hu­mor­kri­tik

felix schwenzel

ich hab nach drei vier ab­sät­zen auf­ge­hört die­sen text von anja mai­er zu le­sen. ich fand den text in etwa so ver­gnüg­lich wie ei­nen quer­sit­zen­den furz oder eine zehn mi­nu­ten doku-soap im pri­var­fern­se­hen gu­cken. lang­wei­lig und auch ein biss­chen schmerz­haft. schmerz­haft, weil mir fremd­schä­men hals­schmer­zen ver­ur­sacht (von den klös­sen) und mir man­che ar­ten hu­mor darm­pro­ble­me be­rei­ten (eine art brech­reiz).

ei­gen­ar­ti­ger­wei­se schreibt anja mai­er teil­wei­se ganz wit­zig, wenn sie über ihre ei­ge­nen un­zu­läng­lich­kei­ten und ihre kin­der und fa­mi­li­en­ge­döns schreibt. teil­wei­se setzt sie un­ter ihre tex­te aber auch eine war­nung: „Lie­be Le­ser­brief­schrei­ber! Ich ge­ruh­te zu scher­zen.“

anja mai­er ahn­te also be­stimmt, was pas­sie­ren wür­de, wenn sie ei­nen text in der taz ver­öf­fent­licht über „rin­der“ die im café ihre „eu­ter“ raus­ho­len um ihre kin­der stil­len und ir­gend­wie to­tal stö­ren und doch wie­der da­hin ge­hen soll­ten „wo sie her­kom­men“: vie­le le­ser­brie­fe und viel em­pö­rung. und ein paar leu­te die herz­haft la­chen.

we­gen der em­pö­rung (face­book­link, mög­li­cher­wei­se nicht für je­den sicht­bar) bei vie­len de­nen ix fol­ge, hab ich mir den text dann doch noch­mal ganz durch­ge­le­sen. das pro­blem mit dem text ist mei­ner mei­nung nach, dass er wie po­lier­tes mes­sing-imi­tat wirkt. an­geb­lich ran­tet in dem text eine café-be­sit­ze­rin über die ner­vi­gen prenz­l­berg­müt­ter („rin­der“). das gan­ze ist aber so über­zo­gen und the­ma­tisch ei­gen­ar­tig weit auf­ge­spannt, als hät­te anja mai­er das vor­her ge­glie­dert und dann an den gag-schrei­ber von oli­ver po­cher über­ge­ben, da­mit der das mit po­cher-poin­ten spickt.

(kur­ze er­in­ne­rung aus wel­chen bau­tei­len po­cher-hu­mor be­steht: fot­ze, fi­cken, rin­der, eu­ter, tit­ten, arsch­fi­cken)

au­then­tisch wirkt der text nicht­mal an­satz­wei­se, was dann die oh­ne­hin nicht vor­han­de­nen di­stanz von anja mai­er zum ge­sag­ten noch wei­ter schmä­lert. man er­kennt nicht mehr, hasst anja mai­er die müt­ter oder die café-be­sit­ze­rin oder bei­de — oder kei­ne von bei­den, weil das ein­fach mal raus muss­te und ja auch so „er­schre­ckend wahr, […] tra­gisch und vor al­lem ur­ko­misch“ ist?

die hass­ti­ra­den wer­den be­dau­er­li­cher­wei­se auch nicht ge­bro­chen. hass­ti­ra­den sind manch­mal mit selbst­be­schimp­fung und ex­pli­zi­tem selbst­hass ganz gut zu er­tra­gen. bosch kann so­was su­per. sich selbst, die welt — al­les has­sen — und ich muss trotz­dem fast im­mer ki­chern, wenn ich bosch lese. auch das kann ein gran­dio­ses miss­ver­ständ­nis sein, ge­nau­so, wie ich viel­leicht den bruch, die iro­nie, die re­la­ti­vie­run­gen oder brü­che bei anja mai­ers eu­ter-text nicht zu er­ken­nen ver­mag und sie und ih­ren eu­ter-hu­mor des­halb nicht ver­ste­he.

jetzt könn­te der ein­wand kom­men: aber es sind doch nicht anja mai­ers wor­te in dem ar­ti­kel! naja, wört­li­che zi­ta­te sind das aber si­cher auch nicht. ich glau­be, dass da ne men­ge li­te­ra­li­siert wur­de. oder im bes­ten fal­le sug­ge­riert.


bei pe­ter praschls tex­ten hab ich auch nicht im­mer das ge­fühl, dass sie von ei­nem gros­sen mensch­freund ge­schrie­ben wur­den. aber er kann din­ge wun­der­bar auf den punkt brin­gen. wie jetzt. in die­sem text hat er die res­sen­ti­ments aus anja mai­ers text ge­zo­gen und gibt den als „eu­ter-rin­der“ be­schimpf­ten prenz­l­berg­müt­tern ein ge­sicht. das ge­sicht sei­ner frau: „Mei­ne Frau. Das Arsch­loch.“

Die Frau, die ich lie­be, mit der ich lebe und mit der ich ein Baby habe, ist so eine Pren­zel­berg­mut­ter. Ein Arsch­loch. Sie hat es sich nicht aus­ge­sucht. Die Adres­se und das Kind, aber nicht, den Arsch­loch­has­sern An­stoß zu sein, aus dem ein­zi­gen Grund, dass sie sicht­bar ist. Die Arsch­loch­has­ser kön­nen sie se­hen. Wenn sie mit dem Kin­der­wa­gen un­ter­wegs ist, mit dem Kind im Kaf­fee­haus sitzt, mit dem Kin­der­wa­gen ein­kau­fen geht.

wit­zig ist das was pe­ter praschl schreibt auch nicht. aber man kann es schmerz­frei le­sen. naja, ein biss­chen tuts weh, weil praschl recht hat.

[via ma­thi­as ri­chel]


ich mach mich ja auch ger­ne lus­tig über funk­ti­ons­klei­dungs­trä­ger im prenz­lau­er berg (und an­ders­wo) und mir fällt auch hin und wie­der auf, dass müt­ter, so ganz all­ge­mein, auch viel äl­ter sind als frü­her, wenn sie kin­der krie­gen. manch­mal, wenn ich ir­gend­wo sit­ze, egal ob in ham­burg, ber­lin, im prenz­lau­er berg oder in der spei­cher­stadt, rege ich mich auch mal über kin­der­ge­schrei auf. öf­ter aber noch über das ge­schrei von leu­ten die nicht in nor­ma­ler laut­stär­ke re­den kön­nen oder mei­nen im zug in ihr te­le­fon schrei­en zu müss­sen, ob­wohl die mi­kro­fo­ne in mo­der­nen te­le­fo­nen wirk­lich sehr, sehr emp­find­lich sind. man glaubt es kaum, aber es gibt je­man­den der mon­tags im ICE von ham­burg nach ber­lin pünkt­lich um 6:25 furzt. da­ge­gegn ist kin­der­ge­schrei eine won­ne.

ge­ra­de ges­tern mal wie­der, sass im bal­zac eine nicht mehr be­son­ders jun­ge mut­ter mit ih­rer drei­jäh­ri­gen toch­ter ne­ben mir und re­de­te auf ihr kind ein. dass es das crois­sant jetzt lang­sam mal auf­es­sen sol­le, sich ein biss­chen be­ei­len sol­le, nicht so viel mit dem es­sen rum­spie­len sol­le und ganz all­ge­mein, dass sie es­sen nicht weg­wer­fen möch­te und jetzt lang­sam mal los müs­se. das nerv­te ir­gend­wie gar nicht, was nerv­te, war der kläf­fer den eine frau ohne kind und ohne kin­der­wa­gen mit ins bal­zac ge­bracht hat­te und der dann die ge­le­gen­heit er­griff und kläff­te.

ich kann mich oft ein­fach nicht ent­schei­den, was mehr nervt. kläf­fer, laut-te­le­fo­nie­rer im zug, hun­de­ka­cke auf dem geh­weg, fick­ge­schrei im hin­ter­hof, leu­te die im ICE fur­zen, kin­der die laut sind oder el­tern die ihre kin­der an­schrei­en, sie soll­ten jetzt mal lei­se sein. oder die­se un­ab­läs­sig „pss­s­sst“-zi­schen­den el­tern.

das ist ir­gend­wie al­les wie beim blog-ge­schlecht. ich weiss nicht was mehr nervt, leu­te die sich über leu­te auf­re­gen die „der blog“ sa­gen — oder leu­te die tat­säch­lich „der blog“ sa­gen. viel­leicht soll­te man sich doch we­ni­ger auf­re­gen?


über­haupt. was gibts ei­gent­lich ge­gen lat­te mac­cia­to zu sa­gen? oder all­ge­mei­ner, ge­gen gu­ten kaf­fee?

und: ab wann ist man ei­gent­lich ein yup­pi? wenn man kaf­fee für ei­nen euro kauft, zwei oder drei? oder wenn man eine kaf­fee­ma­schi­ne für 100, 200 oder mehr als 300 euro kauft? wenn man to­ma­ten auf dem markt kauft? oder wenn man gar zu aldi geht? aus schwa­ben kommt? (ich bin nach dem stu­di­um aus stutt­gart nach ber­lin ge­zo­gen.)

ist man ein yup­pi wenn man be­stimm­te zei­tun­gen bei kaf­fee­trin­ken liest oder wenn man zei­tung oder face­book oder sonst­was auf ei­nem bild­schirm liest?

tra­gen yup­pis wirk­lich alle funk­ti­ons­klei­dung? und sind die prenz­l­berg­mut­tis wirk­lich an der gen­tri­fi­zie­rung und dem schlech­ten hu­mor der schlech­ten lau­ne von ex-os­sis, die sich in „ihre alte Hei­mat be­ge­ben“ schuld?