Vol­le Kraft vor­aus (t3n 54)

felix schwenzel in t3n

Der Blick in die Zu­kunft fällt uns schwer, weil der Blick in fer­ne Zei­ten im­mer Re­fle­xi­on der Ge­gen­wart zeigt. Wir se­hen beim Blick nach vorn im­mer auch uns selbst. Wenn wir die Au­gen zu­sam­men­knei­fen, un­se­ren Blick ein biss­chen abs­tra­hie­ren, schaf­fen wir es ge­le­gent­lich, ei­nen flüch­ti­gen, un­ver­fälsch­ten Ein­druck von der Zu­kunft zu be­kom­men. Für so ei­nen abs­trak­ten Blick las­sen sich bei­spiels­wei­se Er­eig­nis­se oder Mus­ter aus der Ver­gan­gen­heit in die Zu­kunft pro­ji­zie­ren.

Wir wis­sen zum Bei­spiel, dass sich man­che Din­ge nie än­dern wer­den (Kla­gen über die Ju­gend, un­se­re Ab­hän­gig­keit von Tech­no­lo­gie). Au­ßer­dem kön­nen wir rote Fä­den im Ge­we­be der Mensch­heits­ge­schich­te er­ken­nen, die sich vom An­be­ginn der Zeit bis heu­te und wei­ter in die Zu­kunft zie­hen wer­den. Ei­ner die­ser ro­ten Fä­den ist Be­schleu­ni­gung, Del­ta v (Δv), oder ge­nau­er, die Än­de­rung von Ge­schwin­dig­keit. Durch Be­schleu­ni­gung, durch die Fä­hig­keit, Hand­lun­gen ein biss­chen schnel­ler aus­zu­füh­ren als Kon­kur­ren­ten, ha­ben Men­schen sich seit je­her evo­lu­tio­nä­re und wirt­schaft­li­che Vor­tei­le ver­schafft. Die Fä­hig­keit, uns schnel­ler von A nach B zu be­we­gen, hat uns zu Vor­tei­len ge­gen­über an­de­ren Tier­ar­ten ver­hol­fen und war spä­ter die Grund­la­ge von Im­pe­ri­en und po­li­ti­scher und wirt­schaft­li­cher Vor­herr­schaft.

Die Spa­ni­er – spä­ter die Eng­län­der – ver­dank­ten ihre Macht ih­ren See­flot­ten, mit de­nen sie sich schnel­ler (und frei­er) in der Welt be­we­gen konn­ten als ihre Nach­barn. Der Wohl­stand der mo­der­nen west­li­chen Welt und vor al­lem auch Deutsch­lands ba­siert zum gro­ßen Teil auf Mo­bi­li­täts­tech­no­lo­gien, die es je­dem Ein­zel­nen er­mög­li­chen, sich im­mer schnel­ler von A nach B zu be­we­gen.

Die­se ein­fa­che, vor­her­seh­ba­re Be­schleu­ni­gungs­ten­denz hat al­ler­dings auch schwer vor­her­seh­ba­re Fol­gen für die Welt. Die Spa­ni­er ha­ben im 17. Jahr­hun­dert halb Süd­eu­ro­pa ent­wal­det, um mit ih­ren Schif­fen schnel­ler um die Welt zu kom­men. Wir ha­ben gro­ße Tei­le des Bo­dens ver­sie­gelt und er­wär­men das Kli­ma mas­siv, um schnel­ler an­ders­wo­hin zu kom­men. Un­se­re Fä­hig­keit, ein­an­der im­mer schnel­ler und ein­fa­cher zu tö­ten, ist nicht nur eine Grund­la­ge un­se­res Wohl­stands, son­dern zu­gleich auch ein Bei­spiel da­für, wie wir ge­sell­schaft­lich ver­su­chen, die Fol­gen des Del­ta v, der ra­sen­den Tech­no­lo­gie­ent­wick­lung, ab­zu­fe­dern. Zu­min­dest in den letz­ten 70 Jah­ren gab es gro­ße, teil­wei­se er­folg­rei­che Be­mü­hun­gen, den Frie­den trotz wach­sen­der Tö­tungs­ar­se­na­le durch Ab­kom­men, Han­del und Ach­tung be­waff­ne­ter Kon­flik­te zu si­chern.

Ein be­son­ders kras­ses Del­ta v ha­ben wir in den letz­ten 30 Jah­ren im Be­reich der Di­gi­ta­li­sie­rung er­lebt. Auf Grund­la­ge von im­mer schnel­le­ren und ef­fi­zi­en­te­ren Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­no­lo­gien sind neue Im­pe­ri­en ent­stan­den und die Fol­gen die­ser Um­brü­che, die Zer­stö­rungs­kraft der noch kürz­lich ge­fei­er­ten Dis­rup­ti­on, wer­den uns lang­sam be­wusst. An den Pro­ble­men, die der ra­san­te Fort­schritt der Di­gi­ta­li­sie­rung und Ver­net­zung uns ein­ge­brockt ha­ben, ver­zwei­feln vor al­lem Pio­nie­re der Tech­no­lo­gie. Wer hät­te ge­dacht, dass Tech­no­lo­gien, die Men­schen nä­her­brin­gen, ver­net­zen, er­mäch­ti­gen soll­ten, zu so viel Hass, Spal­tung, Kon­flik­ten und ei­nem Wie­der­auf­flam­men des Fa­schis­mus füh­ren wür­den?

Das Mus­ter, der rote Fa­den, ist im Prin­zip be­stür­zend: Wir schaf­fen und ver­bes­sern Tech­no­lo­gien, mit de­nen wir un­ser Le­ben bei­spiel­los be­schleu­ni­gen, be­que­mer und güns­ti­ger ge­stal­ten kön­nen. Ma­chen sich ne­ga­ti­ve Fol­gen die­ser Be­schleu­ni­gung be­merk­bar, ver­su­chen wir tech­no­lo­gisch und ge­sell­schaft­lich ge­gen­zu­steu­ern – un­ter an­de­rem mit mehr, mit schnel­le­ren, mit bes­se­rer Tech­no­lo­gie.

Es ist nicht da­von aus­zu­ge­hen, dass sich das in na­her oder fer­ner Zu­kunft än­dert, auch weil wir Men­schen ohne Tech­no­lo­gie nur be­grenzt über­le­bens­fä­hig sind. Die­ser abs­trak­te Blick in die Zu­kunft ist na­tür­lich ziem­lich un­be­frie­di­gend.

Es gibt aber eine be­währ­te Tech­nik, ei­nen kon­kre­ten Blick in die nä­he­re Zu­kunft zu er­ha­schen: in­dem wir sie ge­stal­ten, oder uns zu­min­dest an ih­rer Ge­stal­tung be­tei­li­gen. Die Er­kennt­nis ist zwar tri­vi­al, aber wir den­ken viel zu sel­ten dar­an: Wir kön­nen die Zu­kunft durch un­ser Han­deln be­ein­flus­sen.

Mit an­de­ren Wor­ten: Frag nicht, was die Zu­kunft bringt, son­dern was du für die Zu­kunft tun kannst.