pa­pier­lieb­ha­be­rei

felix schwenzel in artikel

ich ken­ne vie­le leu­te die on­line-ban­king für teu­fels­zeug hal­ten. weil das ja so un­si­cher sein soll. so stand es ja auch in den acht­zi­ger und neun­zi­ger jah­ren in den zei­tun­gen. ähn­li­che vor­be­hal­te gibt es bei sehr vie­len men­schen die ich ken­ne ge­gen­über kre­dit­kar­ten oder an­de­ren bar­geld­lo­sen zah­lungs­ver­fah­ren. weil es im­mer wie­der be­trugs­fäl­le bei die­sen zah­lungs­mit­teln gibt, sind die­se me­tho­den folg­lich zu mei­den.

wenn in­ter­net­skep­ti­ker da­vor war­nen pri­va­tes ins in­ter­net zu schrei­ben (die ju­gend!), fo­tos im in­ter­net zu ver­öf­fent­li­chen (iden­ti­täts­dieb­stahl!) oder un­dif­fe­ren­ziert vor dem gros­sen, bö­sen goog­le war­nen, la­chen wir (die „in­ter­net­ge­mein­de“) in der re­gel laut auf. über­zo­ge­ne ängs­te von po­li­ti­kern vor of­fe­nen wlans ri­di­küli­siert netz­po­li­tik seit vie­len jah­ren. netz­po­li­tik und gros­se tei­le die­ser „in­ter­net­ge­mein­de“ ver­su­chen seit jah­ren die chan­cen der di­gi­ta­li­sie­rung her­vor­zu­he­ben und über­zo­ge­ner angst­ma­che und si­cher­heits­be­den­ken aus po­li­tik und ge­sell­schaft ent­ge­gen zu wir­ken.

nur beim zah­lungs­ver­kehr ist das alu­hut-tra­gen nach wie vor schick. netz­po­li­tisch bes­tens ge­bil­de­te ak­ti­vis­ten, wie zu­letzt an­dre­as von gun­ten, war­nen mit me­tho­den vor ei­ner bar­geld­lo­sen ge­sell­schaft, die nor­ma­ler­wei­se von in­nen­po­li­ti­kern oder gross­ver­la­gen ge­nutzt wer­den: in­dem vor to­ta­li­tä­ren po­ten­zia­len ge­warnt wird und krea­ti­ver lo­gik aru­men­tiert wird.

oder jetzt auf netz­po­li­tik, von jan gir­lich. mit jan gir­lich stim­me ich über­ein, dass es un­be­dingt zah­lungs­me­tho­den ge­ben muss, die zah­lun­gen er­mög­li­chen, die nicht ohne wei­te­res nach­ver­folg­bar sind. bar­geld funk­tio­niert für sol­che fäl­le nach wie vor bes­tens. al­ler­dings gibt und gab und gibt es durch­aus auch bar­geld­lo­se zah­lungs­mit­tel, die das er­mög­li­chen. die geld­kar­te bei­spiels­wei­se er­laubt (un­ter be­stimm­ten um­stän­den) an­ony­me zah­lungs­vor­gän­ge, ge­nau­so wie vor­aus­be­zahl­te kre­dit­kar­ten (pre­paid-kar­ten). die­se wer­den „ohne Bo­ni­täts­prü­fung auch an nicht kre­dit­wür­di­ge Per­so­nen aus­ge­ge­ben, die bei­spiels­wei­se noch nicht voll­jäh­rig sind oder für die ein Ne­ga­tiv­ein­trag in der Schufa vor­liegt.“ (zi­tat wi­ki­pe­dia)

die­se mög­lich­kei­ten er­wähnt jan gir­lich in sei­nem netz­po­li­tik-ar­ti­kel, in dem er vor ei­ner bar­geld­lo­sen zu­kunft warnt, nicht. im ge­gen­teil:

Fest­ge­hal­ten wer­den kann, dass wir ohne Bar­geld un­se­rer Mög­lich­keit an­onym und spur­los zu zah­len be­raubt wer­den.

bit­co­ins sind ganz si­cher noch nicht im main­stream an­ge­kom­men, aber als ich zu­letzt dar­über ge­le­sen habe, blieb bei mir hän­gen, dass man mit bit­co­ins an­onym und spur­los zah­len kön­ne (sie­he an­mer­kung un­ten). und was hin­dert uns wei­te­re tech­ni­sche al­ter­na­ti­ven zu ent­wi­ckeln (oder zu for­dern), die uns er­mög­li­chen an­onym und spur­los zu zah­len?

mich er­in­nert die­se ar­gu­men­ta­ti­on an die dis­kus­si­on, dass gu­ter jour­na­lis­mus nur auf dem trä­ger­me­di­um pa­pier mög­lich sei. in die­ser dis­kus­si­on wur­de ver­kannt, dass nicht das trä­ger­me­di­um ent­schei­dend für qua­li­tät ist, son­dern die ideen hin­ter der jour­na­lis­ti­schen ar­beit. so wie die idee des jour­na­lis­mus nicht un­trenn­bar mit pa­pier ver­bun­den ist, ist auch die idee der an­ony­men und spur­lo­sen be­zah­lung nicht un­trenn­bar mit pa­pier oder bar­geld ver­bun­den.

aber jan gir­lich meint fest­hal­ten zu kön­nen, dass „die Ar­gu­men­te der Be­für­wor­ter“ von bar­geld­lo­sen zah­lungs­mit­teln sich leicht ent­kräf­ten lies­sen:

Das Ende der Kri­mi­na­li­tät wird die Ab­schaf­fung des Bar­gelds ganz ge­wiss nicht, denn ge­ra­de bei bar­geld­lo­sen Be­zahl­me­tho­den wächst der Be­trug ra­sant z.B. mit ge­stoh­le­nen Log­ins durch Tro­ja­ner.

um die­se the­se zu be­le­gen, ver­link­te jan gir­lich vor ein paar ta­gen auf die FUD-pres­se­mit­tei­lung ei­nes si­cher­heits­dienst­leis­ters, ich habe das vor ein paar ta­gen hier kurz no­tiert. den link hat jan gir­lich nach mei­nem hin­weis mitt­ler­wei­le aus­ge­tauscht, mit ei­nem link auf ei­nen text, der für die flä­chen­de­cken­de ein­füh­rung von EMV-ver­fah­ren (chip statt ma­gnet­strei­fen) plä­diert. das habe ich eben­falls kurz no­tiert.

na­tür­lich ist es un­be­strit­ten, dass der be­trug „bei bar­geld­lo­sen Be­zahl­me­tho­den“ zu­nimmt, mo­men­tan so­gar stär­ker als sich bar­geld­lo­se be­zahl­ver­fah­ren durch­set­zen. den ent­schei­den­den punkt lässt gir­lich aber aus: die ver­lus­te wer­den zum al­ler­gröss­ten teil von den kre­dit­in­sti­tu­ten ge­tra­gen.

sonst liest man auf netz­po­li­tik von et­was prag­ma­ti­sche­ren her­an­ge­hens­wei­sen an pro­ble­me, die die di­gi­ta­li­sie­rung mit­bringt: statt auf emails zu ver­zich­ten oder emails als ge­fahr dar­zu­stel­len, wird star­ke ver­schlüs­se­lung emp­foh­len. bei si­cher­heits­pro­ble­men oder da­ten­schutz­pro­ble­men for­dert netz­po­li­tik in den we­nigs­ten fäl­len die be­trof­fe­nen diens­te ab­zu­stel­len, son­dern tech­ni­sche und or­ga­ni­sa­to­ri­sche ver­bes­se­run­gen; zwei-fak­tor-au­then­ti­fi­zie­rung und star­ke pass­wör­ter, statt abs­ti­nenz von der di­gi­ta­len teil­ha­be.

das meis­te von dem was jan gir­lich in sei­nem kur­zen ar­ti­kel zu­sam­men­ge­tra­gen hat, deu­tet auf erns­te pro­ble­me. wir sol­len uns sorg­fäl­tig mit die­sen pro­ble­men aus­ein­an­der­set­zen: wie kön­nen wir si­cher­stel­len dass die teil­ha­be al­ler men­schen in der di­gi­ta­len welt ge­si­chert ist, wie kön­nen wir in der di­gi­ta­len welt pri­vat­s­hä­re si­cher­stel­len, wie kön­nen wir be­trug, dieb­stahl und kri­mi­na­li­tät ver­hin­dern? was mir über­haupt nicht ge­fällt ist stim­mungs­ma­che und das streu­en von angst und un­si­cher­heit durch un­red­li­che oder ein­sei­ti­ge ar­gu­men­ta­ti­on.


an­mer­kung/nach­trag:
bit­co­ins sind nicht an­onym und spur­los mei­nen vie­le, am bes­ten be­grün­det von tors­ten kleinz hier und fol­gen­den kom­men­ta­ren. nichts­des­to­trotz sind bit­co­ins (noch) schwer mit per­so­nen in ver­bin­dung zu brin­gen, wie es un­ter an­de­rem in die­sem ars tech­ni­ca ar­ti­kel steht:

Bit­co­in, a no­vel di­gi­tal cur­ren­cy ba­sed on cryp­to­gra­phy, pro­vi­ded a si­mi­lar­ly hard-to-trace me­thod of hand­ling pay­ments. Though an­yo­ne in the world could watch pay­ments flowing th­rough the Bit­co­in sys­tem, ty­ing par­ti­cu­lar ac­counts to in­di­vi­du­als could pro­ve ex­tre­me­ly chal­len­ging.