hoch und runter
ich weigere mich ja zu glauben, dass menschen grundsätzlich dumm und gemein sind und glaube unverdrossen weiter an das gute im menschen. besonders faszinierend finde ich den gedanken, dass vermeintlich dumme menschen, oder eher menschen mit intelektuellen einschränkungen, zu grösserer empathie und herzlichkeit neigen als neurotypische menschen. vielleicht deshalb, aber auch vielleicht weil es einfach gute filme sind, haben mich „forrest gump“ und „being there“ sehr berührt. in beiden filmen geht es um naive, vermeintlich dumme menschen, die durch zufall, fortüne oder missverständnisse am ende die gesellschaftliche leiter erklimmen. ihr weg nach oben wird nicht durch den wunsch nach oben zu kommen geebnet, sondern durch ihre naivität, gutherzigkeit und in gewisser weise ihrer fähigkeit zu lieben.
um so frustrierender ist es dagegen zu sehen, wie die republikaner in den USA offenbar ihre mitbürger durchgehend für dumm verkaufen, bzw. mindestens die hälfte der amerikanischen bevölkerung den republikanern und donald trump ihre lügen und verzerrungen abkaufen. oder andersrum gesagt, es sieht ja von aussen betrachtet durchaus so aus, als sei mindestens die hälfte der amerikanischen wähler der überzeugung, dass eine regierung unter trump ihnen oder ihren lebensumständen vorteile bringen würde.
wie weit das tatsächlich stimmt, dass die hälfte der amerikaner zu ihrem vorteil eine rassistische, autoritäre und menschenfeidliche politik in kauf nehmen, ist nochmal eine andere frage. die umfragen vor der jeweiligen wahl von trump lagen, soweit ich mich erinnere, stets gründlich daneben. in diesem sinne fand es erfrischend ein meinungsstück von mike brock auf techdirt zu lesen, der die meinung vertritt, dass die maga-bewegung sich in falscher sicherheit wiegt und die unterstützung ihrer politik in der amerikanischen bevölkerung kräftig überschätzt.
techdirt.com: MAGA’s Big Miscalculation
Believing they have unlimited mandate, they’re pushing policies that are actually generating the opposition they think they’ve eliminated. Every masked ICE raid, every family separation, every constitutional violation, every restriction on press access, every punitive fee on tech companies is not consolidating their power but mobilizing resistance they can’t see coming.
History is littered with movements that became so convinced of their own narrative that they lost touch with actual public sentiment. The more authoritarian they become, the more they surround themselves with true believers, making accurate assessment impossible. MAGA has achieved such perfect epistemic closure that they may genuinely believe their own propaganda about having “ended” the opposition
als ich den text las, keimten in mir durchaus hoffnungsschimmer auf, dass in den USA sich (endlich) widerstand gegen trumps regierung und die republikaner formieren könnte, aber solche leisen hoffnungsschimmer wurden bisher immer wieder von der realität von wahlergebnissen erstickt.
in diesem zusammenhang auch sehr lesenswert, thomas schmids abhandlung über götz alys „monumentale Studie“ über die NS-zeit „Wie konnte das geschehen?“.
Anders als alle anderen damaligen Parteien verfolgte die NSDAP einen klassenübergreifenden Ansatz und war weder konfessionell, noch regional festgelegt. Und auch ideologisch viel weniger einheitlich als heute allgemein vermutet wird. Was die Aufstiegsmöglichkeiten ihrer Anhänger anging, profitierte sie von der Bildungsrevolution, die im Kaiserreich begonnen hatte. Und ebenso davon, dass Deutschland 1918 eine Demokratie geworden war. Ein Mann wie Hitler, der von Anfang an nicht auf ein Vorankommen im „System“, sondern auf dessen Zerstörung gesetzt hat, hätte im Kaiserreich nicht die geringste Chance gehabt. Der Erfolg der NSDAP war auch eine Folge gesellschaftlicher Öffnung.
Wie gelang es Hitler und seinen Leuten, Zustimmung zu einem Regime der Gewalt zu finden? Es lag, so Aly, wohl wesentlich daran, dass die Gewalt lange nicht der prägende Zug des Regimes war, obschon sie von Anfang an dazu gehörte. Es entstand vielmehr eine Zustimmungsdiktatur, die den Vielen, die Arier waren und dazugehören wollten, attraktive Angebote machte. Das Regime betrieb eine offensive Sozialpolitik, erhöhte die Renten, sorgte für Kriegswitwen, schützte die Bauern vor Insolvenzen, machte den 1. Mai zu einem bezahlten Feiertag und eröffnete den unteren Schichten mit dem Programm „Kraft durch Freude“ bisher ungeahnte Freizeitmöglichkeiten. Und da durch die Entrechtung der Juden viele Stellen freiwurden und das Regime zusätzlich eine forcierte Politik des Staatsausbaus und der Arbeitsbeschaffung betrieb, gab es für eine große Zahl ehrgeiziger junger Männer und teilweise auch Frauen bisher ungeahnte Aufstiegsmöglichkeiten.
auch hier keimte bei mir hoffnung, dass trump vielleicht doch nicht all zu viel vom deutschen faschismus gelernt hat und es nicht schafft ausserhalb des wahlkampfs ein glaubwürdiges aufstiegs- oder wohlstandsversprechen für seine wähler abzugeben oder zu halten.
ich bin auch skeptisch, was der allgemein wahrnehmbare chor über die „gleischaltung“ der medien in den USA singt. natürlich ist es auch für unter steinen lebende sichtbar, dass die trump regierung alles daran setzt, kritische stimmen stummzuschalten und ihre eigenen narrative auf die massen prasseln zu lassen. ich glaube aber dass wir die wirkung von propaganda, aber auch von satire überschätzen. kimmel, stewart, colbert, mayers oder john oliver haben die wahl trumps nicht verhindert, genauso wie propaganda oder das radio allein nicht die macht der nazis oder der NSDAP ermöglicht oder erhalten haben. medien werden nicht konsumiert um meinungen zu bilden oder zu ändern, sondern um überzeugungen zu stützen. konkret: selbst wenn trump es schafen sollte alle kritischen stimmen aus den US-medien zu tilgen, wird er die zustimmung zu seiner politik nicht grossartig steigern. oder umgekehrt: late night shows wie die von jimmy kimmel, jon stewart, steven colbert, seth mayers oder john oliver verkleinern die trumps loyale basis auch keinen deut.
jeff jarvis ist kein optimist, aber in diesem text scheint hoffnung unter seiner resignation zu leuchten:
buzzmachine.com: Whither Colbert? Whither democracy
Mass media are dead. Larry Ellison et fils merely threw another shovelful of dirt on the coffin. Most newspaper chains are owned by hedge funds, cut to the stump and useless. Magazines are in hospice […]. Our national news, The Times and The Post — are irreparably broken. Terrestrial radio is the tower that falls in the forest, which nobody hears. Broadcast TV is the cultural Kmart. Cable has cooties. Streaming is sinking. Hollywood has no imagination. Books are suffering.
Trump is commandeering mass media because he thinks scale still makes stars and wields power. Joke’s on him: He’ll end up controlling a crumbling, cowardly relic of an age that opened in 1893, when magazine publisher Frank Munsey invented the attention economy, and began to close in 1993, with Mosaic and the link, which allow us all to become publishers. The masses don’t need media anymore. The masses are media.
The question is whether we — the people formerly seen as masses — can protect our voices and our independence from fascist authoritarians and craven capitalists.
wobei die frage natürlich gar nicht ist ob massenmedien funktionieren, ob social media wirklich meinungen beeinflussen kann oder nur emotionen schüren oder ob massenmedien ein „bröckelndes, feiges Relikt“ sind, sondern die frage geht ums prinzip. jimmy kimmel hat das schön gesagt, als er gestern nach 5 tagen zwangspause wieder online war.
This show is not important, what is important is that we get to live in a country that allows us to have a show like this.
apropos auf tote pferde einprügeln (massenmedien, zeitungen, radio, die google suche) und apropos „we — the people formerly seen as masses“: während die zeitungsverlage noch „leistungsschutzrecht“ schreiend herumrennen und versuchen geld aus google herauszupressen und die öffentlich rechtlichen zu zerschlagen, baut google schon lange am nächsten dominanz-imperium und monetarisierungsmonster, das sich schon seit jahren vor aller augen verbarg: video.
wenn man ben thomsons (lange) analyse dazu gelesen hat, kann man nachvollziehen, welche gigantische welle google da vor all unseren augen aufbaut — und kaum einer merkts — bis die welle in kürze über unseren köpfen bricht.
stratechery.com: The YouTube Tip of the Google Spear
[W]hile everyone immediately saw how AI could be disruptive to Search, AI is very much a sustaining innovation for YouTube: it increases the amount of compelling content in absolute terms, and it does so with better margins, at least in the long run.
[…]
Google already has the tip of the spear for its AI excellence to actually go supernova: YouTube, the hidden giant in plain sight, a business that is simultaneously unfathomably large, and also just getting started.
was ich möglicherweise sagen oder glauben will, als letzten kleinen gedankensplitter: der trick der autoritären, rechten weissen, alten männer, chaos zu säen um macht zu ernten und elend zu stiften könnte langfristig eine fehlkalkulation sein. von den massenmedien haben sie nichts zu befürchten, aber die disruptionen mit denen der technologische fortschritt in immer höherer taktung einschlägt und alles umwälzt, könnte die chaos-säer selbst ins chaos stürzen. wie in einer waschmaschine: was gestern oben war ist morgen unten.