alle jahre wieder

felix schwenzel

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john­ny haeus­ler 2005:

Ich glaube, mich kotzt gerade dieses allgemeine Dauerbashing in vielen Blogs an. Alles und jeder scheint blöd zu sein, aber nur wenige können auch ausdrücken, warum genau (oder gar Alternativen andenken). Alle sind schlauer als der Rest, aber nur wenige zeigen’s auch. Und alle haben unheimlich viel Ironie, aber die meisten nutzen sie nur als offene Hintertür.

john­ny haeus­ler 2014:

[E]s [geht] in den Schlauberger-Kolumnen und vielen Kommentaren mal wieder darum, auf möglichst “clevere” Art zu formulieren, wer und was alles Scheiße ist. Ein kleiner Tipp: Es ist nicht etwa Ebola, sondern natürlich der Song, die Macherinnen und Macher. Also die so gehassten “Gutmenschen”, die natürlich alles falsch machen.

Willkommen im Wohlstand des 21. Jahrhunderts, in dem die Wortbestandteile “Gut” und “Mensch” offiziell zur Beleidigung geworden sind. Und in dem man am wenigsten Risiko eingeht, wenn man besonders gut im “Allesscheißefinden”, “Bloßfürnichtseinstehen” und “Auchkeinelösunghaben” ist. Wir sind so irre ironisch. Nur leider nicht witzig

alle jah­re wie­der, wenn bob geldof und bono ir­gend­was ma­chen, fin­den leu­te das scheis­se und das fin­det john­ny haeus­ler dann scheis­se (aus­ser manch­mal). jetzt hat john­ny haeus­ler die weit ver­brei­te­te und pu­bli­zier­te ab­leh­nung der jüngs­ten band-aid-wie­der­vor­la­ge zum an­lass ge­nom­men, bru­talst­mög­lich zu dif­fe­ren­zie­ren: „Band Aid 30: Al­les schei­ße?

ich fin­de bob geldof lei­der, völ­lig un­iro­nisch, to­tal scheis­se doof. aus sehr vie­len ver­schie­de­nen grün­den, die ich in den letz­ten jah­ren auch ein paar mal hier im de­tail be­spro­chen, be­schrie­ben oder ver­linkt habe (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7). bono üb­ri­gens auch, der (ge­nau wie zum bei­spiel ap­ple, ama­zon, aol oder die huf­fing­ton post) ela­bo­rier­te steu­er­spar­mo­del­le nutzt, aber sich dar­über be­klagt, dass die län­der der welt nicht ge­nug hül­fen. die huf­fing­ton post und cam­pi­no fin­de ich auch doof, eben­falls völ­lig un­iro­nisch. mei­ne ab­leh­nung ba­siert vor al­lem dar­auf, dass ich lese was die huf­fing­ton post ver­öf­fent­licht oder was cam­pi­no (oder bono oder geldof) so in in­ter­views oder ar­ti­keln sa­gen.

ich fin­de mei­ne ab­leh­nung von sol­cher­lei tral­l­al­la (wie band aid, live8, der huf­fing­ton post), oder mein dooffin­den von leu­ten wie bono, geldof oder cam­pi­no völ­lig le­gi­tim.

john­ny haeus­ler fin­de ich nicht scheis­se, im ge­gen­teil. ich fin­de es su­per, wenn er sich auf­regt, weil dann manch­mal auch sehr, sehr tol­le tex­te aus ihm raus­kom­men. die­ser text ist zwar mei­ner mei­nung nach nicht so toll, auch wenn er mit vie­lem was er sagt na­tür­lich recht hat — aber eben nicht in al­len punk­ten.

ich fin­de näm­lich sehr wohl, dass man so­wohl ebo­la scheis­se fin­den kann, als auch die art und wei­se — und vor al­lem die hal­tung und mo­ti­va­ti­on — mit der geldof und sei­ne mit­strei­ter ihre hilfs­ak­ti­on auf­zie­hen. und ich fin­de auch nicht, dass ir­gend­wer, der sich ent­schei­det et­was für ei­nen gu­ten zweck zu tun (oder für ir­gend­was geld zu sam­meln), vor kri­tik be­hü­tet wer­den soll­te. im ge­gen­teil. ak­tio­nis­mus, ir­gend­et­was tun ist zwar grund­sätz­lich löb­lich, aber nicht zwangs­läu­fig rich­tig oder hilf­reich oder un­um­strit­ten. wenn das so wäre, müss­ten wir alle das leis­tungs­schutz­recht to­tal knor­ke fin­den, denn des­sen in­itia­to­ren ha­ben uns glaub­haft ver­si­chert, dass es un­se­re de­mo­kra­tie und pres­se­land­schaft stär­ken wür­de. wie kann man dann ge­gen so et­was gu­tes sein, das sich le­dig­lich ge­gen böse fir­men und men­schen rich­tet?

apro­pos po­li­tik. ich glau­be (ganz un­iro­nisch), dass die meis­ten po­li­ti­ker es auch nur gut mei­nen. zwei­fel­los reis­sen sich sehr vie­le po­li­ti­ker ihre är­sche für ihre über­zeu­gun­gen auf.

soll man po­li­ti­ker des­halb auch nur kri­ti­sie­ren, sich nur über ihre ver­meint­lich be­scheu­er­ten ideen lus­tig ma­chen, wenn man bes­se­re ideen hat, wenn man lö­sun­gen pa­rat hat oder sich kon­struk­tiv an de­bat­ten be­tei­ligt hat? soll man die mo­ti­ve von po­li­ti­kern aus der dis­kus­si­on aus­schlies­sen, weil sie es doch of­fen­sicht­lich (und nach ei­ge­nem be­kun­den) nur gut mei­nen?

was bono, geldof oder cam­pi­no hier ver­an­stal­ten ist ja kei­ne rei­ne spen­den­ak­ti­on, son­dern eine po­li­ti­sche un­ter­neh­mung: sie kri­ti­sie­ren ih­rer­seits „die po­li­tik“ die nicht ge­nug täte, die an­geb­lich ta­ten­los sei und der man jetzt („lei­der“) zei­gen müs­se wie „es“ rich­tig gehe (zi­ta­te von bob geldof aus dem ge­däch­nis). wer mit erns­ter mie­ne so dick auf­trägt, soll­te sich na­tür­lich nicht über kü­bel­la­dun­gen von spott wun­dern — so wie sich dick auf­tra­gen­de deut­sche po­li­ti­ker üb­ri­gens auch nicht über kü­bel­la­dun­gen spott auf spree­blick.com wun­dern.

john­ny haeus­ler sagt kurz vor sei­nem, lei­der sehr sar­kas­ti­schen, schluss­satz:

Es ist so leicht, Aktionen wie Band Aid scheiße zu finden, so leicht, dumme Sprüche darüber zu machen, sich den einen oder anderen Lacher abzuholen. Viel schwerer ist es, sich einfach mal für eine Sache einzusetzen im vollen Bewusstsein, dass sie uncool wirken kann und vielleicht sogar nicht zu 100% hieb- und stichfest ist.

auch wenn er sich hier ein biss­chen wie der spre­cher der jun­gen uni­on bei der recht­fer­ti­gung sei­ner mit­glied­schaft an­hört, hat john­ny haeus­ler na­tür­lich recht. sich für et­was ein­set­zen, von dem man über­zeugt ist, ist eine tu­gend, die durch­aus öf­ter ge­übt wer­den könn­te. aber schwer und leicht sind ers­tens nicht un­be­dingt in­di­ka­to­ren für rich­tig und falsch, ge­nau­so wie das rich­ti­ge ziel noch lan­ge nicht den rich­ti­gen weg ga­ran­tiert.

ich wür­de sehr ger­ne mei­ne skep­sis ge­gen­über or­ga­ni­sa­tio­nen oder men­schen be­hal­ten, die das öff­nen von geld­beu­teln mit über­mäs­si­gem pa­thos und emo­tio­na­li­sie­rung ein­for­dern. ich wer­de ganz be­son­ders skep­tisch wenn die or­ga­ni­sa­to­ren an­fan­gen die ab­leh­nung ih­rer ak­ti­on, mit ab­leh­nung der sa­che für die sie sich ein­set­zen gleich­zu­set­zen. so ein vor­ge­hen mag zwar ef­fek­tiv sein, aber ich hal­te es für ge­nau­so falsch, wie das re­kru­tie­ren von mit­glie­dern oder spen­dern in der fuss­gän­ger­zo­ne.