bedingungsloses grundeinkommen

felix schwenzel

ges­tern war ich auf ei­ner wei­te­ren lau­ni­gen le­sung, bzw. po­di­ums­ver­an­stal­tung, nach­dem ich mir am sonn­tag auf der kaf­fee­satz-le­sung bei­na­he das hirn her­aus­ge­lacht hat­te. ges­tern abend war ich auf ei­ner le­sung in der mehr als prop­pe­vol­len hei­lig kreuz kir­che in kreuz­berg, the­ma war „das be­ding­ungl­so­se grund­ein­kom­men“. auf dem po­di­um götz wer­ner, be­sit­zer der dro­ge­rie­markt­ket­te „dm“ und ver­fech­ter des „be­ding­lungs­lo­sen grund­ein­kom­mens“, fritz kuhn, ober­grü­ner und ver­fech­ter ei­ner be­din­gungs­vol­len staat­li­chen grund­si­che­rung und ba­scha mika, ober­taz-tan­te als mo­de­ra­to­rin.

das pu­bli­kum in die­ser kir­che er­füll­te alle mei­ne dun­kels­ten vor­ur­tei­le: eine üble mi­schung aus in­tel­lek­tu­el­len bart­trä­gern, grau­en mäus­chen, ag­gres­si­ven gut­men­schen­dar­stel­lern, frus­trier­ten müt­ter­chen, hals­tuch­tra­gen­den dis­ku­tan­ten, pull­over tra­gen­den, über­en­ga­gier­ten und her­um­fleu­chen­den wich­tig­tu­ern (die teil­wei­se frap­pie­ren­de ähn­lich­keit mit hel­mut mark­wort hat­ten), fal­ti­gen und auf­ge­motz­ten dia­mant­ket­ten-spies­sern; kurz eine ab­sur­de mi­schung aus bio­la­den-kund­schaft und düs­sel­dor­fer kö-ga­le­rie-pu­bli­kum. sel­ten habe ich so­vie­le un­ge­zupf­te au­gen­brau­en, voll­bär­te und frus­trier­te ge­sich­ter ge­se­hen wie ges­tern abend.

ir­gend­wann kro­chen aus ir­gend­ei­ner ecke ein ganz klei­ner mann mit ei­nem gum­mi­ar­ti­gen ge­sicht und ein ganz gros­ser, grau­er mann mit ohne haa­re aufs po­di­um. kuhn und wer­ner. wäh­rend sich das pu­bli­kum um mich her­um un­ver­ho­len ag­gres­siv und im­mer kurz vor tät­lich­kei­ten um die ver­blie­be­nen plät­ze stritt („der ist be­setzt!“, „blei­ben sie weg!“, „hey, weg da!“), rich­te­te man sich auf dem po­di­um ein.

der ab­blauf des abends war wie folgt: ein als so­zia­list ver­klei­de­ter lang­haa­ri­ger spies­ser (aus­ge­dünn­te vo­kuh­i­la) von der hein­rich böll stif­tung las steif ein paar po­pu­lis­ti­sche the­sen un­ter hef­ti­gem ap­plaus von ei­nem zer­knit­ter­ten dina4-blatt ab, das soll­te die ein­lei­tung sein, götz wer­ner und fritz kuhn soll­ten je­weils 30 mi­nu­ten „re­fe­ra­te“ hal­ten, da­nach soll­te ba­scha mika ein „span­nen­des“, 30mi­nü­ti­ges streit­ge­spräch zwi­schen bei­den mo­de­rie­ren und da­nach soll­te der mob das pu­bli­kum für 45 mi­nu­ten zu wort kom­men (wie ba­scha mika das leicht über­trie­ben aus­drück­te: „je­der von ih­nen kommt dran“ — schwer bei ei­ner prop­pe­vol­len kir­che).

götz werner

götz wer­ner, den ba­scha mika als eine art mar­xis­ti­schen ka­pi­ta­lis­ten vor­stell­te, fing mit selbst­fin­dungs­rhe­to­rik an: „las­sen sie uns ideen den­ken, ge­hen sie mit mehr fra­gen als ant­wor­ten hier her­aus, ver­su­chen sie das un­vor­stell­ba­re zu den­ken, öff­nen sie sich, um­den­ken ist ein na­del­öhr, ap­plau­die­ren sie nicht!“ er ver­wen­de­te gan­ze 10 mi­nu­ten dar­auf, sich sein pu­bli­kum zu­recht­zu­le­gen, in al­ler ruhe. es funk­tio­nier­te. er öff­ne­te sich sein pu­bli­kum und lud es eso­te­risch auf, ver­such­te sie schon vor dem ers­ten ar­gu­ment zu sei­nen jün­gern zu ma­chen. sei­ne idee, die er seit vie­len jah­ren mit sich her­um­tra­ge, aber de­ren zeit erst seit dem früh­jahr 2005 ein brei­te­res pu­bli­kum er­rei­che sei halt schwer zu den­ken, schwer vor­stell­bar wie frü­her das all­ge­mei­ne wahl­recht oder das frau­en­wahl­recht, aber ihre zeit sei jetzt ge­kom­men. er habe nichts zu ver­kau­fen, er möch­te nur zu neu­em den­ken an­re­gen, möch­te dass sich sei­ne idee „epi­de­misch“ wei­ter­ver­brei­te.

nach­dem er das pu­bli­kum auf­ge­la­den hat­te fing er an: die me­tho­den die die pro­ble­me er­zeug­ten, taug­ten nicht zur lö­sung die­ser pro­ble­me. es habe sich viel ge­än­dert, un­se­re ge­sell­schaft habe sich von ei­ner „selbst­ver­sor­gungs­wirt­schaft“ zu ei­ner „fremd­ver­sor­gungs­wirt­schaft“ ge­wan­delt. nie­mand ar­bei­te mehr für sich, al­les wand­le sich zu ei­ner ge­sell­schaft der welt­wei­ten ar­beits­tei­lung. die po­li­ti­sche eli­te, kral­le sich wei­ter­hin am al­ten pau­lus-prin­zip fest: „wer nicht ar­bei­tet soll auch nicht es­sen“, ein über­bleib­sel aus der zeit als der man­gel mit selbst­ver­sor­gung be­kämpft wur­de und das sich wit­zi­ger­wei­se ins­be­son­de­re bei den lin­ken tief ins herz ein­ge­gra­ben hät­te: ohne ein­kom­men, ohne er­werbs­ar­beit ist der mesnch nichts wert, ohne ein­kom­men gehe gar nichts.

wenn er es dem pu­bli­kum nicht un­ter­sagt hät­te, wäre spä­tes­tens bei dem satz „es muss ein recht auf ein­kom­men, nicht auf ar­beit ge­ben“ ap­plaus auf­ge­bran­det. aber wer­ner lie­fer­te jetzt auch ar­gu­men­te mit, der mensch müs­se an der ge­sell­schaft teil­ha­ben und das gehe nur mit ei­nem ein­kom­men. der mensch brau­che mehr als ein exis­tenz­mi­ni­mum, er brau­che ein „kul­tur­mi­ni­mum“. man be­kom­me ein ein­komm­men um es sich leis­ten zu kön­nen zu ar­bei­ten. und nur mit ei­nem ein­kom­men kön­ne man aus frei­em wil­len an der ge­sell­schaft teil­ha­ben. frau­en wüss­ten, dass es viel ar­beit gebe die ge­tan wer­de müs­se ohen dass man sie be­zahlt be­kom­me. man müs­se sich fra­gen, wol­len wir das ha­ben? „kul­tur­ar­beit“ sei (im ge­gen­teil zu wert­schöp­fungs­ar­beit) sinn­ma­xi­mie­rend, ver­schwen­de­risch, gross­zü­gig und vom in­ter­es­se am mit­men­schen ge­prägt, nicht spar­sam und auf ge­winn aus.

was die­sem ide­al im wege ste­he, sei das ak­tu­el­le steu­er­sys­tem. die ein­kom­men­steu­er und die so­zi­al­aus­ga­ben ver­teu­er­ten die ar­beit stän­dig. je teu­rer ar­beit wer­de, des­to we­ni­ger ar­beit gebe es. durch die ein­kom­men­steu­er sub­ven­tio­nie­ten wir „ma­schi­nen­ar­beit“ und ver­teu­er­ten men­schen­ar­beit. dies füh­re zwar zu enor­men zu­wäch­sen der pro­duk­ti­vi­tät, ver­knap­pe aber zu­neh­mend die ar­beit. er fän­de das skan­da­lös, mach­te eine pau­se und war­te­te bis die­ser gar nicht so un­sin­ni­ge kloss vom pu­bli­kum ge­schluckt wur­de.

die für al­les lö­sung sei ein­fach. nicht die ar­beit be­steu­ern, son­dern den kon­sum. es sei auch jetzt so, dass ei­gent­lich alle steu­ern in den preis flös­sen (das ist der ka­sus kna­xus, erhl­len­de­res dazu kam spä­ter in der dis­kus­si­on auf), also kön­ne man, das sei ein ein­fa­ches um­schich­ten, auch di­rekt die prei­se, den kon­sum be­steu­ern und sei da­mit die hin­der­li­che ein­kom­mens­be­steue­rung ohne wei­te­re ver­lus­te los. im prin­zip sei das be­din­gungs­lo­se min­dest­ein­kom­men nichts wei­ter als ein (kon­sum)steu­er­ra­batt (von ihm bei 1600 euro ver­an­schlagt).

er sei jetzt mal ge­spannt, was der herr kuhn jetzt für ar­gu­men­te habe.

fritz kuhn

kuhn hat­te kei­ne ar­gu­men­te. er wirk­te von an­fang an de­fen­siv und lief, spä­ter im lau­fe der dis­kus­si­on mehr­fach in die von wer­ner auf­ge­stell­ten mes­ser. sei­ne ver­tei­di­gungs­li­nie lau­te­te: „vi­sio­nen“ vs. „mach­bar­keit“. und das war sehr un­in­spi­rie­rend.

kuhn ver­has­pel­te sich in un­ver­ständ­li­chen po­li­ti­ker-sprech und in eine stram­me, li­ni­en­treue ver­tei­di­gung der harz IV-ge­setz­ge­bung, eine ver­tei­di­gung der bü­ro­kra­ti­schen aus­wüch­se die zwar alle, laut kuhn, ver­bes­se­rungs­wür­dig sei­en, aber im grun­de eben ge­nau eins leis­te­ten: ge­rech­tig­keit, wie er im­mer wie­der be­ton­te, und eine „grund­si­che­rung“. er ge­rier­te sich als struk­tur­kon­ser­va­ti­ver mit so­zia­lem sah­ne­häub­chen. da­für ern­te­te er spott und buh-rufe en mas­se, die ih­ren hö­he­punkt bei sei­ner rhe­to­ri­schen ent­glei­sung er­reich­te, als er be­haup­te­te sinn­vol­le er­werbs­ar­beit sei doch mehr als ge­nü­gend da, das sehe man dar­an wie sich die ein-euro-job­ber um ein-euro-jobs reis­sen wür­den.

um ar­gu­men­te oder de­ren wahr­neh­mung drück­te er sich re­la­tiv ge­schickt in­dem er stän­dig flos­kel­te „dazu wer­de ich spä­ter noch­mal kom­men“, „das sei zu prü­fen“ oder da­mit müs­se man sich zu ge­ge­be­ner zeit „aus­ein­an­der­set­zen“. all die­se phra­sen wa­ren ge­würzt mit viel „äh“ und „öh“ und ge­stot­ter. kuhn war so we­nig über­zeu­gend und be­kam so­viel ge­gen­wind aus dem zu­neh­mend ag­gres­si­ver wer­den­en­den pu­bli­kum, dass ich ich für eine wei­le ge­neigt war ihm recht zu ge­ben, zu über­le­gen, ob sein an­satz nicht even­tu­ell der bes­se­re, rea­lis­ti­ische­re, bo­den­stän­di­ge­re sei. von die­sem im­puls wur­de ich aber re­la­tiv schnell wie­der ab­ge­bracht, weil kuhn sich mehr­fach wei­ner­lich be­schwer­te un­ge­recht von ba­scha mika und götz wer­ner be­han­delt zu wer­den und es ein­fach nicht schaff­te sich von sei­nen flos­keln und par­tei­pro­gramm zu lö­sen oder sich auch nur mal geis­tig, als sport­li­che übung auf wer­ners ideen ein­zu­las­sen. statt­des­sen durch­ge­kau­te 68er-for­de­run­gen wie: er­werbs­ar­beit bes­ser zwi­schen män­nern und frau­en zu ver­tei­len, be­haa­ren dar­auf, dass eine ein­kom­mens­ab­hän­gi­ge be­steue­rung die ein­zig ge­rech­te sei, dass die grund­si­che­rung der harz IV ge­setz­ge­bung zwar ver­bes­se­rungs­wür­dig sei, aber un­term strich gar nicht mal so schlecht.

„kulturimpulse“

kuhns ein­wän­de (er habe das mal nach­ge­rech­net), dass sich wer­ners ideen nie­mals rech­nen wür­den und zu in­dis­ku­ta­blken mehr­wert­steu­er­sät­zen füh­ren wür­den bü­gel­te wer­ner see­len­ru­hig ab. man kön­ne für vi­sio­nä­res oder wei­ter­füh­ren­des den­ken die pol­ti­ker eben nicht in die pflicht neh­men wie man an kuhn wun­der­bar sehe. die im­pul­se müss­ten von den bür­gern kom­men, als eine art kul­tur­im­puls, das sei zwar ein lan­ger pro­zess, aber wenn wir die die din­ge ir­gend­wann an­ders den­ken könn­ten, wür­den das auch die po­li­ti­ker ver­ste­hen. er den­ke, dass kuhn hoch­in­tel­li­gent sei und wenn sie sich mal ei­nen abend in ruhe un­ter­hal­ten wür­den, wür­de kuhn si­cher mehr ver­ständ­nis für sei­ne ideen auf­brin­gen, ihm viel­leicht so­gar zu­stim­men, dann aber ganz si­cher re­la­ti­vie­ren: „aber das ver­ste­hen un­se­re wäh­ler nicht.“

zu­sam­men­hangs­lo­se sprü­che von götz wer­ner:

  • nicht die schwarzarbeit ist das problem, es ist das steuersystem.
  • wir erkennen arbeit die nicht auf erwerb aus ist, nicht als arbeit an.
  • arbeitszeitverkürzung führt zu zwangsarbeit, zu freizeit statt freiheit.
  • manager sagen „do things right“, unternehmer sagen „do the right things“.

wer­ner zog das pu­bli­kum mehr und mehr auf sei­ne sei­te, kuhn pro­vo­zier­te das pu­bli­kum mehr und mehr, ver­such­te wer­ners ideen als ver­such ei­ner un­ge­rech­ten un­ter­neh­mens-ent­las­tung zu dis­kre­di­tie­ren die zu schwarz­han­del und un­ge­rech­tig­keit füh­ren wür­den. die ein­zi­ge lö­sung sei mehr men­schen wie­der zu er­werbs­ar­beit zu füh­ren und auf ge­rech­te ver­tei­lung zu ach­ten. wunsch­den­ken mit grund­sätz­li­cher bü­ro­kra­tie­af­fi­ni­tät dach­te ich. für ei­nen grü­nen kam mir das er­staun­lich vor, wer­ner auch: „be­den­ken sie mal am bei­spiel der grü­nen, was für fol­gen vi­sio­nen und ideen einst hat­ten.“

ich habe den abend mit gros­ser sym­pa­thie für wer­ners ideen be­gon­nen und dann auch be­en­det, auch wenn ich nicht mal an­satz­wei­se al­les durch­dacht habe, vie­les kommt mir äus­serst plau­si­bel vor, man­ches we­ni­ger, vor al­lem die steu­er­tech­ni­schen de­tails. äus­serst plau­si­bel ka­men mir wer­ners ar­gu­men­te vor, die eine stän­di­ge wei­te­re ver­kanppung von er­werbs­ar­beit pos­tu­lier­ten, wo­hin­ge­gen mir kuhns ziel ein­fach mehr er­werbs­ar­beit zu schaf­fen als kühn, bzw. wunsch­den­kig er­schien. aber un­strit­tig ist, das gab kuhn auch im­mer wie­der zwi­schen den zei­len zu, um­den­ken müs­sen wir, hier und da si­cher auch ra­di­kal.

götz wer­ner sag­te, er habe nix zu ver­kau­fen (aus­ser in sei­nen dro­ge­rie­märk­ten), er wol­le nur zum nach­den­ken an­re­gen, im­pul­se ge­ben. kuhn er­schien mir hin­ge­gen wie je­mand der et­was ver­kau­fen woll­te, näm­lich den sta­tus quo, harz IV und hier und da ein paar ver­bes­se­run­gen und um­schich­tun­gen. lei­der war er ges­tern abend ein schlech­ter ver­käu­fer, er sprach ein­fach die fal­sche spra­che.

das publikum

das pu­bli­kum war am ende so ag­gres­siv, dass ein äl­te­rer herr ne­ben mir, ei­ner noch äl­te­ren dame (ei­gen­aus­sa­ge: „ich bin ur­gross­mutter“) „eins auf die fres­se“ hau­en woll­te und sehr vie­le em­pör­te zu­schau­er stän­dig die „blöd­heit“ des po­li­ti­kers da vor­ne be­klag­ten. weil mir das al­les zu ag­gres­siv wur­de und ich auch fand, dass al­les we­sent­li­che ge­sagt war, bin ich am an­fang der pubn­li­kums­dis­kus­si­on auf­ge­stan­den und nach­hau­se ge­fah­ren.

jetzt nach­dem ich al­les auf­ge­schrie­ben habe, kann ich mich ja mal ans durch­den­ken ma­chen.

[nach­trag]
aus den kom­men­ta­ren, schon et­was äl­ter: fritz kuhn ant­wor­tet auf götz wer­ner, in­ter­view mit götz wer­ner in der brand­eins, mo­ni­tor über das be­din­gungs­lo­se grund­ein­kom­men. aus­ser­dem denkt don über das be­din­gungs­lo­se grund­ein­kom­men nach und sehr en­ga­giert, fun­diert und aus­führ­lich al­bert. aus­ser­dem hat rené auf­zeich­nun­gen ei­ner dis­kus­si­on mit götz wer­ner und eine klei­ne dis­kus­si­on bei sich im blog und hier fin­det sich ein wei­te­res in­ter­view mit wer­ner.