be­quem­lich­keit / al­les strömt

felix schwenzel

der fort­schritts­mo­tor num­mer eins ist — be­quem­lich­keit.

ir­gend­wer hat mal ge­sagt, dass wir 80 pro­zent un­se­rer le­bens­zeit mit dem ver­such ver­brin­gen, zeit zu spa­ren. un­ser le­ben be­steht zum gros­sen teil aus hoff­nung auf und dem drang zu mehr be­quem­lich­keit.

na­tür­lich ist das wis­sen der welt nicht erst seit dem in­ter­net oder seit al­ta­vis­ta oder seit goog­le zu­gäng­lich. es war al­les schon lan­ge da — und zu­gäng­lich — be­vor der ers­te smi­ley durch das in­ter­net floss. es war nur nicht so be­quem. man muss­te rei­sen, in bi­blio­the­ken ge­hen, mit leu­ten re­den. dank des in­ter­nets ist der zu­gang zu in­for­ma­tio­nen viel be­que­mer.

ko­lum­bus ist auch nach ame­ri­ka ge­kom­men, mar­co polo nach chi­na (viel­leicht). das flug­zeug, das auto oder die bahn ha­ben wir ent­wi­ckelt, da­mit das rei­sen be­que­mer (und schnel­ler) wird.

be­quem­lich­keit, oder ge­nau­er, die ver­bes­se­rung der be­quem­lich­keit, hat vie­le ne­ben­ef­fek­te. er­höh­ter CO₂-aus­stoss, sich auf­schau­keln­de ver­netz­te sys­te­me, em­pö­rungs- und agi­ta­ti­ons­wel­len, be­schleu­ni­gung oder kat­zen­bil­der­flu­ten. man­che der ne­ben­ef­fek­te sind vor­her­seh­bar, die meis­ten nicht. trotz­dem wol­len wir in der re­gel nicht zu­rück zum vor­he­ri­gen, un­be­que­me­ren zu­stand, auch wenn die ne­ben­ef­fek­te un­an­gen­hem sind. die neu­en pro­ble­me, glau­ben wir, las­sen sich schon ir­gend­wie lö­sen.

ar­ti­kel­bil­der die eine start­bahn zei­gen, un­ter­strei­chen die vi­sio­nä­re qua­li­tät des ar­ti­kels

mo­bil­te­le­fo­ne kön­nen fast nichts, was nicht auch schreib­tisch­com­pu­ter könn­ten. es ist aber um ein viel­fa­ches be­que­mer ein taxi mit dem was man in der hand hat zu be­stel­len, als eine te­le­fon­zel­le da­für zu be­nut­zen oder an den schreib­tisch zu lau­fen. es ist be­que­mer sich das wet­ter in der hand­flä­che an­zei­gen zu las­sen, als ei­nen me­tero­lo­gen an­zu­ru­fen und nach dem wet­ter zu fra­gen.

die vor­tei­le von be­stimm­ten tech­no­lo­gien leuch­ten uns so­fort ein, wenn wir die tech­no­lo­gie se­hen, be­rüh­ren und be­nut­zen, selbst wenn sie noch nicht zu 100% aus­ge­reift sind. die vor­tei­le, die neu­en be­quem­lich­kei­ten von tech­no­lo­gie zu er­ken­nen, be­vor wir sie se­hen, an­fas­sen oder aus­pro­bie­ren kön­nen, fällt uns aber ei­gen­tüm­lich schwer. leu­te die das kön­nen, ver­un­glimp­fen wir ger­ne als „vi­sio­nä­re“, die zum au­gen­arzt müs­sen oder als su­per­bö­se­wich­te oder als irre.

so­lan­ge wir den kom­fort neu­er be­quem­lich­kei­ten nicht am ei­ge­nen leib spü­ren, sind wir oft zu be­quem für neue be­quem­lich­kei­ten.


Die Faul­heit ist Mut­ter der Ef­fi­zi­enz. #six­words für @cer­vus

Mar­kus An­ger­mei­er (@kos­mar30.11.2007 9:04

be­vor das jetzt mit mei­nen be­quem­lich­keits-as­so­zia­tio­nen zu ab­surd wird, noch ein letz­tes bei­spiel. das www hat tim ber­ners-lee na­tür­lich auch aus be­quem­lich­keit er­fun­den: ein hy­per­link er­spart eine zu­sam­men­fas­sung oder das zi­tie­ren. ein klick ist be­que­mer als die ein­ga­be ei­ner adres­se oder das nach­schla­gen in ei­nem ka­ta­log. web­sei­ten ha­ben un­ser le­ben be­que­mer ge­macht, seit über 10 jah­ren kön­nen wir, bei­spiels­wei­se, bü­cher per klick auf ei­nen hy­per­link be­stel­len. ge­ne­rell könn­te man sa­gen: die (wei­ter-) ent­wick­lun­gen von web­tech­no­lo­gien in den letz­ten 15 oder 20 jah­ren, dien­ten vor al­lem der be­quem­lich­keit und der be­nut­zer­freund­lich­keit.

face­book macht es be­que­mer sich ge­burts­ta­ge von ver­wand­ten und be­kann­ten zu mer­ken, cloud­ba­sier­te ka­len­der oder pho­to­spei­cher ma­chen es be­que­mer fa­mi­li­en­ge­döns zu or­ga­ni­sie­ren oder zu tei­len. aber dort hört es nicht auf. es geht im­mer wei­ter, im­mer be­que­mer soll es wer­den.

statt auf ei­nen link zu ei­nem ar­ti­kel zu kli­cken und auf den sei­ten­auf­bau und das la­den der an­zei­gen und tra­cker zu war­ten, wol­len ap­ple und face­book und goog­le und vie­le an­de­re das le­sen be­que­mer, kom­for­ta­bler und schnel­ler ma­chen. face­book mit in­stant ar­tic­les, ap­ple mit sei­ner ap­ple news app und goog­le und mi­cro­soft be­stimmt auch mit ir­gend­was.

das kann man gut fin­den und sich über die vorrausscht­li­chen be­quem­lich­keits­ver­bes­se­run­gen freu­en, oder eben nicht:

@di­plix Mir ge­fällt die Vor­stel­lung ei­nes Pres­se-Sys­tems, das nur noch auf Platt­for­men von US-Fir­men statt­fin­det, nicht. Dir?

Chris­ti­an Stö­cker (@Chris­Stoe­cker11.09.2015 9:21

[auch po­le­misch, aber trotz­dem auf­fäl­lig, dass die re­cher­che des „Pres­se-Sys­tems“ heut­zu­ta­ge be­reits zum gros­sen teil auf „Platt­for­men von US-Fir­men“ statt­fin­det.]

ge­gen die mul­ti­plen trends zur ver­ein­fa­chung und be­quem­lich­keit kommt man mit ame­ri­ka- und tur­bo­ka­pi­ta­lis­mus-kri­ti­schen schein­ar­gu­men­ten kaum an. das ist ge­nau­so aus­sichts­los wie frei­bier-macht-fett-rufe. wenn’s be­que­mer, bes­ser, schnel­ler oder ab­len­kungs­frei­er ist, wird ein an­ge­bot — mit sehr ho­her wahr­schein­lich­keit — an­ge­nom­men. je mehr ech­te be­quem­lich­keit ein an­ge­bot bie­tet, des­to eher und rai­ka­ler setzt es sich durch.

des­halb wird sich (glau­be ich) blend­le durch­set­zen, des­halb wer­den sich an­ge­bo­te wie face­book in­stant ar­tic­les oder ap­ple news durch­set­zen. nicht weil es sich um „Platt­for­men von US-Fir­men“ oder an­ge­bo­te ei­ner nie­der­län­di­schen fir­ma han­delt, son­dern weil sie plötz­lich da sind und nicht nur be­quem­lich­keit ver­spre­chen, son­dern auch lie­fern.

ir­gend­wann wird chris­ti­an stö­cker auf­schrei­ben, war­um ein „Pres­se-Sys­tems, das nur noch auf Platt­for­men von US-Fir­men“ läuft, un­vor­teil­haft ist. wahr­schein­lich wird er in vie­len, wenn nicht so­gar al­len punk­ten, die er auf­schrei­ben wird, recht ha­ben. aber er wird mit sei­nem text ge­gen die müh­len der be­quem­lich­keit an­ren­nen und wir, die wo­mög­lich be­reits die neue be­quem­lich­keit ge­nies­sen, wer­den ihn dann wohl nur noch aus der ent­fer­nung ru­fen hö­ren — und ganz si­cher nicht um­keh­ren.


die sa­che mit dem kon­troll­ver­lust zeich­net sich seit jahr­zehn­ten, als ein al­les durch­drin­gen­des phä­no­men, in al­len ge­sell­schaft­li­chen be­rei­chen ab. mi­cha­el see­mann weist uns da fast täg­lich drauf hin. wir ver­lie­ren zu­neh­mend die kon­trol­le über un­se­re pri­vat­s­hä­re, die kul­tur­in­dus­trie ver­liert die kon­trol­le über ihre pro­duk­te und der jour­na­lis­mus ver­liert die kon­trol­le über sei­ne ver­triebs­we­ge. in den 80iger jah­ren konn­ten wir uns noch ge­gen eine volks­zäh­lung weh­ren, die film­stu­di­os den ki­nos ihre be­din­gun­gen dik­tie­ren und die ver­le­ger si­cher sein, dass die leu­te ihr be­druck­tes pa­pier kau­fen — und sei es we­gen der klein­an­zei­gen. jetzt strö­men un­se­re da­ten frei durchs in­ter­net, die fil­me und se­ri­en der film­stu­di­os eben­so und jour­na­lis­ten fra­gen sich, wie sie in der to­sen­den bran­dung der in­ter­net­strö­me noch auf­merk­sam­keit oder geld er­rei­chen kön­nen.

al­les strömt und streamt. und ir­gend­wie fin­den wir es alle OK — weil es so furcht­bar be­quem ist.