Spie­len oder aus­ge­spielt wer­den (t3n 61)

felix schwenzel in t3n

Ich bin alt und er­fah­ren ge­nug, um zu wis­sen, dass auch ich ma­ni­pu­lier­bar bin. Als wir in der Schu­le Wer­bung ana­ly­si­ert und über ihre Stra­te­gien und Funk­ti­ons­wei­sen ge­spro­chen ha­ben, war ich eine Zeit lang über­zeugt, dass mich die­se paar Wis­sens­bro­cken ge­gen Wer­be­bot­schaf­ten im­mu­ni­sie­ren wür­den. Was na­tür­lich Quatsch ist. Wer­bung wirkt – und zwar im­mer an an­de­ren Stel­len, als wir an­ti­zi­pie­ren oder zu wis­sen glau­ben. Ge­nau­so wie Al­ko­hol wirkt: Das Wis­sen um sei­ne Schäd­lich­keit macht mich beim Trin­ken we­der zu­rück­hal­ten­der noch nüch­ter­ner.

Na­tür­lich wird auch Spaß zur Ma­ni­pu­la­ti­on ein­ge­setzt; das wuss­ten schon die rö­mi­schen Kai­ser, die si­cher nicht als ers­te die po­li­ti­sche Di­men­si­on von Spie­len (und Ge­trei­de) er­kann­ten. Auch ich las­se mich ger­ne auf Spie­le ein, hin­ter de­nen Pro­fit­in­ter­es­sen, Ma­ni­pu­la­ti­on oder Auf­merk­sam­keits­len­kung er­kenn­bar sind. So habe ich vor ei­ni­gen Jah­ren bei Fours­qua­re mit­ge­macht und Check-ins und ein paar Ma­yor­ships ge­sam­melt. Auch auf Face­book und Twit­ter habe ich ein paar Jah­re lang bei der Jagd auf Favs und Li­kes mit­ge­spielt, fand dann aber ir­gend­wann Be­schäf­ti­gun­gen, die mich mehr in­ter­es­sier­ten.

Spie­len zur Ver­hal­tens­for­mung wird auch in­ten­siv in der Hun­de­er­zie­hung ein­ge­setzt. Das ist für Hun­de eine gute Nach­richt, weil man frü­her glaub­te, (ver­meint­li­chen) Ge­hor­sam am bes­ten über Zwang, Stra­fe und Do­mi­nanz zu er­rei­chen. Ge­zielt ge­lenk­tes Spiel und po­si­ti­ve Ver­stär­kung ha­ben die al­ten Er­zie­hungs­me­tho­den – zu­min­dest bei Hun­den – mitt­ler­wei­le weit zu­rück­ge­drängt. Und wie man in die­sem Heft le­sen kann, ha­ben vie­le Un­ter­neh­men er­kannt, dass sich ge­schickt ge­lenk­tes Spiel und Spaß po­si­tiv auf die Un­ter­neh­mens­zie­le, Wer­be­er­lö­se oder das Er­rei­chen von ge­wünsch­ten Ver­hal­tens­wei­sen aus­wir­ken kön­nen. Das ist für uns Men­schen nicht un­be­dingt eine gute Nach­richt, auch wenn Ga­mi­fi­ca­ti­on, Nud­ging, Brot und Spie­le si­cher an­ge­neh­mer als Peit­sche oder Ge­heim­po­li­zei sind.

Der Knack­punkt beim Spie­len, bei der Un­ter­hal­tung und dem Ver­gnü­gen ist, dass sie sich re­la­tiv schnell ab­nut­zen und die An­sprü­che im­mer wei­ter stei­gen – zu­min­dest wenn man Men­schen zum Spie­len ani­mie­ren will (Hun­de sind da ge­nüg­sa­mer). Ir­gend­wann ist je­des Spiel durch­ge­spielt, und schlecht ge­stal­te­te und an­ge­leg­te Spie­le spielt eh kei­ner lan­ge.

Dass das Volk nach im­mer neu­en Ver­gnü­gungs­for­men giert, be­ka­men be­reits die rö­mi­schen Kai­ser zu spü­ren. Für ein paar Jah­re fand der „Plebs“ Ge­fal­len dar­an, da­bei zu­zu­se­hen, wie ein paar Gla­dia­to­ren dazu ge­zwun­gen wur­den, sich ge­gen­sei­tig ab­zu­ste­chen oder in der Are­na wil­de Tie­re zu tö­ten. Aber das reich­te re­la­tiv schnell nicht mehr. Karl-Wil­helm Weeber schreibt in Pa­nem et Cir­cen­ses, dass vie­le Kai­ser des­halb dar­in wett­ei­fer­ten, „ihre Vor­gän­ger an Pracht, Aus­stat­tung und Häu­fig­keit der Spie­le zu über­trump­fen“.

Beim mo­der­nen Kai­ser Zu­cker­berg ver­hält es sich ähn­lich: Wenn Face­book nicht stän­dig kon­kur­rie­ren­de Spaß- und Un­ter­hal­tungs-Un­ter­neh­men kauft oder ko­piert, wen­det sich das Pu­bli­kum ab.

Was Macht­ha­ber un­be­dingt ver­hin­dern wol­len, ist für das Volk da­bei eine Chan­ce: Mal nach ei­ge­nen Spiel­re­geln zu spie­len. Über­haupt spie­len zu kön­nen, ist näm­lich eine der gro­ßen Stär­ken der Mensch­heit. Ne­ben Hun­den und ei­ni­gen Haus­tie­ren sind Pri­ma­ten eine der we­ni­gen Tier­ar­ten, die bis ins hohe Al­ter ger­ne spie­len. Durch Spie­len er­fah­ren und eig­nen wir uns die Welt auch im Er­wach­se­nen­al­ter an.

Der nie­der­län­di­sche Kul­tur­his­to­ri­ker Jo­han Hui­zin­ga be­haup­te­te schon 1938 in Homo Lu­dens, dass das Spiel neue Wel­ten jen­seits der All­tags­welt her­vor­zu­brin­gen ver­mag, ge­ra­de weil es et­was Über­flüs­si­ges ist. Spiel, schreibt er, trei­be die kul­tu­rel­le Ent­wick­lung in den un­ter­schied­lichs­ten Be­rei­chen – von Recht über Wis­sen­schaft bis zu Dich­tung und Kunst – vor­an.

Vor­ge­fer­tig­te Spie­le mit­zu­spie­len, sich auf ga­mi­fi­zier­tes Ge­döns ein­zu­las­sen, hilft si­cher beim Ver­ständ­nis der Welt, aber selbst­be­stimm­tes Spiel nach ei­ge­nen Spiel­re­geln schafft po­ten­zi­ell Neu­es, in­spi­riert die Krea­ti­vi­tät — und wer frei spielt, lernt, sich selbst zu ma­ni­pu­lie­ren, statt sich nur von an­de­ren len­ken zu las­sen.

Denn: Wer nach ei­ge­nen Re­geln spielt, be­lohnt sich selbst und ist nicht dar­auf an­ge­wie­sen, Be­loh­nun­gen im Netz oder auf der Ar­beit hin­ter­her­zu­het­zen.