digitising europe — eradicating net neutrality

felix schwenzel, , in wirres.net    

gasometer in berlin schöneberg

vodafone hat mich heute auf die veranstaltung digitising europe im gasometer eingeladen. weil die kanzlerin auch auf der konferenz sprechen wollte, waren die sicherheitsvorkehrungen sehr, sehr hoch:

  • im vorfeld musste ich meinen geburtsort und mein geburtsdatum angeben. wegen dem BKA, wie es hiess.
  • nachdem wir (ich war mit dem nuf dort) uns unsere umhängeausweise abgeholt hatten und um kurz vor 10 ins gasometer gehen wollten, wurden wir dort abgewiesen, weil unsere umhängeausweise keinen roten punkt hatten.
  • also sind wir 200 meter zurück zum akkreditierungsschalter gegangen, haben uns dort rote punkte auf den umhängeausweis kleben lassen und konnten dann ins gasometer.
  • im gasometer musste ich meinen laptop einmal einschalten, um zu beweisen, dass mein laptop ein computer ist.
im gasometer bei #digitisingEU

im gasometer haben wir uns dann alle sehr sicher gefühlt.

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die rede von angela merkel war erstaunlich fluffig und im gegenteil zu ihren vorrednern, die beide leitende positionen bei vodafone innehaben, auch erstaunlich buzzwordfrei. ich mochte auch, dass merkel IT wie „informations-technologie“ aussprach und nicht wie „information technology“. weil ich mir keinen notizen gemacht habe, sind mir von angela merkels rede nur zwei dinge im gedächnis geblieben: merkel meinte, man solle bei innovationen, IT- und netztechnologien nicht nur die risiken betrachten, sondern auch die chancen. daraus leitete sie unter anderem ab, dass man beim thema datenschutz sowohl gesetzliche möglichkeiten schaffen müsse, die eine weitgehende personalisierung von kommerziellen angeboten ermögliche, als auch die kontrollmöglichkeiten einzelner, was ihre privatsphäre angeht, stärken müsse. auch wenn das natürlich eine sowohl-als-auch-aussage ist, kann man da eigentlich nichts gegen sagen und dieses sowohl-als-auch spiegelt sehr gut meine persönliche meinung zum datenschutz. wie sich das konkret auswirkt, wenn das in gesetzesform gegossen wird, könnte natürlich noch spannend werden.

bei der netzneutralität wurde merkel konkreter. sie wiederholte die seit kurzem bekannte (und falsche) regierungshaltung, dass sowohl das „freie, offene und allgemein zugängliche internet“ geschützt werden müsse, wie auch möglichkeiten für „innovative spezialdienste“ geschaffen werden müssten. heise zitiert merkel wie folgt:

„Innovationsfreundliches Internet heißt, dass es eine bestimmte Sicherheit für Spezialdienste gibt“, sagte sie. „Die können sich nur entwickeln, wenn auch berechenbare Qualitätsstandards zur Verfügung stehen.“ Diese „Spezialdienste“ sollten bevorzugt durchs Netz geleitet werden.

mich erinnert diese haltung ein bisschen an orwells farm der tiere (oder den CIA film animal farm)

Alle Dienste sind gleich, aber manche sind gleicher.

die gut lobbyierte regierungs-, bzw. telekomunikationsanbieterhaltung zur netzneutralität ist so absurd und unlogisch, dass sie eigentlich nur von bürokraten oder profitorientierten massanzugsträgern stammen kann. versucht man sie zu verbildlichen, kommt man auf aussagen wie:

wir sind für einen freien, offenen markt, aber bestimmten waren wollen wir zölle auferlegen, um innovationen zu fördern.

oder nochmal anders gesagt: das was merkel und die vO₂dakoms europas sich unter netzneutralität vorstellen, ist nicht der forsche ausbau des autobahnnetzes, sondern investitionen in profitabel erscheinende privatautobahnen, auf denen man, während der autobahnausbau schleppend oder gar nicht vorangeht, fürs vorankommen blechen muss.

das ist ja im prinzip legitim, nur leider haben telekomkonzerne nicht den mut offen zu sagen, dass sie ihre netze nur ausbauen wollen, wenn ihnen die netzneutralität nicht in die quere kommt und ihre geschäftsmodelle gefährdet. stattdessen verschleiern sie ihr profitstreben mit nebelkerzengerede von „innovation“, „sicherheit“ und „zukunftsfähigkeit“.

apropos innovation. wenn man den präsidenten, CEOs, CTOs heute zuhörte, könnte man denken, wow, die telekommunikationsbranche sprudelt ja nur so vor innovation. GSM, 1G, 2G, 3G, 4G und demnächst sogar 5G, smartphones, handys und demnächst noch innovativere, unvorstellbar schnelle dienste — wie toll sind diese konzerne denn bitte? irre, was die in den letzten 30 jahren so geschaffen haben.

und dann fällt einem wieder ein, wie die telekom, vodafone und wie sie alle heissen, jahrelang innovationen gebremst haben, indem sie, zum beispiel, telefonherstellern absurde vorschriften gemacht haben und so telefonfunktionen konsequent kastriert haben, um proprietäre und teure angebote zu pushen, die keiner wollte. errinnert sich noch jemand an WAP? i-mode? vor 14 jahren wurden diese dienste von den telekomunternehmen als heisser scheiss gepusht riesengrosse innovationen gefeiert - und niemand wollte sie und kaum einer nutzte sie.

damals, wie heute bei der aufweichung der netzneutralität durch sogenannte „schnelle überholspuren“, ist die motiviation solcher „innovationen“ in erster linie kaufmännisch. man macht sich hoffnungen, damit ganz viel geld verdienen zu können.

wenn man vodafone, der telekom, telefónica und all den anderen anbietern von netzdiensten die „innovationen“ überlässt, kommen sachen raus wie zur jahrtausendwende vizzavi, sperrung von telefonfunktionen wie bluetooth und infrarot, damit man fotos vom telefon lediglich (teuer) per MMS verschicken kann oder (überteurte und oft abo-basierte) downloadportale für klingeltöne und bilder. wenn man an dieses prä-smartphone-zeit zurückdenkt, assoziert man mit den netzanbietern eher innovationshemmer, als -treiber. wobei das heute nicht anders ist, man denke nur an den routerzwang, willkürliche drosselungen und nicht vorhandenenes internet in grossstadt-ubahntunneln.

die beste visualisierung der innovationskompetenz der grossen netzanbieter ist die absenz eines einfachen und breit akzeptierten mobilen bezahlsystems in europa. obwohl da seit 20 jahren kräftig „innovation“ betrieben wird, ist im endkundenmarkt genau gar nichts angekommen.

das war so ungefähr, was mir bei der selbstbeweihräucherung von vodafone und der telekommunkationsbranche heute im gasometer durch den kopf ging. und ich bin mir sehr, sehr sicher, dass die aufweichung der netzneutralität, die vodafone, die telekom, telefónica (usw.) erfolgreich als innovationsgarantie lobbyiert haben, genau die gleichen folgen haben wird, wie damals™: innovation ersticken, endkunden nerven, gründer ohne kapital benachteiligen und für eine weile ein paar lausige pennys in die taschen der netzanbieteraktionäre spülen.

bis wieder jemand von aussen kommt und die kleinlichen, gemeinwohlfeindlichen geschäftsmodelle der netzanbieter in der pfeife rauchen wird — so wie es apple, google, whatsapp, facebook, aber vor allem das offene, freie internet erst kürzlich getan haben.

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renée j. james rede über grosse datenmengen (big data) fand ich relativ beeindruckend, aber ihre folien waren wirklich sehr überambitioniert.

eine folie von renée j. james

jörg dräger redet englisch wie christoph waltz. sein vortrag war aber trotzdem — oder gerade deshalb — super.

ulf ewaldsson hat das bester sprecher-training aller vortragenden genossen. er hielt sich nicht mit details oder kleinkram auf, sondern wanderte an den grossen innovationslinien der telekomunikationsindustrie entlang, intonierte seine worte wie tim cook und war dabei trotzdem noch überzeugend und glaubwürdig.

matthew kirk hatte neben der moderatorin mishal husain den angenehmsten britischen akzent und könnte ohne kostümwechsel eine rolle in jedem beliebigen remake von 70er-jahre fernsehserien mitmachen. und mishal husain könnte ohne kostümwechsel in the newsroom mitspielen.

kenneth cukiers anzug passte nicht besonders gut, aber sein vortrag war einer der wenigen, in dem es nicht um die eigenen leistungen ging.

mischa dohler hatte rote schuhe an.

gerhard fettweis hatte das beste video dabei.

ijad madisch war der einzige vortragende ohne anzug und der einzige der das wort „fuck“ benutzt hat.

rich hume hat seinen wortbeitrag auf die sekunde genau beendet.

wer mir sagen kann, was kevin tao ausser 2G, 3G, 4G und 5G gesagt hat, erntet meine bewunderung.

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auch wenn das was ich oben über innovation und netzneutralität schrieb etwas negativ klingt, ich fand die veranstaltung heute sehr erhellend und für so eine selbstvergewisserungsnabelschau auch sehr divers. es ist erstaunlich, was sich in den letzten 20 jahren in der kommunkationsbranche getan hat und noch erstaunlicher, was sich mit allgegenwärtigen, schnelleren, besseren netzen noch alles denken lässt. vor allem zeigt sich, dass hier, in der netzinfrastruktur, der entscheidende (und kritische) punkt für die zukunft liegt. wie diese zukunft aussieht, wurde heute im inspirirenden, wie im beunruhigenden sinne deutlich. es zeigt sich vor allem, was wir alle, die politik, unternehmen, die gesellschaft, viel zu lange nicht erkannt haben: dass die netzinfrastrukturen viel zu wichtig sind, um sie alleine der profitorientierten privatwirtschaft zu überlassen. danke vodafone, für die erinnerung. vielleicht fasst das ja auch jemand so für angela merkel zusammen. die sz hat es mal versucht.

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[nachtrag 05.12.2014]
heise meldet, dass die bundesregierung bereits ein konzept in der schublade hat:

Spezialdienste dürften nur „bei ausreichenden Netzkapazitäten erbracht werden“, heißt es demnach in einem Konzept des Bundeswirtschaftsministeriums, auf das sich das Bundeskabinett nun geeinigt habe. Es wolle demnächst einen Vorschlag in die europäischen Verhandlungen einbringen.

Insgesamt plane die Regierung, ein offenes, gleiches Internet für alle und eine garantiert reibungslose Abwicklung von Spezialdiensten wie Video on Demand oder Telemedizin gegen Aufpreis. Spezialdienste dürften nicht diskriminierend auf andere Dienste wirken und andere Internetangebote nicht ersetzen. So soll die Vielfalt im Netz erhalten werden. Die Regulierungsbehörden sollen sicherstellen, dass diese Vorgaben eingehalten werden.

für mich hört sich das nach einem ähnlich undurchsichtigem gewurschtel wie beim leistungsschutzrecht an. wie wird „ausreichend“ definiert? wann genau, diskriminieren „spezialdienste“, wann nicht? hier scheinen sich grosse interpretationsspielräume zu öffnen und in der folge dann rechtsunsicherheiten.

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markus beckedahl auf netzpolitik.org:

Was immer klarer wird: Diese Bundesregierung möchte mangelnde finanzielle Unterstützung für den Breitbandausbau mit weniger Netzneutralitätsregeln für die Telekommunikationsunternehmen kompensieren.

Mit dem vorgelegten Positionspapier werden Drosselkom-Tarife legalisiert, aber derzeitigen Verletzungen der Netzneutralität nicht wirksam einen Riegel vorgeschoben. Das liest sich erstmal wie eine Mogelpackung.