Som­mer­tau­mel

Sascha Lobo

In mei­nem ers­ten rich­ti­gen Blog­ein­trag hät­te ich ger­ne et­was wich­ti­ges be­spro­chen, zum Bei­spiel Net Neu­tra­li­ty, bei de­ren Fron­ten­bil­dung man ein ir­ri­tie­ren­des ame­ri­ka­ni­sches Phä­no­men be­ob­ach­ten kann, näm­lich ein or­ga­ni­sier­ter Pro­test quer durch alle ge­sell­schaft­li­chen Strö­mun­gen. Die Co­ali­ti­on ge­nann­te Ver­ei­ni­gung reicht von Gu­now­ners of Ame­ri­ca ein­mal im Kreis bis wie­der zu­rück zu den Gu­now­ners of Ame­ri­ca, da­zwi­schen sol­che wie die Fe­mi­nist Ma­jo­ri­ty, der Grün­der von Craigs­List.org, Craig New­mark, eben­so wie ir­gend­wel­che Ul­tra­ch­ris­ten.

Ich habe mal ein Foto ge­se­hen, da ha­ben in den USA an­ar­chis­ti­sche His­pa­nic Punks di­rekt ne­ben Neo­na­zis mit Ha­ken­kreuz­flag­gen für Mei­nungs­frei­heit de­mons­triert! Gut, ich habe das Foto nicht ge­se­hen, aber eine Lis­te von ge­mein­sam or­ga­ni­sier­ten Un­ter­stüt­zern der Mei­nungs­frei­heit, da wa­ren bei­de drauf und also habe ich mir das Foto vor­ge­stellt. Über die­ses wich­ti­ge The­ma Net Neu­tra­li­ty kann man nicht ge­teil­ter Mei­nung sein, wenn man bei un­ge­kauf­tem Ver­stand ist und die­ses In­ter­net, von dem jetzt alle re­den, auch nur an­satz­wei­se ver­stan­den hat. Auf wel­cher Sei­te man ste­hen soll­te, da­für kann man ein In­stru­ment be­nut­zen, was ich jüngst ent­wi­ckelt habe: Den Anti-Lott-Trend.

Das funk­tio­niert ganz ein­fach, denn Trent Lott ist ame­ri­ka­ni­scher Se­na­tor der Re­pu­bli­ka­ner, fa­schis­to­ider, na­tio­na­lis­ti­scher, ras­sis­ti­scher, ho­mo­pho­ber, se­xis­ti­scher Erz­re­ak­tio­när; also in wirk­lich sämt­li­chen, al­len, prak­tisch über­haupt al­len­al­len ge­sell­schaft­li­chen Fra­gen auf der fal­schest­denk­ba­ren Sei­te, so dass man nie ver­kehrt fährt, wenn man im­mer das Ge­gen­teil von Trent Lott als Mei­nung hat. Es han­delt sich um eine Art ame­ri­ka­ni­sche Ver­si­on von Ed­mund Stoi­ber mit Ge­schmacks­ver­stär­ker, und Trent Lott ist ge­gen Net Neu­tra­li­ty.

Scha­de also, dass ich über Net Neu­tra­li­ty nicht schrei­ben kann, das The­ma ist eben­so er­gie­big wie wich­tig, es geht aber nicht, weil es un­fass­bar heiss und sti­ckig ist, dass nicht nur die Luft kleb­rig wird, son­dern ich auch ver­ges­sen habe, dass es to­tal un­cool ist, über die Hit­ze zu jam­mern. Aber wann un­cool sein, wenn nicht jetzt bei 350° Cel­si­us? Statt­des­sen be­schrei­be ich ein we­nig den Hit­ze­tau­mel, seit Ta­gen tau­me­le ich durch die Stadt, das Ozon hat mein Ge­hirn po­rös ge­macht. Vier oder fünf Mal hat das Wet­ter schon so ge­tan, als wol­le es gleich reg­nen und es war im­mer ein Ge­fühl, als müs­se man nies­sen, aber es geht ein­fach nicht. Wenn man sich bei Hit­ze selbst be­ob­ach­tet, fängt man in­stantan an, sich zu schä­men, weil die Mo­to­rik sich un­ter ir­gend­ei­nem küh­len Hirn­lap­pen ver­kro­chen zu ha­ben scheint. Es wird bes­ser, wenn man die an­de­ren Men­schen be­ob­ach­tet; kaum ei­ner, der nicht schwe­re Geis­tes­stö­run­gen zur Schau trägt - vie­le tra­gen so­gar Flip­flops, al­lein das Wort kann Zit­ter­krämp­fe ver­ur­sa­chen. Auf mei­nem Grab­stein soll der­einst ste­hen ‚Trotz al­lem hat er dem Flip­fl­op­tra­gen wi­der­ste­hen kön­nen.’

Ges­tern habe ich end­lich das ein­zig Ver­nünf­ti­ge ge­tan, zur Er­klä­rung muss ich et­was aus­ho­len. Es gibt seit ei­ni­gen Jah­ren den be­kann­ten Buy Not­hing Day, ins Le­ben ge­ru­fen von Ad­bus­ters. Die­ser in Deutsch­land un­ter ei­ner un­sag- und un­schreib­ba­ren Na­mens­ad­ap­ti­on weit­hin un­be­kann­te ge­blie­be­ne Tag soll dazu die­nen, be­wuss­tes Kon­sum­ver­hal­ten zu pro­vo­zie­ren. Et­was gym­na­si­as­tisch un­dif­fe­ren­ziert, sage ich als Wer­be­ha­si mal, aber kei­ne schlech­te Sa­che ei­gent­lich, die Hit­ze je­doch setzt die Prio­ri­tä­ten neu und an­ders, und so habe ich ges­tern end­lich den Do Not­hing Day er­fun­den. Er­fun­den ist viel­leicht ein biss­chen dick auf­ge­tra­gen, aber eben erst­mals ge­macht, bzw. das ist jetzt be­griff­lich schwie­rig, erst­mals nichts ge­macht. Von mor­gens, das in echt nach­mit­tags war, bis abends, das in echt nach­mit­tags war, nur rum­ge­le­gen, da­vor, da­nach und auch wäh­rend­des­sen ge­schla­fen und 24, vier­te Staf­fel ge­se­hen, copy that. Do Not­hing Day, un­be­dingt mer­ken, auch, wenn er irr­sin­nig an­stren­gend war. Ich muss­te acht, neun Mal das ver­schwitz­te T-Shirt wech­seln und hat­te am Ende Kopf­schmer­zen vom in­ten­si­ven Nichts­tun. Aber es tut gut, mal wie­der so rich­tig ge­gen den Uhr­zei­ten­ter­ror der bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft lie­gend an­zu­kämp­fen und erst ins Bett zu ge­hen, wenn an­de­re schon wie­der ins Bett ge­hen. Eine Er­kennt­nis des Do Not­hing Day al­ler­dings hat sich her­aus­ge­schält und wird die Welt be­rei­chern auf im­mer­dar: Ge­gen je­des Un­wohl­sein beim Her­um­lie­gen in der Hit­ze hilft eine gros­se Schüs­sel Jo­ghurt mit ge­fro­re­nen Him­bee­ren drin und Ho­nig.