su­san­ne gasch­kes stra­te­gien ge­gen ver­dum­mung

felix schwenzel

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su­san­ne gasch­ke mag das in­ter­net nicht. das ist nichts neu­es, wenn man schon­mal über ei­nen text von gasch­ke oder ihr au­toren­re­gis­ter auf zeit.de ge­stol­pert ist:

wenn man ihr buch liest, er­fährt man, dass sie auch com­pu­ter­spie­le, fern­se­hen, „kon­su­mis­mus“, zeit­ver­schwen­dung und „über­flüs­si­ge kom­mu­ni­ka­ti­on“ nicht mag. was sie mag sind bü­cher, li­te­ra­tur, kunst, mu­sik und „er­fah­run­gen mit so­zia­lem en­ga­ge­ment“.

„Ich glau­be nicht, dass das Netz mehr De­mo­kra­tie, klü­ge­re Wis­sen­schaft, ver­ant­wort­li­che­ren Jour­na­lis­mus und mehr so­zia­le Ge­rech­tig­keit her­vor­brin­gen wird. Und ich mei­ne, ei­ni­ge An­halts­punk­te da­für zu ha­ben, dass die di­gi­ta­le Kul­tur die­sen Zie­len an be­stimm­ten Stel­len so­gar ent­ge­gen­steht.“

noch we­ni­ger als das in­ter­net, mag gasch­ke al­ler­dings die leu­te, die das in­ter­net gut fin­den. alle die das in­ter­net nicht ent­schie­den ab­leh­nen, nennt sie „Di­gi­ta­lis­ten“ oder „In­ter­net-Apo­lo­ge­ten“. sie wirft alle in ei­nen topf: tech­ni­ker, un­ter­neh­mer, in­dus­tri­el­le, blog­ger, twit­te­rer, such­ma­schi­nen­op­ti­mie­rer, netz­po­li­tik-ak­ti­vis­ten, mar­ke­ting-fuz­zis, netz­po­li­tik-ak­ti­vis­ten — selbst dif­fe­ren­zie­ren­den kri­ti­kern des in­ter­net oder sei­ner aus­wüch­se un­ter­stellt sie op­pur­tu­nis­mus oder kon­flikt­scheu, wenn sie nicht, wie sie, das in­ter­net un­dif­fe­ren­ziert, klar und deut­lich ver­ur­tei­len. sie wirft alle zu­sam­men in ei­nen ei­mer mit der auf­schrift „Di­gi­ta­lis­ten“. man muss sich nur mal vor­stel­len wer sich al­les in die­sem ei­mer wie­der­fin­det, brin und page ne­ben law­rence les­sig, ste­fan nig­ge­mei­er ne­ben kai dieck­mann, bill gates ne­ben li­nus thor­vald, ba­rack oba­ma ne­ben an­ge­la mer­kel, jeff jar­vis und hu­bert bur­da. al­les „Di­gi­ta­lis­ten“.

gasch­ke ist nicht nur ex­trem un­dif­fe­ren­ziert, was das in­ter­net an­geht, ihr ist auch nichts recht zu ma­chen:

  • ei­ner­seits be­klagt sie die durch­kom­mer­zia­li­sie­rung des net­zes und sei­ne auf­dring­li­chen mar­ke­ting­stra­te­gien, schimpft aber auch dar­über, dass in­ter­net-ko­lum­nis­ten („blog­ger“) ihre bei­trä­ge kos­ten­los, oder wie sie viel­deu­tig sagt, „um­sonst“ ins in­ter­net stel­len. „blog­ger“ nennt sie in­ter­es­san­ter­wei­se auch nicht „au­toren“, son­dern meist „nut­zer“.
  • ei­ner­seits be­klagt sie, dass durch das in­ter­net und mo­der­ne „me­di­en“ die li­te­ra­li­tät und fä­hig­kei­ten zu le­sen ab­neh­me, geis­selt die im in­ter­net ab­lau­fen­de schrift-kom­mu­ni­ka­ti­on von men­schen un­ter­ein­an­der aber ger­ne als pro­fa­ne oder über­flüs­si­ge „sinn­los­kom­mu­ni­ka­ti­on“.
  • ei­ner­seits be­klagt sie die ag­gres­si­vi­tät und die de­ter­mi­niert­heit der netz­be­für­wor­ter („Di­gi­ta­lis­ten“) und welch ver­hee­ren­de fol­gen die er­folg­rei­che pro­pa­gie­rung der netz­ideo­lo­gie habe (sie sieht hier eine „Ideo­lo­gie­ma­schi­ne“ am werk), an­de­rer­seits be­zwei­felt sie rund­her­aus, dass aus dem netz über­haupt et­was po­li­tisch wirk­sa­mes kom­men kön­ne und be­haup­tet, dass das netz ent­po­li­ti­sie­re.
  • ei­ner­seits be­klagt sie sich über leu­te die ge­schich­ten aus ih­rem le­ben mit an­de­ren tei­len („Wer sich in »so­zia­len Netz­wer­ken« selbst welt­öf­fent­lich ent­blät­tert, ist nur eins: sel­ber schuld.“), an­de­rer­seits for­dert sie, dass ge­schich­ten aus dem le­ben an­de­rer die auf pa­pier ge­druckt sind („Bü­cher“) mehr ge­le­sen wer­den soll­ten.

auf der an­de­ren sei­te hat mir auch ei­ni­ges von dem was sie schreibt auch ein kopf­ni­cken ab­ge­run­gen. wer wür­de ei­nem satz wie die­sem wi­der­spre­chen?

Ich bin fest da­von über­zeugt, dass es kei­ne zwei­te Fä­hig­keit gibt, die für das Zu­recht­kom­men in mo­der­nen Ge­sell­schaf­ten so wich­tig ist wie das flüs­si­ge, sou­ve­rä­ne Le­sen, Ver­ste­hen und Be­ur­tei­len von Tex­ten.

„Le­se­för­de­rung“, of­fen­bart gasch­ke, sei ei­nes der the­men, das sie be­ruf­lich am meis­ten in­ter­es­sie­re und für das sie sich in ih­rem er­wach­se­nen­le­ben am meis­ten en­ga­giert habe. auch das sieht man recht deut­lich, wenn man die lis­te der ar­ti­kel die sie in den letz­ten drei jah­ren für die zeit schrob kurz durch­sieht (1, 2, 3, 4, 5, 6). na­tür­lich hat sie recht; ohne le­sen zu kön­nen, kann man auch nicht im in­ter­net le­sen. ohne sou­ve­rä­ni­tät im um­gang mit tex­ten, wird das mit der ur­teils­fä­hig­keit und dem auf­ge­klär­ten, mün­di­gen bür­ger schwie­rig.

al­ler­dings be­haup­tet gasch­ke steil, dass die „Di­gi­ta­lis­ten“ das an­ders sä­hen, bzw. le­se­feind­lich sei­en. ei­ner­seits weil die netz­a­po­lo­ge­ten nicht (an)er­ken­nen, dass es zwi­schen dem gu­ten le­sen (bü­cher, „die zeit“) und dem schlech­ten le­sen (am bild­schirm) eine kon­ku­renz­si­tua­ti­on be­steht, also die neu­en me­di­en dem buch zeit und auf­merk­sam­keit ent­zie­hen. an­de­rer­seits, weil die „Di­gi­ta­lis­ten“ mit ih­rer for­de­rung nach frei­em und un­li­mi­tier­ten zu­gang zu in­for­ma­tio­nen „die geis­ti­ge Hal­tung für die ein ge­füll­tes Bü­cher­re­gal steht“ be­kämpf­ten: „die Be­reit­schaft Mühe auf sich zu neh­men, um Freu­de zu er­lan­gen; eine Auf­schub statt ei­ner So­for­tis­mus­kul­tur.“ — und so das in­ter­es­se am kon­zen­trier­ten le­sen und ver­ste­hen-wol­len ra­pi­de ab­neh­me.

im kern mag die ana­ly­se ja stim­men, auch wenn gasch­kes über­zeu­gungs­kraft stark dar­un­ter lei­det, dass sie eine 13 jah­re alte stu­die von ja­kob niel­sen her­vor­kramt um zu be­le­gen, dass nie­mand län­ge­re tex­te am bild­schirm liest und aus­ser acht lässt, dass sich mitt­ler­wei­le vie­les ver­än­dert hat; web­sei­ten sind les­ba­rer und le­se­freund­li­cher ge­wor­den (sie­he zeit.de), die bild­schir­me sind bes­ser, fla­cker­frei­er, klei­ner und hoch­auf­lö­sen­der ge­wor­den (ver­glei­chen sie mal nen 17" röh­ren­mo­ni­tor mit dem bild­schirm ei­nes ipho­nes oder eine palm pre. die sind mitt­ler­wei­le so scharf, dass man mil­li­me­ter­gros­se buch­sta­ben le­sen kann).

trotz­dem. selbst wenn man gasch­kes ana­ly­se folgt, fällt es schwer ih­ren schluss­fol­ge­run­gen zu fol­gen. sie stellt fest, dass das in­ter­es­se und die fä­hig­keit zu le­sen ab­neh­men und for­dert als kon­se­quenz eine kon­zen­tra­ti­on auf das me­di­um pa­pier? sie stellt fest, dass die kon­zen­tra­ti­ons­fä­hig­keit beim le­sen ab­nimmt und for­dert als the­ra­pie eine zu­gangs­er­schwe­rung oder ver­knap­pung von in­for­ma­tio­nen?

der ge­sun­de men­schen­ver­stand oder ge­nau­er, der ge­sell­schaft­li­che kon­sens, den ich zu die­sem the­ma bis­her wahr­nahm, for­dert eine ver­bes­se­rung des bil­dungs­sys­tems und eine schu­lung in me­di­en­kom­pe­tenz. „me­di­en­kom­petz“ ist al­ler­dings ei­nes der reiz­wör­ter die gasch­ke in rage brin­gen. sie ver­mu­tet auch hin­ter der for­de­rung nach mehr me­di­en­kom­pe­tenz ideo­lo­gi­sche mo­ti­ve der „Di­gi­ta­lis­ten“ und ih­rer ver­dum­mungs­stra­te­gien. zu­mal na­tür­lich auch die schu­lung zur me­di­en­kom­pen­tenz zeit und mühe kos­tet, die wie­der­um zu las­ten des bu­ches, der zei­tung, der li­te­ra­tur und des wah­ren le­bens („real life“ nennt gasch­ke das) ge­hen.

gasch­kes ana­ly­se ist al­les an­de­re als wi­der­spruchs­frei. so ju­bel­te sie noch im ok­to­ber 2007 dar­über, dass „wir dem Tri­umph­zug ei­nes Bu­ches bei­woh­nen“ („Die Welt liest“) und be­ob­ach­tet, wie „plötz­lich […] al­lein in Deutsch­land Hun­dert­tau­sen­de von Le­sern, un­ter ih­nen vie­le Ju­gend­li­che, in Kauf [neh­men], ei­nen 1000-Sei­ten-Wäl­zer auf Eng­lisch zu le­sen.“ 2009 ist ihre ana­ly­se wie­der vom pes­si­mis­mus über­deckt und ihr har­ry-pot­ter-ju­bel ab­ge­flaut: „Bü­cher und Le­sen ver­lie­ren an Po­pu­la­ri­tät, und dies be­son­ders bei Ju­gend­li­chen.“ schuld sind vor al­lem die netz­a­po­lo­ge­ten, mit ih­rer teuf­li­schen ideo­lo­gie der wis­sens­ge­sell­schaft.

könn­te es nicht auch um­ge­kehrt sein? ver­lie­ren „Bü­cher und Le­sen“ viel­leicht nicht des­halb le­ser an die di­gi­ta­len me­di­en, weil die ju­gend­li­chen sich nicht mehr mü­hen oder durch lan­ge tex­te durch­beis­sen wol­len, son­dern weil die in­hal­te auf pa­pier so schlecht ge­wor­den sind? ist die zei­tungs­kri­se nicht eher ein qua­li­täts­pro­blem, als ein tech­no­lo­gie­pro­blem? war­um le­sen jun­ge men­schen row­ling, aber nicht gasch­ke? ich war sieb­zehn, als ich neil post­mans „wir amü­sie­ren uns zu tode“ ge­le­sen habe. wie­so kann ich mir heu­te kei­nen sieb­zehn­jäh­ri­gen vor­stel­len der gasch­kes „stra­te­gien ge­gen die di­gi­ta­le ver­dum­mung“ liest? rich­tig. weils kreuz­öde und flach wie ein bü­gel­brett ist.

apro­pos be­dürf­nis­se zu­rück­hal­ten und mühe in kauf neh­men. stel­len wir uns vor, gasch­ke wür­de die er­fin­dung des kühl­schranks oder der tief­kühl­tru­he mit der er­hö­hung des durch­schnitt­li­chen ge­wichts der ein­woh­ner west­eu­ro­pas und nord­ame­ri­kas in ver­bin­dung brin­gen. wahr­schein­lich läge sie gar nicht so falsch da­mit, dass die so­for­ti­ge be­frie­di­gung ku­li­na­ri­scher ge­nüs­se, die so ein kühl­schrank er­mög­licht, die leu­te dazu ani­miert mehr zu es­sen. wer mag noch die mühe auf sich neh­men, eine kuh zu mel­ken, wenn er milch im kühl­schrank ste­hen hat? nur: ver­fet­ten uns kühl­schrän­ke des­halb, so wie das in­ter­net „uns“ laut gasch­ke ver­blö­det?

ich glau­be der mensch ist lern­fä­hig und an­pas­sungs­fä­hig. wir wer­den ler­nen die pro­ble­me die mit neu­en tech­no­lo­gien auf­kom­men (sei es er­näh­rung, in­for­ma­ti­ons­über­flu­tung) in den griff zu be­kom­men, in­dem wir kul­tur­tech­ni­ken ent­wi­ckeln um die ne­ga­ti­ven fol­gen zu dämp­fen. der um­gang mit al­ko­hol­kon­sum in der west­li­chen welt zeigt das ex­em­pla­risch. ob­wohl die ne­ga­ti­ven fol­gen des al­ko­hol­kon­sums nicht zu leug­nen sind, ha­ben wir kul­tur­tech­ni­ken und ta­bus ent­wi­ckelt, um da­mit um­zu­ge­hen. bes­ser zu­min­dest, als es die nord­ame­ri­ka­ni­schen in­dia­ner kön­nen, in de­ren kul­tur al­ko­hol­kon­sum nicht ver­an­kert war (und ist). al­ko­hol­kon­sum ist so tief in un­se­rer ge­sell­schaft ver­an­kert, dass so­gar die alt­ehr­wür­di­ge, ge­sell­schafts­kri­ti­sche wo­chen­zei­tung „die zeit“ der dro­ge al­ko­hol, die jähr­lich al­lein in deutsch­land un­ge­fähr 40.000 men­schen das le­ben kos­tet, brei­ten raum zur ver­herr­li­chung ein­räumt.

sol­che pro­zes­se in der ge­mein­schaf­ten mit ge­fah­ren und ri­si­ken um­zu­ge­hen ler­nen dau­ern mit­un­ter sehr lan­ge, aber was ist die al­ter­na­ti­ve? die zeit kön­nen wir nicht zu­rück­schrau­ben, wir kön­nen we­der al­ko­hol, noch fer­tig­es­sen, noch den frei­en fluss der in­for­ma­tio­nen ver­bie­ten (bzw. wenn wir es ver­such­ten, wä­ren die ne­ga­ti­ven fol­gen ver­mut­lich weit­aus aus­ge­präg­ter als die po­si­ti­ven). wir kön­nen nur ver­su­chen mög­lichst ver­nünf­tig mit neu­en pro­ble­men („di­gi­ta­lis­ten“-sprech: „her­aus­for­de­run­gen“) um­zu­ge­hen.

„Ty­pisch für den Dis­kurs über das In­ter­net scheint mir zu sein, dass sei­ne Prot­ago­nis­ten stets ex­trem über­zeugt auf­tre­ten. Skep­ti­ker hin­ge­gen si­chern sich nach al­len Sei­ten ab und be­to­nen fast im­mer mit gro­ßem Auf­wand, was an der neu­en Tech­nik selbst­ver­ständ­lich ganz aus­ge­zeich­net ist, be­vor sie (zag­haf­te) Kri­tik an­brin­gen.“

gasch­ke mag prag­ma­ti­sche an­sät­ze aber nicht. sie po­le­mi­siert, über­spitzt und spal­tet lie­ber: wer nicht ge­gen das in­ter­net ist, ist da­für, ist ein di­gi­ta­list, ein ideo­lo­ge. prag­ma­ti­sche und dif­fe­ren­zier­te be­trach­tungs­wei­sen kan­zelt gasch­ke als fei­ge und op­pur­tu­nis­tisch ab. sie un­ter­stellt dif­fe­ren­zie­ren­den kri­ti­kern des in­ter­nets, dass sie nicht kul­tur­pes­si­mis­tisch oder alt­mo­disch wir­ken wol­len oder kon­flikt­scheu sei­en.

gasch­ke gibt sich kamp­fes­lus­tig und ag­gres­siv. ge­nau be­trach­tet ist gasch­ke aber gar nicht kamp­fes­lus­tig. sie sehnt sich nur nach an­er­ken­nung. an­er­ken­nung für ihre le­bens­art, ihre hal­tung. sie möch­te nicht mehr als kul­tur­pes­si­mist ge­se­hen wer­den, son­dern als pro­phe­tin. sie will um die deu­tungs­ho­heit rin­gen, da­für kämp­fen, „Tech­nik be­nut­zen zu dür­fen, ohne sie an­be­ten zu müs­sen.“ nur, wer zwingt gasch­ke dazu, tech­nik „an­be­ten zu müs­sen“? mann kann sich doch ent­hal­ten. man muss die neu­en me­di­en nicht lie­ben. und wenn man sie liebt, heisst das nicht, dass man ih­nen völ­lig kri­tik­los ge­gen­über­ste­hen müss­te. ich ver­mu­te, sie will ein­fach ihre ruhe (und recht) ha­ben, sie will das die­ses ge­schnat­ter weg­geht, dass ihre und die stim­men ih­rer in­tel­lek­tu­el­len mit­strei­ter wie­der da sind, wo sie hin­ge­hö­ren: ganz oben, da wo die deu­tungs­ho­heit und re­le­vanz sie sanft um­we­hen. weg mit dem pö­bel-ge­schnat­ter!

ich kann gasch­ke aber auch ver­ste­hen. wenn ich mor­gens im bal­zac sit­ze und am bild­schirm hoch­phi­lo­so­phi­sche tex­te und emails lese, dann stört es schon, dass in dem la­den je­der spre­chen darf. teil­wei­se bel­len so­gar hun­de. je­der meint was zu sa­gen zu ha­ben — in der öf­fent­lich­keit! es ist an­stren­gend und es macht ag­gres­siv, wenn man frem­de, un­ge­be­te­ne mei­nungs­äus­se­run­gen nicht ein­fach aus­fil­tern kann.

was ich aber nicht ver­ste­he, ist gasch­kes ab­leh­nung von ver­füg­bar­ma­chung von wis­sen oder (ge­nau­er) in­for­ma­tio­nen durch das netz. sie lehnt es ja nicht nur des­halb ab, weil die „Di­gi­ta­lis­ten“ in­for­ma­ti­on und wis­sen oft syn­onym be­nut­zen, son­dern weil all­ge­gen­wär­ti­ge in­for­ma­ti­on eine „So­for­tis­mus­kul­tur“ för­de­re. nur, was ist bei­spiels­wei­se der un­ter­schied zwi­schen der al­ter­tüm­li­chen bi­blio­thek von alex­an­dria und dem in­ter­net heu­te? der haupt­un­ter­schied den ich er­ken­ne ist, dass in alex­an­dria das wis­sen der da­ma­li­gen welt nur ei­ni­gen we­ni­gen pri­vi­li­gier­ten zur ver­fü­gung stand. und zwar — wie in je­der or­dent­lich ge­führ­ten bi­blio­thek — so­fort, nur ein paar re­ga­le wei­ter, qua­si „in­for­ma­ti­on at your fin­ger­tips“. im in­ter­net steht das wis­sen plötz­lich al­len zur ver­fü­gung. ob es sich alle an­zu­eig­nen ver­mö­gen, ob alle et­was da­mit an­zu­fan­gen ver­mö­gen, ist na­tür­lich eine ganz an­de­re fra­ge, üb­ri­gens ge­nau wie in ei­ner bi­blio­thek.

aber gasch­ke stört tat­säch­lich dass nun plötz­lich alle zu­griff ha­ben. be­son­ders für kin­der sei es be­son­ders schäd­lich, wenn es kei­ne ge­heim­nis­se, kei­ne ta­bus mehr gäbe. auch die er­wach­se­nen wür­den durch die „So­for­tis­mus-Kul­tur“ in­fan­ti­li­siert: „Der di­gi­tal na­ti­ve aber will nicht rin­gen, er will kli­cken“. ver­mut­lich ro­tiert neil post­man an­ge­sichts sol­cher haus­ma­cher-ma­kra­mee-phi­lo­so­phie, die sich auch noch ex­pli­zit auf ihn be­ruft, in sei­nem gra­be.

apro­pos ma­kra­mee-phi­lo­so­phie. ein gu­tes drit­tel ih­res bu­ches ver­wen­det gasch­ke dar­auf, dar­zu­le­gen wie schäd­lich, kon­zen­tra­ti­ons-, lese- oder bil­dungs­feind­lich das in­ter­net ge­ra­de für kin­der und her­an­wach­sen­de sei. dass auch sport, vor al­lem leis­tungs­sport, das po­ten­zi­al hat ju­gend­li­che zu ver­blö­den oder von ei­ner um­fas­se­nen bil­dung im gasch­ke’schen klas­i­schen sin­ne ab­hält, weiss je­der der schon­mal sport­ler-in­ter­views im fern­se­hen ge­se­hen hat. die pro­ble­me des bil­dungs­sys­tems, mei­net­we­gen auch, um es mal gasch­kes­que aus­zu­drü­cken, die ver­blö­dungs­ten­den­zen un­se­rer ge­sell­schaft sind kein tech­no­lo­gi­sches pro­blem, ge­nau­so wie die lö­sung nicht rein tech­no­lo­gisch mög­lich ist. nie­mand wird ernst­haft be­haup­ten, dass fern­se­her oder com­pu­ter kin­der bes­ser auf­zie­hen kön­nen als en­ga­gier­te el­tern, die ih­ren kin­dern zeit und auf­merk­sam­keit und lie­be schen­ken. (ob­wohl ich durch­aus leu­te ken­ne, die die ers­ten 20 jah­re ih­res le­bens vor dem fern­se­her ver­bracht ha­ben und aus de­nen durch­aus et­was re­spek­ta­bles ge­wor­den ist.) die mi­schung machts und gasch­ke scheint die ju­gend für blö­der zu hal­ten als sie ist. ju­gend­li­che kön­nen sehr gut zwi­schen der an­geb­li­chen schein­welt der so­zia­len net­ze im in­ter­net und de­nen im „wah­ren le­ben“ un­ter­schei­den, ihr sen­so­ri­um ist wahr­schein­lich sehr viel aus­ge­präg­ter als gasch­ke es ih­nen zu­traut. es ist gar nicht mal so un­wahr­schein­lich, dass „das In­ter­net kei­ne ne­ga­ti­ven Aus­wir­kun­gen auf die So­zi­al­be­zie­hun­gen von Ju­gend­li­chen hat – son­dern po­si­ti­ve“. aber selbst wenn gasch­ke recht hät­te und das in­ter­net, oder die mo­der­nen me­di­en, nicht för­der­lich für die ent­wick­lung von ju­gend­li­chen sind, wie­so soll eine ge­sell­schaft, frei nach mark twa­in, kein steak es­sen, nur weil ba­bies es nicht kau­en kön­nen?

aber gasch­ke un­ter­schätzt nicht nur die ju­gend­li­chen, son­dern auch die in­ter­net­nut­zer. für sie sind das al­les hirn­lo­se und ver­ein­sam­te auf-den-bild­schirm-glot­zer, die ei­ner schein­welt er­lie­gen. die po­si­ti­ven fol­gen die die ver­net­zung von men­schen (und in­for­ma­tio­nen) hat, blen­det gasch­ke ein­fach aus. schlim­mer noch, sie nimmt sie gar nicht wahr. wäre ihr buch eine re­stau­rant­kri­tik, wäre es die ers­te re­stau­rant-kri­tik, die ohne das be­tre­ten des be­spro­che­nen re­stau­rants ent­stan­den wäre. sie hät­te dann zwar mit den gäs­ten vor der tür ge­re­det, ta­ge­lang das ge­sche­hen durch die fens­ter be­ob­ach­tet und un­zäh­li­ge bü­cher und un­ter­su­chun­gen von re­stau­rant-kri­ti­kern zi­tiert, aber selbst im re­stau­rant ge­ges­sen hät­te sie nicht. sie hät­te all die er­fah­run­gen die sie an im­biss­stän­den, gu­lasch­ka­no­nen oder ih­rer ei­ge­nen kü­che ge­macht hät­te in ihr buch ein­flies­sen las­sen, aber ihr ur­teil durch ei­nen ei­ge­nen, in­ten­si­ven re­stau­rant­be­such trü­ben las­sen, das hät­te sie wohl nicht ge­wollt.

„[Po­li­tik braucht] Nähe, Be­geg­nung, Streit, Dis­kus­si­on; die Er­fah­rung, leib­haf­tig für ein An­lie­gen zu kämp­fen, bei Ab­stim­mun­gen zu un­ter­lie­gen, ge­wählt oder nicht ge­wählt zu wer­den, Rück­sicht zu neh­men, Kom­pro­mis­se zu schlie­ßen. Das ist eine ganz­heit­li­che Er­fah­rung, die ech­ter Men­schen be­darf, die ein­an­der ken­nen. Sie kann on­line un­ter­stützt und er­gänzt wer­den, aber nie­mals er­setzt wer­den.“

an­ders kann ich mir zu­min­dest nicht er­klä­ren, war­um sie die kul­tur die an vie­len ecken und en­den des in­ter­nets wächst und ge­deiht nicht wahr­nimmt oder eben nicht als kul­tur an­er­kennt, war­um sie so­zia­le netz­wer­ke im in­ter­net als un­per­sön­li­che, ober­fläch­li­che „Er­satz-Ge­mein­schaf­ten“ be­zeich­net und steif und fest be­haup­tet, das netz ent­po­li­ti­sie­re. mei­ne er­fah­run­gen zei­gen das ge­gen­teil. wir ha­ben es im in­ter­net nicht nur mit ma­schi­nen zu tun, son­dern auch mit men­schen. vor al­lem das so­cial-web könn­te, nein, bringt be­reits völ­lig neue kul­tur-tech­ni­ken zu­ta­ge. na­tür­lich gibt es schund und schrott und ab­zo­cker und schar­la­ta­ne und idio­ten und per­ver­se und doo­fe im in­ter­net. so wie das in je­der zei­tungs­re­dak­ti­on, stadt oder auch schu­le ist. al­ler­dings be­haup­ten des­halb nur ganz we­ni­ge, dass zei­tun­gen, städ­te oder schu­len uns des­halb ver­blö­de­ten.

aber: gasch­kes buch hat mei­ne wahr­neh­mung ver­än­dert. neu­er­dings er­wi­sche ich mich manch­mal beim le­sen ei­nes län­ge­ren tex­tes am bild­schirm, wie ich plötz­lich das in­ter­es­se am text ver­lie­re. ich den­ke dann an gasch­ke und ihre the­se, dass man bild­schirm nicht or­dent­lich le­sen kön­ne, reis­se mich zu­sam­men und lese trot­zig den text zu­en­de. spä­ter fällt mir dann manch­mal auf, dass mir das eben­so oft mit zei­tun­gen oder bü­chern pas­siert. ent­we­der bin ich schon to­tal ver­blö­det oder gasch­ke hat es tat­säch­lich ge­schafft mei­ne auf­merk­sam­keit zu schär­fen.

[nach­trag]
ein paar 2009er-re­zen­sio­nen zu gasch­kes buch bei bue­cher.de.