in­kom­pe­tenz

felix schwenzel

ich blei­be da­bei, dass der gute alte jof­fe-spruch „Ver­su­che nie durch Kon­spi­ra­ti­on zu er­klä­ren, was auf Cha­os oder In­kom­pe­tenz zu­rück­ge­führt wer­den muss“ auch ak­tu­ell in der zen­sur­su­la-, wie­fels­schwätz- und so­gar der pro­zess­gre­tel-koch-mehrin-dis­kus­si­on sei­ne gül­tig­keit be­hält.

ich glau­be tat­säch­lich, dass ur­su­la von der ley­en mit ih­rem schnell­schuss-ge­setz zur be­kämp­fung der kin­der­por­no­gra­fie meint kin­der zu schüt­zen (und sich po­pu­lär zu ma­chen). dass sie es in den vier jah­ren als kin­der-mi­nis­te­rin nicht­ge­schafft hat ef­fek­ti­ve mass­nah­men zum kin­der­schutz ein­zu­lei­ten, dass sie nicht mal an­satz­wei­se dazu in der lage ist zu er­ken­nen und ent­spre­chen­de mass­nah­men durch­zu­set­zen um bei­spiels­wei­se die po­li­zei­ar­beit von bü­ro­kra­ti­schen hür­den zu be­frei­en und ef­fek­ti­ver zu ge­stal­ten ist viel eher ein zei­chen ih­rer in­kom­pe­tenz als ih­rer bos­haf­tig­keit oder af­fi­ni­tät zu zen­sur­mass­nah­men zu­zu­schrei­ben. mei­ner mei­nung nach ste­hen in­kom­penz, nai­vi­tät und gel­tungs­sucht hin­ter ih­rem be­knack­ten schnell­schuss-ge­setz-ent­wurf.

die­se in­kom­pe­tenz und nai­vi­tät liess sie glau­ben, dass nie­mand po­li­ti­schen wi­der­stand leis­ten wür­de. in sa­chen SPD lag sie rich­tig. im märz noch un­ter­hielt ich mich mit ei­nem der SPD-spit­ze na­he­ste­hen­den men­schen, der frei­her­aus zu­gab die in­itia­ti­ve für eine po­pu­lis­ti­sche luft­num­mer zu hal­ten, aber auch zu­gab, dass nie­mand in der SPD-spit­ze es wa­gen wür­de ge­gen die in­itia­ti­ve vor­zu­ge­hen oder wi­der­stand da­ge­gen zu leis­ten. eine kla­re ka­pi­tu­la­ti­on vor dem po­pu­lis­mus und der bild-zei­tung. dass der selbst­or­ga­ni­sier­te wi­der­stand im netz und die pe­ti­ti­on ge­gen die ge­set­zes­in­itia­ti­ve dar­an lang­fris­tig et­was än­dern könn­te und ir­gend­wann doch kri­ti­sche stim­men aus der SPD-spit­ze oder dem bun­des­rat kom­men könn­ten, än­dert nichts an der po­li­ti­schen feig­heit und schlapp­heit der SPD.

im ge­gen­teil. die SPD scheint mir nicht nur seit der zu­stim­mung zum ge­setz zur vor­rats­da­ten­speich­rung und den un­ap­pe­tit­li­chen pseu­do­di­stan­zie­run­gen nach der zu­stim­mung zum ge­setz völ­lig un­wähl­bar zu sein, son­dern auch des­halb weil nie­mand dem „in­nen­po­li­tik-ex­per­ten“ die­ter wie­fel­spütz deut­lich wie­der­spricht, wenn der sagt, dass das ge­setz zum sper­ren von kin­der­por­no­gra­fi­schen web­sei­ten eben doch nicht nur dem kin­der­schutz dient, son­dern der zen­sur:

Na­tür­lich wer­den wir mit­tel- und län­ger­fris­tig auch über an­de­re kri­mi­nel­le Vor­gän­ge re­den. Es kann doch nicht sein, dass es im In­ter­net eine Welt ohne Recht und Ge­setz gibt.

die ber­li­ner zei­tung schreibt, wie­fel­spütz kön­ne sich vor­stel­len auch „Sei­ten mit ver­fas­sungs­feind­li­chen oder is­la­mis­ti­schen In­hal­ten“ sper­ren zu las­sen.

udo vet­ter zeigt, dass wie­fel­spütz auch hier eher in­kom­pen­tenz als ver­afs­sungs­treue de­mons­triert:

Of­fen­sicht­lich ist die­sem Mann nicht mal be­wusst, dass ver­fas­sungs­feind­li­che Schrif­ten (oder was die ge­lieb­te Bun­des­re­gie­rung da­für hält) kei­nes­wegs “kri­mi­nell” sind - es sei denn, sie er­fül­len be­stimm­te Straf­tat­be­stän­de. Volks­ver­het­zung zum Bei­spiel.

ich glau­be tat­säch­lich, dass wie­fel­spütz es gut meint. aber ich glau­be auch, dass das kon­zept der mei­nungs- und in­for­ma­ti­ons­frei­heit und das der bür­ger­rech­te ihn schlicht und er­grei­fend in­tel­lek­tu­ell über­for­dert. wie­fel­spütz ist wie ein schus­ter, der kei­ne schlei­fe bin­den kann und des­halb alle schu­he mit klett­ver­schlüs­sen aus­stat­tet („ge­hen sie doch zu nem an­de­ren schus­ter wenn sie ihre schnür­sen­kel be­hal­ten wol­len. ich kann sehr wohl schlei­fe!. TRA­LA­LA FI­TI­TI!“).

und wo wir ge­ra­de von in­kom­pen­tenz re­den. mir ist ja ei­gent­lich ziem­lich egal wie oft sil­va­na koch-mehrin im eu­ro­pa-par­la­ment an­we­send war, in wel­chen aus­schutz­sit­zun­gen sie teil­nahm und wie­vie­le be­rich­te sie schrieb. ich habe mich schlicht und erg­re­fend viel zu we­nig mit eu­ro­päi­scher po­li­tik - ja über­haupt mit po­li­tik - be­schäf­tigt um sol­che küh­nen kor­re­la­tio­nen zwi­schen an­we­sen­heit und ef­fek­ti­ver po­li­ti­scher ar­beit her­zu­stel­len. mir geht es, wie es wahr­schein­lich den meis­ten men­schen geht. ich sehe mir an wie sich po­li­ti­ker im wahl­kampf ver­hal­ten, wie sie auf kri­tik re­agie­ren, wie sie mit ne­ga­ti­ven me­di­en­be­rich­ten um­ge­hen, wie sie auf kam­pa­gnen ih­rer po­li­ti­schen geg­ner re­agie­ren, wie sie re­den und ar­gu­men­tie­ren und ver­su­che zu er­ken­nen ob der po­li­ti­ker der sich mir prä­sen­tiert auf­rich­tig oder ver­lo­gen ist. die­se be­ob­ach­tun­gen der (spit­zen-) kan­di­da­ten und mei­nen po­li­ti­schen über­zeu­gun­gen und den über­schnei­dun­gen mit de­ren über­zeu­gun­gen oder äus­se­run­gen lei­te ich eine art me­lan­ge ab, an­hand der ich ent­schei­de ob ich den kan­di­da­ten oder sei­ne par­tei wäh­le.

kurz: eine par­tei wäh­le ich wenn ich das ge­fühl habe, dass sie mei­ne an­sich­ten ei­ni­ger­mas­sen ver­tre­ten wird und wenn de­ren kan­di­da­ten mir ei­ni­ger­mas­sen auf­f­rich­tig und kom­pe­tent vor­kom­men. so wür­de ich auch vor­ge­hen, wenn ich je­man­den ein­zu­stel­len hät­te. im ide­al­fall setzt der kan­di­tat oder die par­tei oder der an­ge­stell­te dann die zie­le um oder er­klärt mir stich­hal­tig, war­um sie nicht um­zu­set­zen wa­ren. wie er sie im de­tail um­setzt, mit wel­chen mit­teln ist mir in ge­wis­sem mas­se egal. mir bleibt nichts an­de­res üb­rig als zu ver­trau­en.

und das ist na­tür­lich der knack­punkt: das ver­trau­en in kom­pe­tenz und die auf­rich­tig­keit ei­nes po­li­ti­kers.

wenn nun aber eine po­li­ti­ke­rin auf die vor­wür­fe nicht all­zu­oft im par­la­ment oder in aus­schüs­sen an­we­sen ge­we­sen zu sein nicht mit ar­gu­men­ten und auf­rich­ti­gen ant­wor­ten ant­wor­tet, son­dern mit einst­wei­li­gen ver­fü­gun­gen ge­gen zei­tungs­ar­ti­kel vor­geht, ih­ren an­walt nach der auf­zeich­nung ei­ner ge­sprächs-sen­dung an der sie frei­wil­lig und stän­dig lä­chelnd teil­ge­nom­men hat los­schickt umd die aus­strah­lung zu ver­hin­dern (zapp hat das hübsch zu­sam­men­ge­fasst) - wenn also die haupt­säch­lich wahr­nehm­ba­ren re­ak­tio­nen auf kri­tik nicht die ei­ge­nen ant­wor­ten oder ar­gu­men­te sind, son­dern an­wäl­te und die an­dro­hung ju­ris­ti­scher kon­se­quen­zen, dann ist mei­ne ers­te re­ak­ti­on, an der kom­penz und auf­rich­tig­keit die­ser per­son zu zwei­feln.

wie kann ich ei­nem po­li­ti­ker ver­trau­en für die rich­ti­gen ge­set­ze zu kämp­fen, al­li­an­zen zu schmie­den, zu strei­ten, zu ar­gu­men­tie­ren, wenn er bei klei­nen, nich­ti­gen mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten be­reits an­walt­li­chen bei­stand nutzt? wie kann ich auf die stra­te­gi­schen fä­hig­kei­ten ei­ner po­li­ti­ke­rin ver­trau­en, die kurz vor der wahl, für die sie als spit­zen­kan­di­da­tin an­tritt über an­wäl­te und die par­tei­zen­tra­le ge­gen pres­se­or­ga­ne und blogs vor­geht und sich in eine si­tua­ti­on ma­nö­vriert, in der sie schwach, an­greif­bar und po­li­tisch un­fass­bar in­kom­pent wirkt? soll ich ei­ner po­li­ti­ke­rin ver­trau­en die nicht mal in der lage ist ihre ei­ge­ne kam­pa­gne ohne pein­li­che und ama­teur­haf­te feh­ler durch­zu­zie­hen, po­li­ti­sche zie­le um­zu­set­zen?

ein biss­chen er­schre­cke ich mich jetzt vor mir selbst. ich sehe in der po­li­tik hau­fen­wei­se in­kom­penz, igno­ranz, un­red­lich­keit und un­auf­rich­tig­keit und was ist mei­ne re­ak­ti­on? ich wer­de mor­gen zum pro­test­wäh­ler. ich wer­de den so­ge­nann­ten „eta­blier­ten“ par­tei­en, den re­gie­ren­den erst recht, ei­nen „denk­zet­tel“ ver­pas­sen. wie sich das schon an­hört: „denk­zet­tel“. aber ich wer­de es ma­chen.

CDU, SPD, FDP: un­wähl­bar. grü­ne: hab ich im­mer ge­wählt, vie­le ih­rer po­si­tio­nen hal­te ich für das ge­rings­te übel und auch die spit­zen­kan­di­da­ten udn de­ren pro­gramm kom­men mir auf­f­rich­tig und ver­nünf­tig vor, aber für ei­nen denk­zet­tel sind die grü­nen zu nah am es­tab­lish­ment. auch wenn die stim­me flö­ten geht oder ver­san­det, weil wir noch nicht so ein stim­mungs­bild wie in schwe­den ha­ben, ich wäh­le mor­gen die pi­ra­ten-par­tei.

der wahlomat kommt bei mir wit­zi­ger­wei­se auch zu die­ser emp­feh­lung.

[nach­trag 22:57h]
aus den kom­men­ta­ren:
wie­fel­spütz wi­der­spricht der dar­stel­lung sei­ner äus­se­run­gen in der ber­li­ner-zei­tung. er meint, der be­richt gebe an „kei­ner Stel­le“ sei­ne mei­nung wie­der und meint das „kei­ne Sil­be“ von ihm „au­to­ri­siert“ sei. das mag gut sein, aber seit wann müs­sen aus­sa­gen von po­li­ti­kern au­to­ri­siert sein um das wie­der­zu­ge­ben was sie ge­sagt ha­ben? er sagt in sei­ner an­mer­kung wit­zi­ger­wei­se auch nciht, dass er das was die ber­li­ner zei­tung schreibt auch nicht ge­sagt hät­te, son­dern dass es nicht sei­ne mei­nung wie­der­gä­be. und wenn er es wirk­lich nicht ge­sagt hat, wie kann so­was pas­sie­ren?
aus­ser­dem: die ruhr­ba­ro­ne über die ähn­lich­keit der frü­hen SPD mit der der­zei­ti­gen pi­ra­ten-par­tei.

[nach­trag 07.06.2009]
wie­fel­spütz hat sich jetzt in ei­nem nach­trag zu sei­ner oben ver­link­ten ant­wort auch in­halt­lich ge­äus­sert.

[nach­trag 09.06.2009]
lu­kas hein­ser hat die­ter wie­fel­spütz zur dar­stel­lung sei­ner an­sich­ten in der ber­li­ner zei­tung be­fragt.:

Wie­fel­spütz glaubt nicht, dass ihm je­mand ab­sicht­lich scha­den woll­te. Der Jour­na­list der „Ber­li­ner Zei­tung“ er­klär­te die Si­tua­ti­on da­mit, dass er in ei­nem in­di­rek­ten Zi­tat aus den „straf­recht­lich re­le­van­ten“ In­hal­ten, von de­nen Wie­fel­spütz ge­spro­chen hat­te, „ver­fas­sungs­feind­li­che oder is­la­mis­ti­sche“ ge­macht habe.