„digital-hipster“

felix schwenzel

se­bas­ti­an bau­mer schrob am frei­tag:

Mein Aha-Moment auf der re:publica (#rp15) war der Talk von Christine Corbett Moran. Falls euch der Name grade nichts sagt: Das war die Astrophysikerin, die zwei Sessions nach dem Astronauten auf der Hauptbühne gesprochen hat, der seine Weltraumbilder und -selfies gezeigt hat.
Bei Alexander Gerst war die Halle zum Brechen voll, bei Christine Corbett Moran, die sehr gut und ernsthaft den Weltraum erklärt hat, herrschte gähnende Leere. In dem Moment habe ich endgültig gemerkt, dass das Publikum der Konferenz 2015 für meinen Geschmack zu sehr (i.e. gefühlt komplett) aus Digital-Hipstern besteht.

(links und her­vor­he­bun­gen von mir hin­zu­ge­fügt)

die schluss­fol­ge­rung ist na­tür­lich to­ta­ler quatsch. gun­ter dueck wür­de die­se schluss­fol­ge­rung wahr­schein­lich dumm nen­nen („ma­che nie­mals aus ei­ner kor­re­la­ti­on eine kau­sa­li­tät“), ich wür­de sa­gen, sie er­gibt, auch mit gu­tem wil­len, we­ni­ger als gar kei­nen sinn.

das in­ter­es­se an alex­an­der gerst hat­te ganz si­cher nichts da­mit zu tun, dass er „Welt­raum­sel­fies“ ge­zeigt hat, oder dass er aus dem all hat twit­tern las­sen. alex­an­der gerst stiess auf rie­si­ges in­ter­es­se, weil er ei­ner von sehr we­ni­gen men­schen ist, der die erde auf 300 ton­nen kon­trol­liert ex­plo­die­ren­dem flüs­si­gen treib­stoff ver­las­sen hat und ein hal­bes jahr im welt­raum ge­lebt hat. alex­an­der gerst hat ein aben­teu­er er­lebt, von dem vie­le von kind­heits­bei­nen an träu­men, er hat et­was ge­tan, was wir sonst nur aus dem fer­se­hen oder kino ken­nen, er hat sich in le­bens­ge­fahr be­ge­ben und sein aben­teu­er wur­de von ei­ner erst­klas­si­gen pres­se­ar­beit be­glei­tet. ich habe alex­an­der gerst üb­ri­gens nicht zu­erst auf twit­ter wahr­ge­nom­men, son­dern in der di­gi­tal-hipps­ter-sen­dung mit der maus.

wer sich also eher für ei­nen pro­mi­nen­ten as­tro­nau­ten in­ter­es­siert, statt für eine un­be­kann­te theo­re­ti­sche phy­si­ke­rin, die über furcht­bar kom­pli­zier­te din­ge wie „con­cordance cos­mo­lo­gy“ (lei­tet bei der wi­ki­pe­dia auf „Lamb­da-CDM mo­del“ wei­ter), die all­ge­mei­ne re­la­ti­vi­täts­the­rie, den ur­knall, die ex­pan­si­on des welt­alls, dunk­le ma­te­rie und die kos­mo­lo­gi­sche kon­stan­te re­det, out­te sich als „di­gi­tal-hips­ter“?

ich weiss noch nicht mal ge­nau was ein „di­gi­tal-hips­ter“ aus­ser ei­ner be­lei­di­gung sein soll. wa­ren die vie­len kin­der für die die ers­ten rei­hen in der hal­le re­ser­viert wa­ren auch di­gi­tal-hips­ter? mei­ne mut­ter, die sich alex­an­der gerst mit be­geis­te­rung an­ge­se­hen an (nicht aber chris­ti­ne cor­bett mo­ran) wür­de das la­bel di­gi­tal-hips­ter wahr­schein­lich freu­dig als kom­pli­ment an­neh­men, als ges­te, dass sie auch dazu ge­hö­re. und das ist wahr­schein­lich auch die klü­ge­re re­ak­ti­on, als sich über so ei­nen stump­fen, ver­all­ge­mei­nern­den ver­gleich in ei­nem ei­ge­nen blog­ar­ti­kel zu be­schäf­ti­gen.

aber wo ich ge­ra­de da­bei bin, kann ich auch gleich wei­ter­ma­chen. denn wit­zi­ger­wei­se macht se­bas­ti­an bau­mer zwei ab­sät­ze spä­ter ge­nau das, was er vor­her den „di­gi­tal-hip­stern“ vor­ge­wor­fen hat: stolz die ei­ge­ne igno­ranz raus­po­sau­nen:

So wie sie ist, ist die re:publica nur noch ein Zirkus aus oberflächlichen Anrissen verschiedenster Themen, die vor allem für die Was-mit-Medien-Leute interessant ist. Ich geh dann wohl nächstes Jahr lieber zum CCC.

viel­leicht hat se­bas­ti­an bau­mer am ein­gang kein pro­gramm mehr be­kom­men, aber mein ein­druck vom pro­gramm der re­pu­bli­ca war die­ses jahr ge­nau das ge­gen­teil von „ober­fläch­lich­keit“ oder „was-mit-me­di­en“-ge­döns. es gab un­ge­wöhn­lich vie­le ar­chi­tek­ten und städ­te­bau­er auf den büh­nen, wie­der vie­le künst­ler die ihre ar­bei­ten oder pro­jek­te zeig­ten, gun­ter dueck hat sich über BW­Ler und busi­ness-kas­per lus­tig ge­macht, se­xua­li­tät, sau­fen und bil­dung wa­ren mehr­fach the­ma auf den büh­nen. (nur ich hab über den glei­chen scheiss wie in den letz­ten jah­ren ge­re­det.)

ich fin­de, dass die re­pu­bli­ca we­der den ver­gleich mit fach­kon­gres­sen, noch mit an­de­ren misch­masch-kon­gres­sen wie dem cha­os com­mu­ni­ca­ti­on con­gress oder (zum bei­spiel) der ars elec­tro­ni­ca scheu­en muss. und auch wenn ich fin­de, dass die or­ga­ni­sa­ti­on und di­ver­si­tät des pro­gramms (na­tür­lich) ver­bes­se­rungs­fä­hig ist, hat die re­pu­bli­ca auch die­ses jahr wie­der mei­ne er­war­tun­gen voll er­füllt: ein pro­gramm bei dem mich nicht al­les in­ter­es­siert, aber ei­ni­ges über­rascht, be­geis­tert oder eu­pho­ri­siert. und das al­les in ei­nem ex­trem an­ge­neh­men und ent­spann­ten rah­men.

reed has­tings hat zu ei­ner kri­tik am pro­gramm von net­flix ge­sagt (wenn ich ihn rich­tig ver­stan­den habe):

we should celebrate variety.
the internet is about diversity and taste.

mit an­de­ren wor­ten: je­der fin­det im in­ter­net sein plai­sir. ir­gend­wo. nicht al­les muss al­len ge­fal­len. es gibt an­ge­bo­te für den mas­sen­ge­schmack, aber eben auch ge­nau das ge­gen­teil. und wer nichts fin­det was ihm oder ihr ge­fällt, der macht ein­fach sel­ber was. in­so­fern bil­det das pro­gramm der re­pu­bli­ca das in­ter­net — bzw. die ge­sell­schaft — schon ganz gut ab.

ich fän­de es nicht schlimm, wenn se­bas­ti­an bau­mer ver­an­stal­tun­gen be­sucht, die sei­nen be­dürf­nis­sen bes­ser ent­spre­chen. aber bes­ser fän­de ich, wenn se­bas­ti­an bau­mer das was ihm an der re­pu­bli­ca fehlt viel­leicht selbst er­gänzt und zum bei­spiel ei­nen vor­trag hält mit dem „man tie­fer in ei­nen Kom­plex ein­stei­gen kann und dann am Ende auch et­was mit nach Hau­se neh­men kann“. ich wür­de mir das an­gu­cken und mich da­nach wie­der lie­bend gern mit ihm strei­ten. ein paar vor­schlä­ge für the­men gebe ich ihm auch ger­ne gleich mit: „no­ti­zen aus der ver­all­ge­mei­ne­rung­pra­xis“, „war­um hipps­ter so ne seu­che sind“ oder „wie ich es schaff­te, mei­ne schlech­te lau­ne los zu wer­den“.