Ef­fi­zi­enz wird Fir­le­fanz (t3n 51)

felix schwenzel in t3n

Au­to­ma­ti­sie­rung und Ef­fi­zi­enz­stei­ge­rung be­glei­tet die Mensch­heits­ge­schich­te seit Jahr­mil­lio­nen. Un­ter dem Deck­man­tel der Ef­fi­zi­enz­stei­ge­rung ver­brin­gen Men­schen ei­nen Groß­teil ih­res Le­bens mit dem Ver­such, Zeit zu spa­ren. Mes­sun­gen an mir selbst sug­ge­rie­ren, dass wir un­ge­fähr die Hälf­te der Zeit, in der wir nicht schla­fen, mit der Su­che nach Zeit­spar­po­ten­zia­len ver­brin­gen. So gut wie je­des Werk­zeug, das der Mensch er­fun­den hat, vom Faust­keil, zum Mes­ser, vom Rad zum Au­to­mo­bil, vom Per­ga­ment zum Smart­pho­ne dien­te der Hoff­nung, mehr Zeit zur Ver­fü­gung zu ha­ben um an­de­re Din­ge zu ma­chen.

Das Pro­blem mit Ef­fi­zi­enz­stei­ge­run­gen, Au­to­ma­ti­sie­run­gen, ef­fek­ti­ven Werk­zeu­gen oder bahn­bre­chen­den neu­en Tech­no­lo­gien ist, dass wir die Mühe, die Auf­wän­de die wir vor der Er­fin­dung ei­nes neu­en Ef­fi­zi­enz­stei­ge­rungs­dings hat­ten, kurz nach er­folg­rei­cher Im­ple­men­tie­rung ver­ges­sen. Wir ge­wöh­nen uns so schnell an Ver­bes­se­run­gen, dass selbst eine Stei­ge­rung der Ef­fi­zi­enz um 100 Pro­zent, uns kur­ze Zeit spä­ter stark ver­bes­se­rungs­wür­dig vor­kommt.

Selbst in un­se­ren pfeil­schnel­len, per­fekt ge­fe­der­ten und kli­ma­ti­sier­ten Au­to­mo­bi­len, füh­len wir uns — sub­jek­tiv — nach fünf Stun­den Fahrt und an­dert­halb Stun­den Stau, wie nach ei­ner 2 tä­gi­gen, un­ge­fer­de­r­ten Post­kut­schen­fahrt. Wir re­gen uns über Leu­te auf, we­gen de­nen wir auf der Au­to­bahn ein paar Ki­lo­me­ter lang nur 120, statt 160 km/h fah­ren konn­ten. Wir ver­glei­chen Ef­fi­zi­enz, Kom­fort oder all­ge­mei­ne Mach­bar­keit nie mit dem vor­he­ri­gen oder ver­gan­ge­nen Zu­stand, son­dern stets mit ir­gend­ei­nem idea­li­sier­ten Op­ti­mal­wert.

Statt uns zu freu­en, dass wir we­der Koh­len schlep­pen, noch an­zün­den müs­sen, son­dern, dass sich die Hei­zung au­to­ma­tisch zum rich­ti­gen Zeit­punkt selbst zün­det, sit­zen wir, op­ti­mal tem­pe­riert, auf dem Sofa und über­le­gen wie man das ef­fi­zi­en­ter ma­chen könn­te: viel­leicht die Hei­zung per App re­geln?

Auch wenn mo­der­ne Trans­port­tech­no­lo­gien uns im­mer schnel­ler von A nach B brin­gen, die Net­to-Zeit, die wir mit dem Rei­sen ver­brin­gen, dürf­te sich in den letz­ten Jahr­hun­der­ten we­nig ver­än­dert ha­ben. Weil wir schnel­ler Rei­sen, kön­nen wir wei­te­re Stre­cken Rei­sen oder pen­deln. Wir ha­ben wir mehr Zeit zu ver­rei­sen, und nut­zen die auch. Weil sich im­mer mehr Men­schen Rei­sen leis­ten kön­nen, re­du­ziert sich die ge­won­ne­ne Zeit gleich wie­der in Staus und War­te­schlan­gen.

Ei­gent­lich kön­nen wir gar kei­ne Zeit spa­ren. In­tui­tiv, aus Er­fah­rung, wis­sen wir das. Ir­gend­was, ir­gend­wer ver­braucht die hin­zu­ge­won­ne­ne Zeit gleich wie­der.

Es ist nicht aus­zu­schlies­sen, dass die­ser Fort­schritt­druck, das dau­ern­de Hin­ar­bei­ten auf Op­ti­mie­run­gen und Au­to­ma­ti­sie­run­gen, die per­ma­nen­te Hoff­nung auf bes­se­re, schnel­le­re, op­ti­mier­te­re Zu­stän­de, (auch) ein Grund für un­se­re all­ge­mei­ne Un­zu­frie­den­heit ist. Mög­li­cher­wei­se spü­ren wir Über­fluss an Zeit und Zu­frie­den­heit erst dann, wenn wir uns mit den Un­zu­läng­lich­kei­ten und Um­ständ­lich­kei­ten des Le­bens ab­fin­den und auf­hö­ren im­mer Zeit spa­ren zu wol­len.

Noch bes­ser ist es aber viel­leicht, wenn wir die­se Am­bi­gui­tät to­le­rie­ren und ein­fach zu­ge­ben, dass es uns Spass macht Zeit zu spa­ren, Rou­ti­ne­ar­bei­ten zu au­to­ma­ti­sie­ren, De­tails zu op­ti­mie­ren. Ich ver­mu­te, der Drang zum Op­ti­mie­ren und Au­to­ma­ti­sie­ren liegt in un­se­rer Na­tur und ist ei­ner der Haupt­an­triebs­mo­to­ren für tech­ni­schen (und ge­sell­schaft­li­chen) Fort­schritt.

Im­mer­hin er­laubt uns die­ser Fort­schritt, un­se­re Zeit so zu ver­schwen­den, wie wir es ger­ne wol­len — und nicht so, wie die Um­stän­de es er­zwin­gen.

Statt Zu­hau­se im Stau zu ste­hen, ge­win­nen wir die Mög­lich­keit in New York im Stau zu ste­hen oder dort im Aldi-Süd-Ab­le­ger Trader Joe’s in der Kas­sen­schlan­ge zu ste­hen. Statt drei Tage mit der Post­kut­sche von Ham­burg nach Ber­lin zu Rei­sen, kön­nen wir nach 8 Stun­den Flug­ha­fen­an­fahrt, Si­cher­heits­kon­trol­len, Boar­ding und Un­boar­ding, Bus und Fäh­ren­fahr­ten im­mer noch an­dert­halb Tage mit tau­sen­den an­de­ren Tou­ris­ten durch die Gas­sen von Ve­ne­dig zwän­gen.

Mög­li­cher­wei­se dient der Fort­schritt gar nicht dem Fort­schritt, son­dern le­dig­lich der Um­schich­tung. Au­to­ma­ti­sie­rung spart kei­ne Zeit, son­dern ver­teilt sie ein­fach an­ders. So­lan­ge wir es aber schaf­fen den Weg als das Ziel zu be­trach­ten, ist das viel­leicht so­gar eine freu­di­ge Er­kennt­nis. An­ders ge­sagt: seit ich mich in­ten­si­ver mit Au­to­ma­ti­sie­rung be­schäf­ti­ge, ver­ste­he ich die­sen Satz von Al­bert Ca­mus end­lich:

Wir müs­sen uns Si­sy­phos als ei­nen glück­li­chen Men­schen vor­stel­len.