heute und damals

felix schwenzel, , in wirres.net    

Punic Wars — Marius Among the Ruins of Carthage
arschloch (symbolbild)

frank patalong:

Manchmal bekomme ich Briefe, die so aussehen: "Sie Arsch! Sie habn dieses ding nicht genug gelobt!" Oder so: "ich wär gern der mujahedien der dir den bauch aufschlitzt!" Dann gibt es noch höfliche Varianten der Hassmail: "Mein Herzenswunsch ist es, Ihnen einen großen Kübel voll Scheisse auf Ihre Tastatur zu kippen."

So etwas hat es immer gegeben. Online aber erreicht es eine andere Qualität: Viele der Mails sind rückverfolgbar, man könnte klagen, wenn man wollte. Bei vielen erklären sich die Verfasser, die mitunter offen justitiable Dinge von sich geben, sogar mit der Veröffentlichung bereit: Sie wollen, dass ihre Verbal-Flatulenzen öffentlich lesbar werden - und zeichnen oft sogar mit vollem Namen. Als ob ihr Verhalten normal sei.

kai posmik über reaktionen auf einen cartoon von loriot:

Die Reaktion der Leser fällt vernichtend aus. Lachen kann offenbar niemand über Loriots Hunde-Cartoons. Einige der erbosten Leserbriefe hat Loriot später in seinem Buch "Möpse und Menschen" veröffentlicht. In einem heißt es: "Ich sehe in den Bildern eine starke Herabsetzung des 'homo sapiens'. So weit darf es doch nicht gehen!" In einem anderen Brief steht: "Humor soll nicht zu kurz kommen, aber derartige Zeichnungen sind alles andere als belustigend. Sie sind widerlich." Ein weiterer Leser empfiehlt dem "Stern" gar, diesem "Idioten" von Zeichner doch ein "Fläschchen E 605" zu verabreichen. Das Insektizid hieß damals im Volksmund "Schwiegermuttergift".

ich weiss nicht ob das beleidigen und bescheuerte briefe schreiben online oder heutzutage „eine andere qualität“ erreicht, oder worin diese andere qualität genau liegen soll. sind hassmails derber als hassbriefe? werden heutzutage mehr hassmails als früher hassbriefe geschrieben? naja, dann wärs glaube ich eine andere quantität und keine andere qualität.

ich würde vielleicht behaupten, dass der hass, die idiotie, die dummheit vieler menschen heutzutage eine andere öffentlichkeit erreicht. aber auch das passt in diesen beispielen nicht, da sowohl patalong, als auch posmik/loriot aus emails oder briefen an die jeweilige redaktion zitieren.

vielleicht bin ich auch zu blöd, die neue qualität von der patalong spricht zu erkennen. oder aber, es wird zeit, dass ich meine alte these die ich in vielen varianten immer wieder von mir gebe, mal stark ansteile und veinfache:

bleibt alles gleich. immer.

* * *

ich lese mal wieder mit grossem vergnügen geo epoche. diesmal über die römische republik, 500 bis 27 vor christus. facebook-revolutionen menschenaufläufe auf öffentlichen plätzen, die die politische ordnung auf den kopf stellen gab es bereits vor über zweitausend jahren. was in der aktuellen geo epoche über politik, über senatoren, volkstribune, populismus, aufwiegelung oder diktatoren steht, ist dem, was wir heute täglich in den nachrichten lesen und sehen gar nicht so unähnlich. es gab keine blogger oder journalisten im alten rom, aber sehr wohl krisenkommunikation, PR und schaufenstergesetze.

wenn man es genau anguckt, hat sich die politik in den letzten paar tausend jahren nicht grossartig verändert. das was wir als zivilisation empfinden, ist eine dünne lackschicht, die schnell abplatzt und ständig neu aufgetragen werden muss, damit die hässliche, brutale wirklichkeit nicht allzuoft durchscheint.

* * *

mir ist das nie so deutlich aufgefallen, aber die kriege mit denen die geschichtsbücher über jahrtausende vollgeschrieben wurden, über die wir lesen und manchmal über die brillianz der feldherren staunen, diese kriege waren fast ausnahmslos totale arschlochaktionen. eine gruppe menschen, eine stadt, ein land fühlt sich stark genug, zieht rüber zu einer anderen gruppe menschen, haut denen die köpfe ein oder ab und nimmt sich was denen vormals gehörte. deren land, deren besitz, deren leben. später werden solche arschlochaktionen dann gerne als geniale strategische schachzüge, aktionen zur sicherung der freiheit, der religion, der zivilisation oder sonstwas verklärt. oder steht in irgendeinem geschichtsbuch, dass die punischen kriege waschechte arschlochaktionen von ein paar grössenwahnsinnigen, erfolgstrunkenen stadtbewohnern waren, die sich so siegessicher und stark und klug und übermenschlich fühlten, wie sich heute nur noch werber fühlen?

mir fiel auf, dass wir immer wieder vergessen auf welchen schweinereien, ungerechtigkeiten, brutalitäten unsere angebliche „zivilisation“ aufbaut. die angebliche „römisch-christlich-jüdische tradition“ die von blitzblanken politikern gerne als das fundament auf dem wir stehen heraufbeschworen wird, besteht aus soviel getrocknetem blut, dass einem ganz schwindelig wird.

oder als binsenweisheit formuliert: krieg ist eine riesen-schweinerei. jeder krieg. das war früher so, das ist heute auch noch so.

* * *

ich bin der festen überzeugung, dass man für die folgenden aussagen belege und zitate aus jedem der vergangenen 30 oder 40 jahrhunderte finden könnte, wenn man nur tief genug gräbt:

„die jugend verdummt.“ — „die jugend behandelt die alten nicht mehr mit ausreichend respekt.“ — „schrifttafeln/romane/zeitungen/das radio/das fernsehen/das internet/irgendwas gaukeln scheinwelten vor, lassen menschen vereinsamen/verdummen, hetzen menschen auf, streuen hass.“ — „früher war alles besser.“

die sprüche der pessimisten sind seit jahrtausenden die gleichen. dooferweise die der optimisten auch.

anders gefragt: was, ausser einer dünnen lackschicht zivilisation, die das tier, das arschloch in uns gerade mal so verdeckt, hat sich in den letzten paar tausend jahren eigentlich substanziell verändert?

[bildquelle]