.twit­ter.com/vcpt4qtNhS

— Til­man (@two­ne2) May 8, 2014

wir ste­hen vor ei­nem wald, der in flam­men steht und sind scho­ckiert, dass die­ser wald den wir jah­re­lang ge­hegt und ge­pflegt und ge­liebt ha­ben, plötz­lich li­cher­toh brennt.
wir ste­hen da­vor und fra­gen uns wie das pas­sie­ren konn­te.
ne­ben uns ste­hen men­schen, die tan­zen und sich freu­en, dass nur der wald brennt und nicht ihre hüt­ten am wald­rand.

ir­gend­wo steht sa­scha lobo und schreit:

tut doch was! ir­gend­was! spen­det der feu­er­wehr geld! los! tut was!

was ich sa­gen will:

  • wir wis­sen nicht wie es pas­sie­ren konn­te.
  • wir wis­sen nicht was pas­siert ist.
  • wir wis­sen nicht was wir da­ge­gen tun kön­nen und vor al­lem ge­gen wen oder was wir kämp­fen sol­len.
  • wir wis­sen nicht wie wir aus dem schla­mas­sel wie­der raus­kom­men sol­len.
  • uns ist — wenn wir ehr­lich sind — das la­chen über mer­kels #neu­land-spruch im hals ste­cken ge­blie­ben.

des­halb hat frie­de­mann ka­rig 49 mi­nu­ten ge­braucht für sei­ne ein­lei­tung, um am ende drei vor­schlä­ge zu ma­chen, wie wir die ge­fahr um­schrei­ben könn­ten.

des­halb hat sa­scha lobo 2 stun­den ge­braucht, um eine hand­voll vor­schlä­ge zu ma­chen, wie wir die, die für to­tal­über­wa­chung ver­ant­wor­lich sind, künf­tig nen­nen könn­ten.

jetzt hab ich mei­ne ein­lei­tung weg­ge­wor­fen — aber wie fin­de ich jetzt mei­nen ein­stieg?

viel­leicht soll­te ich als ein­stieg ein­fach mal sa­scha lobo wi­der­spre­chen?

sa­scha — und vie­le an­de­ren — mei­nen ja, mann müs­se die re­gie­rung (oder die SPD) über­zeu­gen uns zu schüt­zen. wir soll­ten druck er­zeu­gen, da­mit die po­li­ti­ker ver­ste­hen und un­se­re in­ter­es­sen (und rech­te) schüt­zen.

viel­leicht ist das zu se­man­tisch, aber ers­tens bin ich der über­zeu­gung, dass sog bes­ser wirkt als druck.

zwei­tens: zu ver­lan­gen dass der staat uns vor über­wa­chung schützt, ist ein biss­chen wie das ver­lan­gen, dass der staat uns vor bü­ro­kra­tie be­schüt­zen sol­le.

drit­tens: ich bin nicht si­cher ob die bun­des­re­gie­rung druck braucht. ich glau­be es herrscht durch­aus über­wa­chungs­af­fä­ren­druck in der re­gie­rung. schliess­lich ist nicht nur die re­gie­rung selbst (und wahr­schein­lich ei­ni­ge an­de­re ver­fas­sungs­or­ga­ne) ab­ge­hört wor­den, ich gehe auch da­von aus, dass die wirt­schafts­lob­by kräf­tig druck macht we­gen wirt­schafts­spio­na­ge.

was fehlt ist nicht der druck, son­dern lö­sungs­an­sät­ze.

das sagt sich jetzt ein­fach, aber ha­ben wir uns nicht im­mer selbst als in­ter­net­ver­ste­her dar­ge­stellt?

das olle netz­sper­ren-bei­spiel vor ein paar jah­ren zeigt wie es geht — oder ge­hen könn­te: statt nein, ha­ben wir ir­gend­wann ge­sagt: lö­schen statt sper­ren.
ich glau­be das war ge­nau der punkt, der die wen­de ge­bracht hat. das war prag­ma­tisch und lö­sungs­ori­en­tiert. die­sen dif­fe­ren­zier­ten prag­ma­tis­mus brau­chen wir auch jetzt. nicht nur wut!

druck ha­ben kürz­lich auch 560 schrift­stel­ler ver­sucht auf­zu­bau­en. das wur­de voll­mun­dig im zen­tral­or­gan der schrift­stel­ler und kul­tur­schaf­fen­den, der zeit, an­ge­kün­digt:

über dem ar­ti­kel stand:

  • 560 Au­toren weh­ren sich ge­gen Mas­sen­über­wa­chung
  • Hun­der­te Schrift­stel­ler weh­ren sich ge­gen die di­gi­ta­le Aus­spä­hung
  • ein Auf­ruf soll Bür­ger welt­weit auf­rüt­teln

wow, denkt man da. KÄMP­FEN, WEH­REN, AUF­RÜT­TELN!
im ar­ti­kel ist dann al­ler­dings we­ni­ger von „kämp­fern“ die rede, als von „un­ter­zeich­nern“, die „alle Bür­ger auf[ru­fen], ihre Frei­heits­rech­te zu ver­tei­di­gen“.
das hat mich zu ei­ner klei­nen sub­jek­ti­ven aus­wahl von gros­sen mo­men­ten des frei­heits­kamp­fes in­spi­riert:

(CC-BY-SA-3.0-DE, fried­rich gahl­beck)

(CC-BY-SA-3.0, ms­tys­lav cher­nov)


je­den­falls wird juli zeh in die­sem ar­ti­kel so zi­tiert:

Es wird sich lang­fris­tig nur et­was än­dern, wenn sich auf brei­tes­ter Ba­sis durch­setzt, dass Über­wa­chung die De­mo­kra­tie ge­fähr­det. Und wenn wir In­tel­lek­tu­el­le jetzt auf­ste­hen und un­se­re Mei­nung laut äu­ßern, er­mu­tigt das an­de­re, es auch zu tun.

mit an­de­ren wor­ten, die füh­ren­den in­t­e­lek­tu­el­len der welt ru­fen dazu auf, dass wir un­se­re mei­nung sa­gen?
und? hat der auf­ruf er­folg ge­habt?

(you­tube screen­shot)

naja. ei­ner ist auf­ge­stan­den und sagt jetzt sei­ne mei­nung: akif pi­rin­çci.
der hat zwar nicht die über­wa­chung als ge­fähr­dung der de­mo­kra­tie aus­ge­macht, da­für aber ei­nen „ir­ren Kult um Frau­en, Ho­mo­se­xu­el­le und Zu­wan­de­rer“.

spass (oder zy­nis­mus?) bei­sei­te. was ich sa­gen will ist ernst ge­meint: es gibt vie­le leu­te, die ge­sell­schafts­po­li­tisch völ­lig an­de­re schwer­punk­te set­zen als wir.

oder po­le­misch aus­ge­drückt: so be­scheu­ert wir die the­men und ängs­te von pi­rin­ci und sa­ra­zin fin­den, so be­scheu­ert fin­den mög­li­cher­wei­se auch vie­le un­se­re the­men und be­fürch­tun­gen im zu­sam­men­hang mit der NSA-äf­fä­re. oder zu­min­dest un­se­re prio­ri­tä­ten.

wir über­zeu­gen nie­man­den durch dump­fes wie­der­ho­len un­se­rer ein- und an­sich­ten, so kris­tall­klar sie uns selbst auch er­schei­nen mö­gen.

chris­ti­an stö­cker lässt seit fast ei­nem jahr ei­nen ro­bo­ter die­sen tweet täg­lich wie­der­ho­len, der auf die­sen ar­ti­kel vom 23.6.2013 ver­weist.

Im­mer noch wahr: http://t.co/F5KTGVz­LIs Still true: http://t.co/8sqdHTbnVX #prism #tem­po­ra

— Chris­ti­an Stö­cker (@Chris­Stoe­cker) Oc­to­ber 19, 2013

mich er­in­nert das ein biss­chen an mus­ta­fa mut­lu der seit zwei­ein­halb jah­ren vor dem aus­wär­ti­ges amt pro­tes­tiert. sein hun­ger­streik ist schon lan­ge be­en­det hat, aber trotz­dem sitzt oder steht er je­den tag mit sei­nem hun­ger­streik-schild vor dem aus­wär­ti­gen amt und pro­tes­tiert. bis heu­te.
zu os­tern war mut­lu üb­ri­gens im ur­laub. auf der bank, auf der sonst sitzt, stand ein schild mit der auf­schrift: fro­he os­tern!

über­wa­chung ge­fähr­det die de­mo­kra­tie

noch­mal zu­rück zu juli zeh. ich glau­be wir sind an ei­nem punkt an­ge­langt, an dem wir uns ein­ge­ste­hen soll­ten, dass kaum je­mand den satz oben noch hö­ren will. egal wie oft wir ihn wie­der­ho­len.
für vie­le scheint die de­mo­kra­tie trotz to­tal­über­wa­chung wei­ter­hin gut zu funk­tio­nie­ren.
oder: de­fi­zi­te der de­mo­kra­tie, wer­den von vie­len an­ders er­klärt.

kaum je­mand will sein ver­hal­ten än­dern oder über sein ver­hal­ten nach­den­ken.
nie­mand über­rascht es zu hö­ren, dass die ame­ri­ka­ner sich nicht an ge­set­ze aus­ser­halb der USA hal­ten — bzw. das die in­ter­es­sen der USA für die USA im­mer an ers­ter stel­le ste­hen.
nie­mand über­rascht es zu hö­ren, dass ame­ri­ka­ni­sche ge­heim­diens­te an der par­la­men­ta­ri­schen kon­trol­le vor­bei ope­rie­ren. ich habe ers­te be­rich­te dar­über ge­se­hen, als ich vor 30 jah­ren an­ge­fan­gen habe ta­ges­schau zu gu­cken.

nie­mand über­rascht es, dass die deut­sche re­gie­rung die ei­ge­nen in­ter­es­sen, de­nen ih­rer in­ter­na­tio­na­len part­ner un­ter­ord­net. (ich glau­be üb­ri­gens, dass das im prin­zip nicht die schlech­tes­te wahl ist und auf eine lan­ge ge­schich­te zu­rück­geht.)

Es lohnt sich, jetzt zu kämp­fen, da­mit die Über­wa­chungs­ge­sell­schaft nicht zur ak­zep­tier­ten Nor­ma­li­tät wird.

— sa­scha lobo

sa­scha lobo hat letz­te wo­che in sei­ner ko­lum­ne und am diens­tag in sei­nem vor­trag da­vor ge­warnt, die nor­ma­li­tät als nor­ma­li­tät an­zu­er­ken­nen. im ernst, ich fra­ge mich: ist die über­wa­chung nicht schon längst ak­zep­tier­te nor­ma­li­tät?

das schliesst nicht aus, dass es sich lohnt wi­der­stand zu leis­ten und ge­gen über­wa­chung zu kämp­fen.

wo­bei sich mir aber meh­re­re fra­gen stel­len:

  • leb­ten wir nicht schon im­mer in ei­ner Über­wa­chungs­ge­sell­schaft?
  • und hat das in­ter­net nicht ein­fach nur mehr ef­fek­ti­vi­tät und eine an­de­re di­men­si­on in die Über­wa­chungs­ge­sell­schaft ge­bracht?

oder noch­mal an­ders ge­fragt:

  • ist über­wa­chung viel­leicht nur ein sym­ptom, nicht die ur­sa­che des pro­blems?
  • ist über­wa­chung qua­si dem we­sen des in­ter­nets — zu­min­dest so wie wir es der­zeit nut­zen und an­ge­legt ha­ben — in­hä­rent, also ein­ge­baut?

sa­scha hat das am diens­tag auch an­ge­deu­tet. mit ei­nem mar­cu­se-zi­tat, der sag­te „herr­schaft“ sei schon in der kon­struk­ti­on von tech­no­lo­gie mit an­ge­legt. ich zei­ge den screen­shot aber nur des­halb, weil auf mei­nem foto sa­scha lobo wie shrek aus­sieht.

ich glau­be si­cher­heits­lü­cken, da­ten­lecks — und eben auch über­wa­chungs­po­ten­zia­le — sind in die DNA des in­ter­nets ge­wo­ben — mur­phy's law, „Al­les, was schief­ge­hen kann, wird auch schief­ge­hen“, gilt auch fürs in­ter­net.

be­vor ich jetzt post­pri­va­cy sage, be­nut­ze ich lie­ber eine wei­te­re ana­lo­gie:

das in­ter­net ist wie der flug­ver­kehr. durch tech­no­lo­gie und be­schleu­ni­gung ver­klei­nert es die welt.
und so wie ma­schi­nen, die man meh­re­re tau­send me­ter über die erd­ober­flä­che be­schleu­nigt, eben auch un­kon­trol­liert zu bo­den kom­men kön­nen, flie­gen uns — mit und ohne si­cher­heits­mass­nah­men — eben auch hin und wie­der mal un­se­re da­ten um die oh­ren. das ri­si­ko für da­ten-GAUs oder flug­zeug­ab­stür­ze lässt sich ein­däm­men, aber nie­mals aus­schlies­sen.

man sagt ja im­mer ana­lo­gien zum ver­kehr, funk­tio­nie­ren beim in­ter­net nicht. aber trotz­dem machts ir­gend­wie je­der:

  • al gore mit sei­ner da­ten­au­to­bahn
  • ur­su­la von der ley­en mit stop-schil­dern
  • und der ver­ein di­gi­ta­le ge­sell­schaft e.v. mit maut-schil­dern

ich glau­be, das in­ter­net und über­wa­chung ge­hö­ren zu­sam­men, wie der stras­sen­ver­kehr und ver­kehrs­to­te.
bei­des ist gräss­lich, aber je­weils in­hä­rent. die ri­si­ken las­sen sich re­du­zie­ren, aber nie ganz aus­schlies­sen.

in bei­den bei­spie­len lässt sich das ri­si­ko durch zwei pa­ra­me­ter re­du­zie­ren:

  • durch eine ein­schrän­kung von be­quem­lich­keit oder frei­heit
  • und durch ver­bes­se­rung von tech­no­lo­gie

die ent­wick­lung der si­cher­heits­tech­nik beim auto zeigt mei­ner mei­nung nach, dass wir durch­aus zu ei­ner gros­sen por­ti­on zu­kunfts­op­ti­mis­mus oder tech­nik­gläu­big­keit be­rech­tigt sind. die au­tos und stras­sen mö­gen frü­her hüb­scher ge­we­sen sein als heu­te, aber si­che­re­rer wa­ren stras­sen und au­tos frü­her ein­deu­tig nicht.

das was sich in den letz­ten jahr­zehn­ten bei der si­cher­heit von au­tos ge­tan hat ist bei­spiel­los. bei­spiel­haft ist aber die im­ple­men­tie­rung der si­cher­heits­sys­te­me in au­to­mo­bi­le.

  • die sys­te­me sind stan­dard­mäs­sig ak­ti­viert. nie­mand muss ir­gend­was ak­ti­vie­ren oder kon­fi­gu­rie­ren
  • die meis­ten sys­te­me schrän­ken den kom­fort nur mi­ni­mal ein
  • si­cher­heit geht im­mer vor kom­fort, schränkt den kom­fort aber meist nicht ein

so wie wir es jetzt un­glaub­lich fin­den, dass men­schen bis in die 70er jah­re meist ohne si­cher­heits­gurt (oder ohne drei­punkt­gurt) auto ge­fah­ren sind, wer­den wir wahr­schein­lich auch in 40 oder 20 oder 10 jah­ren auf un­se­re netz-nut­zungs-ge­wohn­hei­ten zu­rück­bli­cken und sa­gen:

wie konn­ten wir uns da­mals so leicht­sin­nig sein und un­ver­schlüs­sel­te mails ver­schi­cken?
un­glaub­lich: frü­her ha­ben wir pass­wör­ter be­nutzt?

noch­mal zu­rück zum the­ma des vor­trags. wel­ches the­ma?

das ist ja ei­gent­lich gar nicht das the­ma, son­dern eine an­spie­lung auf ei­nen film­ti­tel.

das the­ma mit dem ich mich ei­gent­lich be­schäf­ti­gen woll­te, lau­tet: kann man den über­wa­chungs­staat ei­gent­lich schla­gen? vor al­lem: wie?

In dem Mo­ment in dem ich mei­nen Feind ver­ste­he, ihn gut ge­nug ver­ste­he um ihn zu schla­gen, in ge­nau die­sem Mo­ment lie­be ich ihn auch.

— An­drew (En­der) Wig­gins

das zi­tat aus en­ders game im­pli­ziert das ver­ständ­nis des geg­ners mit das wich­tigs­te ist.
um den vor­trag vor­zu­be­rei­ten habe ich bei­spie­le ge­sucht, in de­nen der staat durch pro­tes­te zum ein­len­ken ge­zwun­gen wur­de (sie­he: sog statt druck) und wo man es auch ge­gen eine öf­fent­li­che mir-doch-egal-hal­tung schaff­te, eine brei­te öf­fent­li­che wir­kung zu er­zie­len. das fol­gen­de ist jetzt ein kur­zer ex­kurs in die 60er jah­re.

(bild­quel­le)

bill hud­son nahm die­ses foto am 3. mai 1963 in bir­ming­ham, ala­ba­ma auf.
man sieht auf dem bild ei­nen sehr jun­gen schwar­zen bür­ger­recht­ler, der von ei­nem po­li­zei­hund an­ge­grif­fen wird. vie­le sind der mei­nung, dass die pro­tes­te in bir­ming­ham und vor al­lem die­ses bild die ent­schei­den­de wen­de im kampf ge­gen die ras­sen­tren­nung brach­te.

bir­ming­ham war da­mals eine der am gründ­lichs­ten und ra­di­kals­ten ras­sen­ge­trenn­ten städ­te der USA. die bür­ger­rechts­be­we­gung hat­te jah­re­lang ge­gen ras­sen­tren­nung und be­nach­tei­lun­gung schwar­zer bür­ger ge­kämpft, aber mit die­sem foto schien sich plötz­lich der wind zu dre­hen.
ein jahr nach­dem die­ses foto auf den ti­tel­sei­ten der nyt und vie­ler an­de­rer ta­ges­zei­tun­gen er­schien, ver­ab­schie­de­te der US-kon­gress den ci­vil rights act von 1964. die pro­tes­te in bir­ming­ham gal­ten als der aus­schlag­ge­ben­de grund für die­ses ge­setz.

zu­vor hat­te mar­tin lu­ther king und sei­ne be­we­gung neun mo­na­te ver­geb­lich ver­sucht in al­ba­ny, geor­gia ge­gen die ras­sen­tren­nung zu pro­tes­tie­ren — ohne nen­nens­wer­te er­fol­ge. vor al­lem, weil der po­li­zei­chef lau­rie prit­chett es ver­stand (fo­to­ge­ne) ge­walt beim um­gang mit den pro­tes­tie­ren­den zu ver­mei­den.

in bir­ming­ham wa­ren die bür­ger­recht­ler stän­dig in le­bens­ge­fahr. ei­ner der an­säs­si­gen bür­ger­recht­ler, fred shut­tles­worth, ent­ging knapp ei­nem bom­ben­an­schlag des kkk.

in bir­ming­ham ver­such­ten die bür­ger­recht­ler es mit kon­fron­ta­ti­on (pro­ject c, für con­fron­ta­ti­on). mit dem pro­ject c und den ge­walt­frei­en pro­tes­ten soll­te bun­des­wei­te auf­merk­sam­keit auf die „the big­gest and bad­dest city of the South“ ge­lenkt wer­den. in der ers­ten pha­se setz­ten sich schwar­ze auf für weis­se re­ser­vier­te plät­ze, lies­sen sich mit­un­ter be­spu­cken, fest­neh­men und ver­prü­geln. be­dient wur­den sie nie.

das ziel war, die lo­ka­len ge­fäng­nis­se mit bür­ger­recht­lern zu fül­len. der plan ging nicht auf, da nicht aus­rei­chend vie­le der pro­tes­tie­ren­den fest­ge­nom­men wur­den, um die funk­ti­ons­fä­hig­keit der stadt zu be­ein­träch­ti­gen.

auch die es­ka­la­ti­on durch eine pro­vo­zier­te fest­nah­me von mar­tin lu­ther king brach­te nicht die ge­wünsch­ten er­fol­ge, vor al­lem gab es im­mer we­ni­ger frei­wil­li­ge die be­reit wa­ren sich fest­neh­men zu las­sen.

in ei­ner wei­te­ren es­ka­la­ti­on be­gan­nen die bür­ger­recht­ler kin­der und ju­gend­li­che für die pro­tes­te zu re­kru­tie­ren und zu schu­len. an ei­nem der ers­ten pro­test­ta­ge wur­den 600 schü­ler fest­ge­nom­men, der jüngs­te war 8 jah­re alt. in­ge­samt führ­te die­ser tag zur fest­nah­me von 900 per­so­nen.

weil die ge­fäng­nis­se nach ein paar ta­gen voll wa­ren, ver­such­te der po­li­zei­chef in den fol­gen­den ta­gen die pro­tes­tie­ren­den mit was­ser­wer­fern und hun­den aus den stras­sen zu ver­trei­ben.

das bild vom 3. mai 1963 rief so star­ke re­ak­tio­nen her­vor, dass es nicht nur eine pro­fun­de wir­kung auf die welt aus­ser­halb von bir­ming­ham hat­te, son­dern auch die rei­hen hin­ter mar­tin lu­ther king schloss. des­sen art die pro­tes­te zu pla­nen und zu füh­ren, war zu­vor in der schwar­zen com­mu­ni­ty hef­tig um­strit­ten.

der jun­ge auf dem bild heisst wal­ter gads­den. er war da­mals 15 jah­re alt. sei­ne fa­mi­lie war eher kon­ser­va­tiv und be­sass zwei ta­ges­zei­tun­gen in bir­ming­ham, die king scharf kri­ti­sier­ten. gad­sen kam zu den pro­tes­ten ei­gent­lich nicht als pro­test­ler, son­dern als zu­schau­er.


wes­halb ich das er­zäh­le?
weil ich mir ein­bil­de par­al­le­len von der bür­ger­rechts­be­we­gung der 60er jah­re zur grund­rechts­be­we­gung 2014 zu se­hen.

die bür­ger­rechts­be­we­gung da­mals

  • hat­te kei­nen be­son­ders brei­ten ge­sell­schaft­li­chen rück­halt (im ge­gen­teil) und
  • we­der der kon­gress noch das weis­se haus hat­te in­ter­es­se an re­for­men. ken­ne­dy sym­pa­thi­sier­te zwar mit den zie­len der be­we­gung, sah sich aber wahr­schein­lich nicht in der lage re­for­men durch­zu­set­zen
  • die bür­ger­recht­ler und ihre me­tho­den (vor al­lem kin­der ein­zu­set­zen) wur­den auch von schwar­zen hef­tig kri­ti­siert
  • die pro­ble­me der schwar­zen wa­ren vie­len ame­ri­ka­nern egal oder es war ih­nen un­an­ge­nehm dar­über nach­den­ken zu müs­sen (wer nicht schwarz ist, hat auch nichts zu be­fürch­ten)

erst jah­re­lan­ger, müh­sa­mer und le­bens­ge­fähr­li­cher pro­test, mit stän­dig ver­fei­ner­ten stra­te­gien, führ­te zu ers­ten re­for­men.

durch die pro­vo­ka­ti­on der staats­macht, ent­stan­den star­ke, sym­bo­li­sche bil­der, die als pro­jekt­ti­ons­flä­che die­nen konn­ten. noch wich­ti­ger. die pro­tes­te zeig­ten, dass man mit ge­ziel­ter pro­vo­ka­ti­on, mut und ge­walt­lo­sig­keit, eine po­si­ti­on der schwä­che in eine po­si­ti­on der stär­ke ver­wan­deln kann.

das bild auf dem gad­sen von po­li­zei­hun­den an­ge­grif­fen wird, kommt üb­ri­gens nicht ohne ei­nen klei­nen ta­schen­spie­ler­trick aus.

wenn man ge­nau hin­sieht, sieht man, dass gad­sen sich nicht wehr­los vom hund an­grei­fen lässt, son­dern dass er sein knie in rich­tung des hun­des be­wegt. es hiess spä­ter im la­ger der pro­tes­tie­ren­den, gad­sen habe dem hund den kie­fer ge­bro­chen.


kön­nen wir da was draus ler­nen? wie kön­nen wir den über­wa­chungs­staat schla­gen?

1 auf­bau­schen
das ers­te pro­blem das ich sehe ist das rhe­to­ri­sche auf­bau­schen. auch, und vor al­lem, von uns.
stän­dig be­schwö­ren wir die de­mo­kra­tie-apo­ka­lyp­se.
die ge­fähr­dun­gen der de­mo­kra­tie die wir an die wand ma­len sind für vie­le nicht nach­voll­zieh­bar
ein biss­chen ha­ben wir das glei­che pro­blem wie die us-re­gie­rung vor ih­rem letz­ten ein­marsch in den irak. für des­sen le­gi­ti­mie­rung wur­de die ge­fahr auf­ge­bauscht.

was josch­ka fi­scher und vie­le deut­sche al­ler­dings nicht über­zeug­te.

wenn wir an­de­re (und uns selbst) über­zeu­gen wol­len, müs­sen wir bes­ser ar­gu­men­tie­ren. we have to make our case. wir müs­sen die rea­len ge­fah­ren bes­ser her­aus­ar­bei­ten. ohne co­lin-powel-ta­schen­spie­ler­tricks.
sa­scha lobo hat „die­se über­wa­chung“ mit ra­dio­ak­ti­vi­tät ver­gli­chen. un­sicht­bar, un­schmeck­bar, vage (aber ge­fähr­lich). ich fra­ge: wo sind die strah­len­op­fer? auch mar­kus be­cke­dahl ver­misst die to­ten rob­ben­ba­bies des über­wa­chungs­skan­dals.

2 ge­gen wen?
wir wis­sen nicht wer un­ser geg­ner ist und wir wis­sen nicht was un­ser ziel ist (aus­ser der ret­tung der de­mo­kra­tie).

sind wir ge­gen die NSA? GHCQ? FSA? BND? BKA? FBI? CIA? den chi­ne­si­schen ge­heim­dienst? die ein­woh­ner­mel­de­äm­ter?

sind wir ge­gen die gros­sen netz­kon­zer­ne? eher ge­gen goog­le oder face­book? ge­gen klei­ne start­ups, die be­son­ders läs­sig mit be­nut­zer­da­ten um­ge­hen?

sind wir ge­gen die bun­des­re­gie­rung? für eine star­ke bun­des­re­gie­rung? für ein no-spy ab­kom­men? für mehr staat­li­che sou­ve­rä­ni­tät, ge­gen un­se­re ver­bün­de­ten?

sind wir ge­gen die da­ten­wei­ter­ga­be zwi­schen „be­freun­de­ten“ ge­heim­diens­ten?
wenn ja, wol­len uns also voll und ganz auf un­se­rer ei­ge­nen diens­te ver­las­sen?
wo­hin de­ren kom­pe­ten­zen füh­ren, hat kürz­lich auch ei­nen un­ter­su­chungs­aus­schuss be­schäf­tigt.

sind für mehr par­la­men­ta­ri­sche kon­trol­len? nur wo dann? erst­mal nur in deutsch­land? was ist mit den USA? in GB? in chi­na?

wol­len wir mehr da­ten­schutz? wenn ja, da­ten­schutz eher in der aus­prä­gung ei­nes thi­lo wei­chert oder ei­nes pe­ter schaar? wäre thi­lo wei­chert ein gu­ter bun­des­kanz­ler?

wenn wir ge­gen vi­deo­über­wa­chung pro­tes­tie­ren, müs­sen wir dann nicht auch ge­gen das in­sta­gram­men von men­schen ohne schrift­li­che ge­neh­mi­gung sein?

ich habe kürz­lich tho­mas gott­schalk am koll­witz-platz ge­se­hen. der hat dort (wahr­schein­lich) mit sei­nen en­keln ge­spielt. mein ers­ter im­puls war: foto! mein zwei­ter: twit­ter! mein drit­ter: wie­so ei­gent­lich?

ich wie­der­ho­le mich, aber ich glau­be es ist nicht über­trie­ben zu be­haup­ten, dass uns nicht mal an­satz­wei­se klar ist

  • ge­gen was wir kämp­fen
  • wer der geg­ner ist
  • wie lö­sung aus­se­hen könn­ten
  • und wie wir die­se lö­sun­gen er­rei­chen, bzw. er­kämp­fen wol­len

3 sym­bo­le
uns feh­len die nar­ra­ti­ve, oder ge­nau­er, die sym­bo­le. vor al­lem sym­bo­le die zur pro­jek­ti­on ge­eig­net sind.

ge­gen be­stimm­te über­wa­chungs-ver­herr­li­chungs-nar­ra­ti­ve der ame­ri­ka­ner kom­men wir al­ler­dings ganz schwer an.

hier kon­stru­iert die US re­gie­rung ei­nes der mäch­tigs­ten nar­ra­ti­ve zur recht­fer­ti­gung ih­res über­wa­chungs­ap­pa­rats.
das bild was hier kon­stru­iert wird, ist stär­ker als je­des tote rob­ben­ba­by.

ge­gen ein nar­ra­tiv, dass so sim­pel ist, dass man es in den sand zeich­nen könn­te, kommt man schwer an.

wir kämp­fen mit den an­ge­staub­ten be­grif­fen un­se­rer el­tern­ge­nera­ti­on:

  • Da­ten­schutz
  • Pri­vat­sphä­re
  • Glä­se­rer Bür­ger

aus der sta­si 1.0-über­wa­chung lies­sen sich wirk­sa­me­re vi­sua­li­sie­run­gen von un­recht kon­stru­ie­ren.
das liegt vor al­lem dar­an, dass die über­wa­chung schreck­li­che, sicht­ba­re fol­gen hat­te. für tau­sen­de men­schen. über jahr­zehn­te hin­weg.
die (kon­kre­ten) op­fer des mo­der­nen über­wa­chungs­staats las­sen sich (zu­min­dest im wes­ten) an ein paar hän­den ab­zäh­len. glaub ich.

was uns bit­ter fehlt, sind bil­der, sym­bo­le die­ser art.

die­ses bild hat sog!

4 um­den­ken
wir müs­sen um­den­ken kön­nen ler­nen.

[Die neu­en Her­aus­for­de­run­gen] er­for­dern […] eine ver­än­der­te Sicht­wei­se und die ra­di­ka­le Ab­kehr von bis­her für selbst­ver­ständ­lich hin­ge­nom­me­nen Denk- und Han­dels­wei­sen. Denn ei­nes ist klar: Vie­les wird nicht mehr so sein, wie es ein­mal war.

das hat mar­tin wei­gert 2009 ge­schrie­ben um den wan­del im han­del, kul­tur- und me­di­en­be­reich zu um­schrei­ben.
das ge­sag­te gilt aber ei­gent­lich auch für un­se­re sicht auf pri­vat­sphä­re und frei­heit. die kon­zep­te für pri­vat­sphä­re und frei­heit ha­ben sich in den letz­ten 4000 jah­ren im­mer wie­der ge­wan­delt und den ge­ge­ben­hei­ten an­ge­passt.

die din­ge sind jetzt be­son­ders im wan­del, weil die tech­no­lo­gie das recht vor sich her­treibt. im po­sit­ven wie im ne­ga­ti­ven: tech­no­lo­gie ist dem recht­sys­tem im­mer weit vor­aus.
wie wir die tech­no­lo­gie im recht­sys­tem ver­an­kern wol­len, müs­sen wir dis­ku­tie­ren und neu-den­ken.
wir sind we­der die kro­ne der schöp­fung, noch sind un­se­re der­zei­ti­gen kon­zep­te von pri­vat­sphä­re und frei­heit die kro­nen der phi­lo­so­phie oder so­zio­lo­gie. da ist noch platz nach oben, links und rechts.

Aus Angst vor Ver­än­de­run­gen, die sie nicht kon­trol­lie­ren kön­nen oder die sie dazu zwin­gen wür­den, sich selbst zu ver­än­dern, wäh­len [Kon­ser­va­ti­ve] die Be­quems­te al­ler Lö­sun­gen, den Still­stand.

das hat ron­nie grob über kon­ser­va­ti­ve ge­schrie­ben. wenn man das so liest, müss­te uns klar wer­den, dass wir auch sehr, sehr kon­ser­va­tiv sind — zu­min­dest wenn es um un­se­re ei­ge­nen rech­te und pri­vi­le­gi­en geht.

5. stop worry­ing
ich habe das ge­fühl, wir sind die ein­zi­gen sind die wü­tend sind. un­se­re wut ist aber nicht an­ste­ckend. un­se­re wut und un­gläu­big­keit an­ge­sichts der mons­tro­si­tät der to­tal­über­wa­chung macht uns auch blind für das we­sent­li­che.

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  • wir soll­ten un­se­re wut in kon­struk­ti­ve, prag­ma­ti­sche lö­sun­gen flies­sen las­sen
  • wie um­ge­he ich über­wa­chung? wie kann die si­cher­heit der kom­mu­ni­ka­ti­on ver­bes­sert wer­den? wie las­sen sich ge­fähr­de­te men­schen schüt­zen?
  • si­cher­heit muss leich­ter, in­te­grier­ter, in­hä­ren­ter wer­den.
  • die si­cher­heits­sys­te­me beim auto sind bei­spiel­haft, vor al­lem in der be­die­nung.

wir müs­sen den drei­punkt­gurt neu er­fin­den!

6. play the sys­tem
ich habe im­mer ger­ne ge­glaubt, dass ge­heim­diens­te vor al­lem des­halb im ge­hei­men wer­keln, um ihre in­kom­pe­tenz und un­fä­hig­keit zu ver­ber­gen.
das ist wie mit den schein­rie­sen. wenn sie weit weg sind er­schei­nen sie mons­trös, je nä­her man ih­nen kommt des­to klei­ner er­schei­nen sie.

ge­heim­diens­te sind vor al­lem des­halb ef­fek­tiv, weil sie es schaf­fen, angst und schre­cken zu ver­brei­ten.
wir ha­ben aber dank snow­den neu­er­dings ei­nen ent­schei­den­den stra­te­gi­schen vor­teil: wir wis­sen wie sie ar­bei­ten.
war­um ha­ben wir die­sen vor­teil bis­her so we­nig ge­nutzt?

um star­ke bil­der zu be­kom­men, brau­chen wir pro­vo­ka­ti­on. in die­sem sin­ne ganz fa­mos wäre zum bei­spiel, wenn nach ei­ner snow­den be­fra­gung der NSA-un­ter­su­chungs­aus­schuss ge­schlos­sen in die USA rei­sen wür­de und dort fest­ge­nom­men wür­de. fest­ge­nom­me­ne deut­sche par­la­men­ta­ri­er in gu­an­ta­na­mo bay — was für ein bild! welch ei­nen sog das er­zeu­gen wür­de!
die tä­ter be­nen­nen hat sich sa­scha aus­ge­dacht. fin­de ich su­per.
und wie das mit dem spott aus­se­hen kann, sieht man, wenn man in die­sem vi­deo in dem glenn green­wald mit dem ehe­ma­li­gen NSA chef mi­cha­el hay­den de­bat­tiert (link zum vi­deo, link zu se­kun­de 4364).

die­se art von ge­sich­tern von NSA-ver­ant­wort­li­chen, möch­te ich in der nächs­ten jah­ren ger­ne öf­ter se­hen.

ich könn­te die lis­te noch wei­ter füh­ren. aber jetzt hab ich kei­nen bock mehr.
wich­tig ist: es gibt wege un­se­re schwä­che in stär­ke um­zu­wan­deln.


un­be­ant­wor­tet ist aber im­mer noch die fra­ge, war­um ich denn jetzt die über­wa­chung zu lie­ben ge­lernt habe.
ers­tens: das war ein scherz. eine pro­vo­ka­ti­on. ir­gend­was muss­te ich ja beim call for pa­pers schrei­ben.
zwei­tens: weil ich glau­be, dass man sei­nen arsch nur hoch­be­kommt, wenn man ge­tre­ten wird.
also ich zu­min­dest.
drit­tens: die über­wa­chung hilft uns das ei­gent­li­che pro­blem zu er­ken­nen
und vier­tens: dank to­tal­über­wa­chung er­in­nern wir uns wie­der dar­an, dass frei­heit nicht ge­ge­ben, son­dern ge­nom­men wird.

im prin­zip steht auf die­ser fo­lie üb­ri­gens das glei­che wie von sa­scha lobo kürz­lich in die FAZ ge­schrie­ben:
das in­ter­net ist ka­putt, aber wir kön­nen es re­pa­rie­ren

A very in­te­res­t­ing word that has no equi­va­lent in Eng­lish, but is ama­zing... pic.twit­ter.com/qle4SRaTVk

— Je­re­my Tr­e­vathan (@Jez­za­T­rev) May 6, 2014

die­se scha­le war mal ka­putt. ir­gend­wer hat sie re­pa­riert. die tech­nik heisst kint­su­gi. kint­su­gi ist eine kunst­form die ke­ra­mik mit gold- oder sil­ber-lack re­pa­riert und die an­sicht ver­tritt, dass et­was schö­ner wer­den kann, wenn es vor­her zer­bro­chen war.
die schön­heit des ka­put­ten — oder eben, wenn man so will — in­ter­net­op­ti­mis­mus.

aber es gibt auch ei­nen grund, war­um ich die­se to­tal-über­wa­chungs-scheis­se has­se. der wich­tigs­te grund, et­was ge­gen die to­tal­über­wa­chung der über­wa­chungs­e­so­te­ri­ker zu tun?

wir müs­sen al­les tun, da­mit sa­scha lobo wie­der wit­zig wird!

Dan­ke für die­ses Vor­trags-High­light! @di­plix #rp14 pic.twit­ter.com/otPh087bIk

— Sil­via Re­n­au­er (@Sil­vi­a­Re­n­au­er) May 8, 2014


ich möch­te vor al­lem dem in­ter­net dan­ken, ohne das ich die­sen vor­trag (über das in­ter­net) nicht hät­te vor­be­rei­ten kön­nen. sehr viel in­spi­ra­ti­on habe ich aus mal­colm glad­well’s buch „Da­vid and Go­li­ath: Un­der­dogs, Mis­fits and the Art of Batt­ling Gi­ants“ ge­zo­gen. vie­le din­ge sind mir wäh­rend der re­cher­che in mei­nem RSS-feed ent­ge­gen ge­flo­gen, ein gros­ser teil über stel­lar.io. ganz wich­tig war das frü­he ge­gen­le­sen von pa­trcia camma­ra­ta und der bei­fah­re­rin. dank der bei­den habe ich den vor­trag ei­ni­ger­mas­sen straf­fen und aufs we­sent­li­che re­du­zie­ren kön­nen. dank geht auch an die re­pu­bli­ca, auf der ich durch ge­sprä­che und vor­trä­ge noch ei­ni­ges an in­put für den vor­trag auf­neh­men konn­te. eine oft un­ter­be­rich­te­te ei­gen­schaft der re­pu­bli­ca ist näm­lich, dass sie sehr, sehr gut zum nach­den­ken an­regt. und vie­len dank an das su­per freund­li­che und po­si­ti­ve pu­bli­kum, das ein­zi­ge pu­bli­kum der welt, dass über key­note-ef­fek­te la­chen kann.


hier noch­mal die vi­deo-auf­zeich­nung ein­ge­bet­tet:

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