angst schüren

felix schwenzel, , in artikel    

actio und reactio und ein pfosten — symbolbild für alles
actio und reactio und ein pfosten — symbolbild für alles

sascha lobo schreibt auf spiegel.de über das irrsinnige vorhaben, bargeldzahlungen über 5000 euro zu verbieten. er schreibt in dieser kolumne, wie immer, viele richtige sachen. vor allem beschreibt er (wieder) eine politische idee, eine ideologie, die glaubt, immer mehr überwachung, würde zu mehr sicherheit und bessere erkenntnisse über bedrohungslagen führen. in einer früheren kolumne hat er das sehr schön als „gefühlte Rationalität“, bzw. als „Scheinrationalität“ bezeichnet.

Wenn also diese Daten offensichtlich nicht ausreichen, um einen Anschlag zu verhindern - welche Daten um alles in der Welt hofft man dann per Generalüberwachung zu bekommen? Die rationale Herangehensweise wäre das Eingeständnis, dass es nicht darum geht, neue Daten zu bekommen, sondern die längst vorhandenen besser auszuwerten. Die scheinrationale Herangehensweise aber wird sich durchsetzen: mehr Überwachung. Mehr Daten. Die Irrationalität dahinter lautet: Wir finden die Nadel im Heuhaufen nicht, also brauchen wir mehr Heu.

in dieser kolumne variert er den gedanken:

Das Ziel der Abschaffung des Bargelds ist die tausendste Variante der Überzeugung, dass man alle Menschen engmaschig und automatisiert kontrollieren müsse, um Sicherheit gewährleisten zu können. Diese autoritäre Ideologie, Kontrolle durch flächendeckende Überwachung, steht hinter der Radikalität von BND und NSA ebenso wie hinter der Vorratsdatenspeicherung. Es geht um eine verstörende und für eine aufgeklärte, offene Gesellschaft unwürdige Haltung. Wer nicht laufend aufs Neue beweist, dass er unschuldig ist, muss als verdächtig, also potenziell schuldig gelten.

soweit so richtig und so beunruhigend. denn diese mechanik, immer mehr kontrolle, immer mehr überwachung, ist nicht nur einer aufgeklärten, offenen gesellschaft unwürdig, sondern vor allem, nach allem was wir wissen, mehr oder weniger nicht der demokratischen kontrolle unterworfen. die gewaltenteilung, die checks and balances, das zentralste element einer funktionierenden demokratie, wird durch die wachsenden freiräume für geheimdienste und sicherheitsbehörden unterwandert.

cory doctorow hat das in einem sehr langem essay kürzlich sehr passend beschrieben:

The security services are a system with a powerful accelerator and inadequate brakes. They’ve rebranded “terrorism” as an existential risk to civilization (rather than a lurid type of crime). The War on Terror is a lock that opens all doors. As innumerable DEA agents have discovered, the hint that the drug-runner you’re chasing may be funding terror is a talisman that clears away red-tape, checks and balances, and oversight.

The story of terrorism is that it must be stopped at all costs, that there are no limits when it comes to the capture and punishment of terrorists.

überwachung gilt als allheilmittel und geheimhaltung und das fernhalten von demokratischen, kontrollierenden prozessen ist der schutzmantel. das wort terrorismus wirkt wie ein zauberspruch, um lästige demokratische und rechtsstaatliche mechanismen ausser kraft zu setzen. eine weitere schutz- und wachstumsschicht, für die freiräume der überwachungsapparate, ist natürlich die angst, angst vor anschlägen, angst vor mangelnder sicherheit:

Jeder neue Anschlag und auch jede neue (egal wie falsche) Geschichte über die Terrorgefahr durch mangelnde Überwachung sät Angst und macht die Bevölkerung empfänglicher für technikgläubige Heilsversprechen.

ängste strategisch zu nutzen, um politische vorhaben umzusetzen, ist ein klassisches populistisches instrument. wir können dieser strategie derzeit in verschiedenen wahlkämpfen, vor unserer haustür, aber auch in übersee, quasi live zuschauen. wer die gefühle der bevölkerung geschickt anspricht, kann sich zumindest ganz ordentlicher umfragewerte sicher sein. und natürlich sind wir uns alle einig, dass das hinterlistige hantieren mit ängsten, realistischen oder eingebildeten ängsten, einer aufgeklärten, offenen gesellschaft unwürdig ist.

nach neun absätzen überlegt sich sascha lobo dann, das mit den ängsten auch mal auszuprobieren und kommt auf das beliebte totalitarismus-argument:

Was würde eine totalitäre Regierung mit den Gelddaten machen?
[…]
[M]it jeder neuen Technologie, die neue, verhaltensbeschreibende Datenströme hervorbringt, wird zunächst die Möglichkeit der gesellschaftlichen Kontrolle geschaffen. Im Hintergrund immer drohend die Frage: Was würde eine an die Macht geratene rechtspopulistische Partei mit den Datenströmen tun, die durch die Überwachung aller Geldflüsse entstünde?

ich habe mich sehr geärgert, über dieses strohmann-argument. einerseits weil es mit unseren ängsten spielt und auf mich wie aus dem populismus-baukasten genommen wirkt. andererseits, weil es so absurd ist: wenn wir uns auf diesem niveau gedanken über die zukunft unserer gesellschaft machen, müssten wir auch über die abschaffung der polizei und des militärs nachdenken?

denn welche schlimmen dinge könnte eine „totalitäre Regierung“ mit diesen instrumenten umsetzen? wir müssten präventiv unsere elektronische infrastruktur zurückbauen, und die deutsche waffenindustrie abwracken, für den fall der fälle, dass plötzlich totalitarismus oder rechtspopulisten in deutschland herrschten.

die absurdität des gedankens, dass bargeld ein wichtiges werkzeug gegen totalitarismus sei, wird aber spätestens klar, wenn man sich vorstellt, was eine totalitäre regierung wohl machen würde, wenn sie an die macht käme. sie könnte zum beispiel, in einem totalitären handstreich, das verbliebene bargeld abschaffen. dann hätten wir, in unzähligen kolumnen und blogeinträgen, verfasst unter einer noch nicht totalitären regierung, ganz umsonst für dessen beibehaltung gekämpft.

ich bin auch gegen die abschaffung von bargeld. aber das problem ist nicht das bargeld, oder die überwachung an sich, sondern dass die balance des politischen systems aus den fugen geraten ist; die gewaltenteilung funktioniert nicht mehr und ein verfassungsorgan, die exekutive, hat einen apparat geschaffen, der ganz offensichtlich nicht mehr wirksam von den anderen verfassungsorganen kontrolliert und eingeschränkt werden kann. nochmal aus der wikipedia über checks and balances:

Checks and Balances ist eine Bezeichnung für die gegenseitige Kontrolle, die Machthemmnis (englisch checks) von Verfassungsorganen eines Staates, zur Herstellung eines dem Erfolg des Ganzen förderlichen Systems partieller Gleichgewichte (engl. balances), zunächst im Wesentlichen, um einer Diktatur vorzubeugen.

wir sollten nicht den totalitarismus an die wand malen, sondern für ordentliche „Machthemmnisse“ sorgen. und vor allem sollten wir versuchen, den populismus und die angeblich einfachen lösungen, nicht mit populismus zu bekämpfen — sondern mit validen argumenten. so wie sascha lobo das üblicherweise tut. wenn er es unterlässt, schmerzt es mich.

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bildquelle, actio und reactio.

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[nachtrag 06.02.2016]

sascha lobo hat auf facebook geantwortet (auch hier hin syndiziert). leider hat er in allen punkten, die er in seiner antwort erwähnt, recht. ich hatte es ohnehin geahnt: sobald er mir antwortet, würde ich ihm wieder in allen punkten zustimmen müssen, obwohl ich ihm gerne weiter widersprechen würde. dafür müsste ich aber so viel nachdenken und differenzieren, dass ein ordentlicher widerspruch wahrscheinlich erst zur republica fertig wäre.