kaffeehäuser

felix schwenzel

>

vor (sehr) vie­len jah­ren träum­te ich da­von ein­mal ein kaf­fee­haus zu be­trei­ben. es war kein son­der­lich rea­lis­ti­scher wunsch, son­dern eine ei­gen­tüm­li­che fas­zi­na­ti­on die ich mit ei­nem et­was idea­li­sier­ten bild von kaf­fee­häu­sern ver­band. das eine bild das mir nicht aus dem kopf ging war ein ty­pi­sches fran­szö­si­sches café in dem man mor­gens im son­nen­schein an ei­nem klei­nen bis­tro­tisch sass, milch­kaf­fee trank und ein scho­ko­crois­sant ass. milch­kaf­fee schmeckt nir­gend­wo so gut wie im frü­hen son­nen­schein an ei­nem bis­tro­tisch un­ter ei­ner grü­nen mar­ki­se.

die­se er­in­ne­rung muss sich vor un­ge­fähr 25 jah­ren wäh­rend mei­ner ers­ten in­ter­rail-rei­se in ar­cachon in mein ge­däch­nis ein­ge­brannt ha­ben. ver­mut­lich hat­ten wir vor­her im schlaf­sack auf ei­ner düne am strand ge­schla­fen, was den ge­schmack des milch­kaf­fees im son­nen­schein vor dem café wahr­schein­lich noch­mal ver­bes­sert hat.

an­de­re er­in­ne­run­gen die ich nicht mehr aus mei­nem ge­däch­nis be­kom­me sind die an wie­ner kaf­fee­häu­ser. auch dort war es wahr­schein­lich nicht so sehr der ge­schmack des kaf­fees, son­dern das am­bi­en­te, die ei­gen­tüm­lich alt­mo­di­sche art be­dient zu wer­den und die gleich­zei­tig­keit von oh­ren­be­täu­ben­dem lärm von ge­schirr, stim­men­ge­wirr, mu­sik und ab­so­lu­ter ruhe. eine ruhe die ein­kehrt, wenn ei­nen lärm, mit dem man nichts di­rekt zu tun hat und der laut, aber nicht wirk­lich stö­rend ist, wie wat­te ver­packt und zu ei­ner in­ne­ren ruhe führt, die ich nur aus ca­fés oder kaf­fee­häu­sern ken­ne.

na­tür­lich wuss­te ich im­mer, dass ei­nen kaf­fee­haus­be­trei­ber die­se ruhe nicht un­be­dingt so er­fasst, wie sie die gäs­te er­fas­sen kann. im ge­gen­teil, ein café zu be­trei­ben ist wahr­schein­lich ein ziem­lich stres­si­ger job, wes­halb ich wohl auch nie ein café er­öff­net habe.

aber kaf­fee­häu­ser ha­ben noch eine an­de­re ei­gen­schaft die mich vom ers­ten be­such an fas­zi­niert hat; sie sind das na­tür­li­che ha­bi­tat von in­tel­lek­tu­el­len. zu­min­dest emp­fand ich das da­mals so. ein blick in die ge­schichts­bü­cher wi­ki­pe­dia be­stä­tigt mei­ne ver­mu­tung al­ler­dings:

Unter anderem Habermas betont in seinem Werk Strukturwandel der Öffentlichkeit die Funktion der Kaffeehäuser als wichtigen Bereich der öffentlichen Sphäre, durch die sich eine bürgerliche Öffentlichkeit etablieren konnte.

Aber nicht nur die Geschäftsleute hatten ihre Kaffeehäuser, es gab ebenso Stammcafés für Literaten (etwa das berühmte „Will’s“, in dem John Dryden Hof hielt, auch Alexander Pope verkehrte hier, oder das „Smyrna“, das Jonathan Swift und Daniel Defoe zu seinen Gästen zählte), für Gelehrte („The Grecian“), Juristen und Spieler. Kennzeichnend für Kaffeehausgesellschaften war die Überwindung von Standesdünkel – hier saßen einfache Leute und Adlige am selben Tisch zusammen und redeten über die Weltlage im Allgemeinen und ihre Geschäfte im Besonderen.

wikipedia.org

im oben ver­link­ten ar­ti­kel heisst es dann wei­ter, dass kaf­fee­häu­ser auch „der Ur­sprung des Post­we­sens“ ge­we­sen sei­en und „hin­sicht­lich der Ent­wick­lung der Zei­tung“ eine be­deu­te­ten­de rol­le ge­spielt hät­ten.

dass in mo­der­nen kaf­fee­häu­sern ta­ges­zei­tun­gen und zeit­schrif­ten für die gäs­te aus­la­gen, war zen­tra­ler be­stand­teil mei­ner ju­gend­phan­ta­sie. wie gross­ar­tig das wäre, ein café zu be­trei­ben, in dem alle mög­li­chen zei­tun­gen aus al­ler welt aus­la­gen. wäre ich kaf­fee­haus­be­trei­ber ge­wor­den, wäre die zei­tungs­aus­wahl si­cher­lich sehr ex­qui­sit ge­we­sen, wahr­schein­lich er­le­se­ner als die kaf­fee­qua­li­tät oder der ser­vice.

zei­tun­gen sind, wie bü­cher, guck­lö­cher in die welt. man konn­te mit ih­nen, da­mals vor 20 jah­ren, selbst mit kä­se­blät­tern wie den aa­che­ner nach­rich­ten, in die gros­se wei­te welt schau­en. oder im ur­laub zu­rück in die hei­mat bli­cken. zei­tun­gen wur­den auch da­mals schon zum ver­pa­cken von fisch oder por­zel­lan be­nutzt, aber trotz­dem wa­ren sie da­mals wert­voll. weil sie der bei­na­he ein­zi­ge weg wa­ren auf ei­ni­ger­mas­sen ver­nünf­ti­ge und re­flek­tier­te art und wei­se in die welt zu schau­en, oder ei­nen blick in die ma­schi­nen­räu­me zu wer­fen, die die welt am lau­fen hiel­ten.

mein kaf­fee­haus­traum stirbt seit ei­ni­gen jah­ren, ge­nau­so wie die zei­tun­gen ster­ben. vor zwan­zig jah­ren habe ich ge­le­gent­lich noch 10 oder zwan­zig mark für eine ein paar tage alte aus­ga­be der new york times be­zahlt. vor 16 jah­ren habe ich mehr­fach 20 oder 30 mark für eine aus­ga­be der wired be­zahlt. seit ein paar jah­ren ma­che ich das nicht mehr — oder kaum noch. ers­tens gibt es in­ter­na­tio­na­le ma­ga­zi­ne und zei­tun­gen ziem­lich ak­tu­ell und güns­tig auch über­all in deutsch­land am ki­osk und zwei­tens das in­ter­net.

und das in­ter­net ist ge­nau das ge­wor­den, was ich mir da­mals als idea­les kaf­fee­haus vor­ge­stellt habe. zeit­schrif­ten und zei­tun­gen aus al­ler welt hän­gen kos­ten­los rum, über­all sit­zen in­tel­lek­tu­el­le, es herrscht lärm und rau­schen — und doch fin­det man hier sei­ne in­ne­re ruhe (bei­spiels­wei­se wenn man ins in­ter­net rein­schreibt). das in­ter­net ist ein wich­ti­ger be­reich der öf­fent­li­chen sphä­re, in dem sich der­zeit eine neue öf­fent­lich­keit eta­bliert. li­te­ra­ten und ko­lum­nis­ten hal­ten im in­ter­net hof, sind an­sprech­bar und man re­det über die welt­la­ge und ge­schäf­te. auch das post­we­sen hat sich im in­ter­net neu er­fun­den und es hat be­deu­ten­den ein­fluss auf neue for­men des jour­na­lis­mus.

viel­leicht ist die­se web­site ge­nau die er­fül­lung mei­nes al­ten traums, nicht nur mein di­gi­ta­les zu­hau­se (oder hei­mat), son­dern mein klei­nes kaf­fee­haus. nicht be­son­ders gross oder irre fre­quen­tiert, aber meins, so ein­ge­rich­tet wie ich es mag, ein biss­chen ge­müt­lich und durch­ge­hend of­fen für gäs­te, die manch­mal so­gar was in die kaf­fee­kas­se wer­fen. zei­tun­gen ver­öf­fent­li­chun­gen aus al­ler welt lie­gen für alle be­su­cher kos­ten­los aus, teil­wei­se so­gar mit emp­feh­lun­gen vom wirt.

an­de­rer­seits gibts im in­ter­net kei­nen ku­chen und kei­ne wie­ner me­lan­ge.


[nach­trag 25.02.2013]
sehr schö­ner ar­ti­kel in der zeit: you­tube als sa­lon des 21. jahr­hun­derts. der ar­ti­kel ist auch gut für mu­sik­muf­fel wie mich les­bar. /via ma­xi­mi­li­an bud­den­bohm