klugscheissen

felix schwenzel, , in wirres.net    

klugscheisserei reizt mich. aber besonders reizt sie mich, wenn sie vom spiegel kommt. in der print-ausgabe von montag, schrob der spiegel in einer notiz unter anderem:

Die Informatikerin [Marissa Mayer] ist im achten Monat schwanger. Vor ihrem überraschenden Wechsel an die Spitze der Internetfirma Yahoo war Mayer als Managerin beim direkten Konkurrenten Google tätig. Das Baby, dessen Geburt für Oktober ausgerechnet ist, sollte die Karriere der US-Amerikanerin kaum beeinträchtigen.

so weit, so egal. einige leser meinten an diesem sätzen aber ungereimtheiten festzustellen. so schreibt der spiegel heute auf seiner facebookseite:

Viele Spiegel-LeserInnen stutzten - und fragten sich und später auch uns über unsere Leserbrief-Redaktion: Könnt ihr beim SPIEGEL nicht rechnen? Einige empfahlen den vermeintlichen Patzer für eine andere beliebte SPIEGEL-Rubrik, den "Hohlspiegel". Auf diese Idee kamen auch unsere KollegInnen von der "taz". Sie verzichteten gleich ganz auf das Fragezeichen und verliehen dem SPIEGEL gestern ihre "Gurke des Tages". Zehn bis elf Monate Schwangerschaft, das sei dann ja "fast schon wie bei Elefanten".

Sie alle sind mit ihrer Fehler-Diagnose nicht allein. Am Montag war schon Chefredakteur Georg Mascolo über die Passage gestolpert, bei der internen Heftkritik der Redaktion.

in den folgenden 10 absätzen erklärt der spiegel dann, dass die rechnung durchaus korrekt sei:

„Unsere Meldung erschien in der 30. Schwangerschaftswoche, also im 8. Monat“, so der spiegel. mediziner zählen 40 schwangerschaftswochen, somit sind es also vom 23. juli, an dem der spiegel erschien, bis zum 4. oktober, dem prognostizierten geburtstermin, 10 wochen. kann man nachrechnen, stimmt alles. dann hat der spiegel also recht und alles ist gut. alles klargestellt, bzw. wie der spiegel es ausdrückt: „Soviel zur medizinischen Aufklärung.“

der satz mit der „medizinischen Aufklärung“ ist sicher harmlos gemeint, stösst mir aber dennoch auf, weil ich meine, hier eine typische spiegel-haltung durchscheinen zu sehen: auf der einen seite der spiegel, mit seiner dokumentation, die alle fehler ausfiltert, auf der anderen seite die leser, die aufgeklärt werden müssen, weil sie die korrekte („präzise“) darstellung nicht auf anhieb verstehen.

genau diese haltung, diese polierte arroganz, ist es, die mich am spiegel seit jahren stört. statt einfach klar und deutlich einzuräumen, dass die meldung ungeschickt oder missverständlich formuliert war, ein langer sermon, der den schwarzen peter dem leser und der feindseligen konkurenz zuschiebt. in diesem fall wissen spiegel-leser erst mehr, wenn sie die nachbesprechung der heftkritik auf der facebookseite des spiegels lesen. neues motto: facebookseitenleser des spiegels wissen mehr.

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wie hätte der spiegel die meldung denn unmissverständlich schreiben sollen, könnten spiegelredaktionsverteidiger jetzt fragen. ganz einfach:

Die Informatikerin ist in der 30. Woche schwanger. […] Der prognostizierte Geburtstermin, der für den 4. Oktober ausgerechnet ist, sollte die Karriere der US-Amerikanerin kaum beeinträchtigen.

so machen ärtzte das auch. sie reden nicht von schwangerschaftsmonaten, sondern von schwangerschaftswochen (SSW). einerseits weil ein kalendermonat bis zu drei tage länger ist als ein vierwöchiger schwangerschaftsmonat, andererseits, weil so von vorneherein klar ist, dass man von der medizinischen zählweise spricht, die 40 SSW zählt.

„vernünftige gynäkologen“ reden von schwangerschaftswochen, so drückt es mein vater aus, der gynäkologe mit dem ich ungefähr 20 jahre meines lebens verbracht habe (umgerechnet ca. 1000 wochen, in denen er als gynäkologe ungefähr 6 schrillionen babys zur welt gebracht hat und mich ebenso oft korrigiert hat, wenn ich von „schwangerschaftsmonaten“ gesprochen habe). ich vermute — ohne weitere rücksprache mit meinem vater — „vernünftige gynäkologen“ gehen damit vor allem missverständnissen bei der kommunikation aus dem weg.

statt kompliziert zwischen medizinischen und alltagssprachlichen monatskonventionen hin und her zu rechnen, wäre eine formulierung mit schwangerschaftswochen klar wie fruchtwasser gewesen. so klar, dass auch der „Chefredakteur Georg Mascolo“, trotz ihrer huntertprozentigen und dokumentierten korrektheit, nicht über die passage hätte stolpern müssen.

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hätte der facebookeintrag zur mayer-meldung klar und deutlich eingeräumt, dass dem spiegel hier eine missverständliche formulierung rausgeschlüpft ist, könnte der spiegel von mir aus die nächsten 10 jahre auf der korrektheit des „im achten Monat schwanger“ rumreiten. ich hätte das facebook zugeklappt und gesagt: gute idee, auf facebook einzelne artikel, fakten und hintergründe aus der redaktion oder der dokumentation zu besprechen. das sollte der spiegel regelmässig machen!

aber so ist der spiegel nicht gestrickt. fehler oder ungeschickte formulierungen macht der spiegel nicht. der spiegel, dass sturmgeschütz der dokumentation und korrektheit.

blöd ist allerdings, dass der facebookeintrag nicht durch die dokumentation oder den gesunden menschenverstand gelaufen zu sein scheint. denn der verfasser oder die verfasserin des facebookeintrags spricht zweimal von einer „hochschwangeren“ marissa mayer:

Hätten wir vermeiden können, dass so viele Leser über die Stelle stolpern? Klar, ganz einfach, zum Beispiel indem wir einfach nur "hochschwanger" geschrieben hätten, statt einer präzisen Monatsangabe.

hochschanger in der 30. schwangerschaftswoche? mit 10 wochen restschwangerschaft? wie nennt man dann eine schwangere in der 38. SSW? ultrahochschwanger? in der 39. SSW extrem ultrahochschwanger? höchstschwanger? ich habe heute meinen vater auch dazu gefragt: er meint der begriff „hochschwanger“ sei einerseits „nicht klar festgelegt“ und werde andererseits von medizinern kaum noch benutzt. seiner auffassung nach sei eine frau aber ab der 36. SSW „hochschwanger“. demnach wäre marissa mayer also ungefähr ab anfang september „hochschwanger“.

was ist eigentlich am wort „schwanger“ so falsch. wozu die rhetorische dramatik?

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klar bin ich mit meinerm vorwurf an den spiegel rechthaberisch und arrogant zu sein, selbst rechthaberisch. und ich weiss auch, dass ich dazu neige mich missverständlich auszudrücken und fehler zu machen. aber vor allem weiss ich, ebenfalls aus eigener erfahrung, wie lächerlich man sich macht, wenn man missverständnisse, für die man selbst verantwortlich ist, ohne einen hauch von demut oder „uups“ aufzuklären versucht oder dem leser (oder der frau) die schuld am missverständnis gibt.

das mit der augenhöhe, wird der spiegel nie hinbekommen. die fassade des neuen spiegelgebäudes in hamburg besteht übrigens aus glas und elfenbeinimitat.

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der ursprüngliche facebookeintrag wurde vom spiegel gelöscht, damit auch mindestens 10 kommentare und 24 likes. gegen 19 uhr wurde der eintrag neu gepostet. ein hinweis dazu findet sich unter dem eintrag nicht. einziger unterschied zum vorherigen text in der neuen version: hauke janssen, der chef der spiegel-dokumentation, schreibt sich jetzt korrekt mit zwei s (vorher nur mit einem). ausgerechnet!