was wollen wir eigentlich?

felix schwenzel, , in wirres.net    

wolfgang lünenbürger will nicht mit nazis reden, unter anderem weil: „Toleranz endet mit z“.

peter breuer meint: „wir werden wohl oder übel mit ihnen reden müssen.“

und ich weiss es nicht, glaube aber paradoxerweise, dass beide recht haben. vor allem, weil die grenzen eben nicht so klar zu ziehen sind, wie wolfgang lünenbürger das darstellt. andererseits bin ich ziemlich ratlos. ich weiss noch nicht mal mehr, ob ich es gut finde, sich über hassdeppen lustig zu machen, auch wenn das sehr gut gemacht ist, wie hier von „just luca“.

vielleicht ist auch was ganz anderes wichtig. so wie sich viele seit jahren abmühen narrative gegen die überwachung zu finden, sollten wir uns alle vielleicht künftig abmühen, narrative für die einwanderung und die integration deutschlands in europa und die welt zu finden.

so wie der begriff des datenschutz sicherlich nicht besonders geeignet ist, um gegen die ausgefeilten narrative der überwachungsbefürworter anzugehen („wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten“, „sicherheit!“), dürften diese (richtigen und wichtigen) worte von bodo ramelow kaum gegen idiotische narrative wie „das boot ist voll“ ankommen:

Sollte in diesem Zuwanderungsgesetz festgelegt werden, wie viele ausländische Fachkräfte benötigt werden?

Nein. Ich lehne sowohl eine Quote als auch eine Nützlichkeits-Debatte ab. Es geht vielmehr darum, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass unsere Geburtenrate zu niedrig ist, um die Sterberate auszugleichen.

was uns auch fehlt, ist ein positives narrativ um unser deutschlandbild zu beschreiben. ich bin zum beispiel nie in meinem leben auf die idee gekommen, zu behaupten ich sei „stolz“ darauf deutscher zu sein. im gegenteil, in meiner jugendzeit empfand ich unser land (und seine politik) eher beschämend (deutschlandhass, über den alan posener hier reflektiert, hatte ich allerdings auch nie). ich habe aber während meines ersten längeren auslandsaufenthalt gemerkt, dass ich deutschland und viele der lebensweisen hier doch sehr schätze, vor allem die kritische und unpathetische haltung unserer eigenen geschichte gegenüber, aber auch eine gewisse rationalität und distanz zu unserer rolle in der welt.

aber ich glaube wir haben alle auf halben weg aufgehört uns gedanken darüber zu machen, wie man ein positives deutschlandbild aufbauen könnte oder deutsch-sein neu, konstruktiv, inklusiv und menschenfreundlich definieren könnte. uns fällt es immer noch irre schwer, menschen mit anderer hautfarbe oder herkunft als deutsche zu bezeichnen. noch immer muss man durch bürokratische, kafkaeske mühlen laufen, um als deutscher staatsbürger anerkannt zu werden, statt einfach zu sagen, wer in deutschland geboren wurde, ist deutscher. warum fällt es uns so schwer die europäische integration, das zusammenrücken der europäischen staaten positiv darszustellen oder gar als erstrebenswertes nationales ideal anzusehen? warum fällt es uns so schwer uns zuerst als weltbürger, als europäer und dann als deutsche zu begreifen? so wie jemand in dallas zuerst amerikaner ist und erst dann texaner.

warum glauben wir in einer vernetzten, voneinander wirtschaftlich und politisch auf allen ebenen verwobenen welt, immer noch, nationale interessen seien wichtiger als europäische? wie kommt es, dass wir glauben, deutschland sei ohne dichte wurzeln und verästelungen in alle teile der welt irgendwie überlebensfähig?

warum glauben wir immer noch, wir müssten armen ländern („afrika“) helfen, statt zu erkennen, dass wir uns der welt öffnen müssen und andere, schwächere, staaten oder menschen zur abwechslung auch mal gerecht und fair behandeln müssten, statt immer nur auf unsere (wirtschaftlichen, politischen) vorteile zu bedacht sein?

oder ganz anders gefragt: kann es sein, dass wir in den letzten jahrzehnten verpasst haben, tragfähige ideen zu entwickeln, welche rolle wir in der welt spielen wollen und welche rolle die welt in uns spielen soll? warum glauben wir immer noch, isolation sei eine alternative zur globalisierung? warum glauben wir immer noch, deutsch-sein habe etwas mit der hautfarbe oder herkunft zu tun?

ich glaube eines der (vielen) probleme, dessen auswirkungen wir jetzt zu spüren bekommen, ist die unbeantwortete frage nach unserer identität, die frage nach dem, was wir eigentlich wollen, als nation, als europäer, als menschen. diese debatte haben wir nie nachvollziehbar und konstruktiv geführt — oder zumindest nie zu einem greifbaren ergebnis geführt.