blumentopf-rhetorik

felix schwenzel

apro­pos rhe­to­rik. hier ist ein full-quo­te (sor­ry! bit­te nicht die un­ter­zeich­ner vom hei­del­ber­ger ap­pell vor­bei­schi­cken!) von mar­tin re­cke vom fisch­markt.de:

Wer verstehen will, warum Gesetze wie dasZensursula-Gesetzauch gegen den Widerstand von über 130.000 Unterzeichnern derPetition gegen Internetsperrenbeschlossen werden, der hat in dieser Woche zwei Verständnishilfen bekommen. Am Montag stellte sichDirk Hillbrecht, immerhin der Vorsitzende der Piratenpartei, einer Diskussion mit dem alten CDU-Fuchs Rupert Scholz. Undbekam kräftig Prügel.

Heute nun druckt die Zeit ein Gespräch zwischen Ursula „Zensursula“ von der Leyen höchstselbst und Franziska Heine, der Initiatorin jener Petition. Sie war der ministeriellen Rhetorik nicht gewachsen. Und ging sang- und klanglos unter.

Es hilft nichts: Recht zu haben (oder das wenigstens zu meinen) und die vermeintlich besseren Argumente genügt nicht. Piraten und Petenten müssen auch rhetorisch auf Augenhöhe mit Politikern diskutieren können. Wenn sie aus der Nische herauswollen. Beim derzeitigen Zustand ihrer politischen Rhetorik ist sonst kein Blumentopf zu holen.

das seh ich an­ders. die dis­kus­si­on mit dirk hill­brecht habe ich nicht ge­se­hen, nei­ge aber dazu mich dem ur­teil vom surf­guard an­zu­schlies­sen:

Ich würde sagen, die Piratenpartei hat gestern Senge bekommen, aber ihre Kogge wurde keineswegs versenkt. Und beim nächsten Mal weiß man etwas genauer, wo der Feind steht und dass er sich nicht scheut, unfair zu kämpfen.

das in­ter­view mit fran­zis­ka hei­ne habe ich ge­le­sen und wür­de auch hier sa­gen, dass un­fair ge­kämpft wur­de, hei­ne aber durch­aus die wich­tigs­ten ar­gu­men­te vor­brin­gen konn­te und sich an­stän­dig ge­schla­gen hat. na­gut. ein wich­ti­ges ar­gu­ment fehl­te, näm­lich die fra­ge nach der ge­wal­ten­tei­lung, bzw. war­um für das in­ter­net an­de­res recht gel­ten soll, als für die an­de­ren „räu­me“. war­um das BKA eine ge­hei­me sperr­lis­te er­stel­len soll, die nicht in je­dem ein­zel­fall von ei­nem rich­ter ge­prüft wird, hät­te ich schon ger­ne ge­fragt.

wel­che rhe­to­ri­schen blu­men­töp­fe hat ur­su­la von der ley­en denn im ge­spräch ge­won­nen?

Die Technik der Zugangssperren führt dazu, dass wir jetzt erstmals systematisch kinderpornografische Websites identifizieren. Das stärkt auch den Kampf um das Schließen der Quellen, den wir über Ländergrenzen hinweg mit Interpol und Europol führen.

wenn das so stimmt ist das eine bank­rott­erklä­rung für das BKA. das BKA be­kämpf­te bis­her den kin­des­miss­brauch un­sys­te­ma­tisch? was spricht da­ge­gen be­reits jetzt eine sys­te­ma­ti­sche lis­te mit il­le­ga­len in­hal­ten zu füh­ren und über die lan­des­gren­zen hin­weg zu ko­or­di­nie­ren? von der ley­en legt noch­mal nach:

Durch die systematische Suche, durch den internationalen Austausch und die Erstellung einer Datenbank, die die Inhalte der Seiten analysiert und vergleicht, ist die polizeiliche Arbeit der Täterverfolgung viel effizienter und systematischer.

was ge­nau spricht denn da­ge­gen auch ohne das ge­setz zur sper­rung von sei­ten sys­te­ma­tisch zu su­chen und eine da­ten­bank die in­hal­te im in­ter­net ana­ly­siert und ver­gleicht auf­zu­bau­en? ent­we­der das ist ein schein­ar­gu­ment oder das BKA liegt or­ga­ni­sa­to­risch völ­lig am bo­den — oder von der ley­en lügt.

hei­ne hat dar­auf mei­ner mei­nung nach rich­tig ge­ant­wor­tet:

Das Hauptproblem bleibt - die mangelhafte Ausstattung der zuständigen Beamten. Wenn Inhalte gemeldet werden, passiert wochen- und monatelang gar nichts.

auf die fra­ge, ob es stimmt, dass die po­li­tik „die Ar­gu­men­te ge­gen die Netz­sper­ren nicht wahr­nimmt“, sagt von der ley­en „Nein, im Ge­gen­teil. Der Pro­zess ist aus­ge­spro­chen po­si­tiv.“ zwei ab­sät­ze spä­ter sagt sie das ge­gen­teil: „[Ich hof­fe sehr], dass Men­schen wie Fran­zis­ka Hei­ne kon­kre­te Vor­schlä­ge ma­chen, wie sie ihre Kom­pe­tenz ein­brin­gen wol­len, da­mit die Kin­der­por­no­gra­fie im In­ter­net auf al­len Ebe­nen be­kämpft wer­den kann.“ da hat sie wohl ein paar ar­gu­men­te oder vor­schlä­ge nicht wahr­ge­nom­men. was na­tür­lich auch ein rhe­to­ri­scher trick ist, der ver­sucht die schuld an der man­geln­den be­kämp­fung von kin­des­miss­brauch den kri­ti­kern ih­rer mass­nah­men in die schu­he zu schie­ben. spä­ter sagt sie:

Es darf keinen Bereich geben, in dem andere Regeln gelten als sonst im Alltag.

so is­ses. im all­tag kommt es im­mer schlecht an, wenn man mit fal­schen zah­len oder frag­wür­di­gen um­fra­gen ar­gu­men­tiert, wenn man das leid an­de­rer für ei­ge­ne zwe­cke in­stru­men­ta­li­siert, wenn man lügt oder aus ei­ner po­si­ti­on der stär­ke an­de­re zu zu­ge­ständ­nis­sen oder zur un­ter­zeich­nung von frag­wür­di­gen ver­trä­gen zwingt oder wenn man men­schen die an­de­re an­sich­ten über die bes­te lö­sung ha­ben mit rhe­to­ri­schen pi­rou­et­ten in die nähe von kin­der­schän­dern rückt.

war­um ei­gent­lich gel­ten die nor­ma­len an­stand­re­geln in der po­li­tik nicht? war­um gilt der­je­ni­ge, der am bes­ten tak­tiert, rhe­to­risch am ele­gan­tes­ten lügt oder agi­tiert und sich bei sei­nen schwei­ne­rei­en nicht er­wi­schen lässt, als gu­ter po­li­ti­ker und nicht der­je­ni­ge der nicht auf tricks, rhe­to­ri­sches stroh- und stör­feu­er an­ge­wie­sen ist, son­dern auf die kraft sei­ner ar­gu­men­te ver­traut? war­um zielt die po­li­tik fast im­mer auf die dis­kre­di­tie­rung ih­rer geg­ner ab, statt sie mit ar­gu­men­ten nie­der­zu­rin­gen? wenn die deut­sche po­li­tik et­was von ba­rak oba­ma ler­nen kann, dann wie er zu­min­dest den ein­druck er­we­cken konn­te, die wahl mit ar­gu­men­ten und nicht mit dis­kre­di­tie­rung sei­nes geg­ners ge­win­nen zu wol­len.

und das ge­fiel mir an fran­zis­ka hei­nes ant­wor­ten. sie liess sich nicht dar­auf ein, die ne­bel­ker­zen-rhe­to­rik mit ei­ge­nen ne­bel­ker­zen zu kon­tern, sie sprang nicht auf von der ley­ens ar­ro­gant-pro­vo­kan­te tant­chen-rhe­to­rik an („was sind 130tau­send, ver­gli­chen mit 40 mil­lio­nen in­ter­net­nut­zern?“, „sie müs­sen halt ihre kom­pe­ten­zen ein­brin­gen!“, „pro­test mit ei­nem maus­klick ist ja ein­fach, sie müs­sen mehr­hei­ten über­zeu­gen!“). sie ar­gu­men­tier­te ein­fach, ver­ständ­lich und nicht rhe­to­risch auf­ge­bla­sen. ich für mei­nen teil habe die schnau­ze ge­stri­chen voll ge­nug von dem un­er­träg­li­chen po­li­ti­ker­sprech, dass nie­mals schwä­chen oder feh­ler ein­ge­steht, das im­mer selbst­lo­bend und selbst­ver­liebt klingt, stets pau­scha­li­siert und ko­mi­scher­wei­se ge­nau dann als bril­li­ant gilt, wenn es mög­lichst un­ver­ständ­lich ist.

[nach­trag]
sehe ge­ra­de, das tors­ten kleinz be­reits das idio­ti­sche pseu­do-ar­gu­ment von ur­su­la von der ley­en aus­ein­an­der­ge­nom­men hat.