die mo­ral­keu­le

felix schwenzel

es gab vor ei­ni­ger zeit ei­ni­ge, die sich bit­ter­lich dar­über be­klagt ha­ben, dass ad­na­ti­on, da­mals adi­cal, wer­bung von ya­hoo auf blogs ge­schal­tet hat. das hat­te da­mit zu tun, dass ya­hoo nach­hal­tig den ein­druck er­weck­te, auf die men­schen­rech­te in chi­na zu scheis­sen. bei mir im blog er­schien da­mals auch ya­hoo-wer­bung, aber ich ent­schloss mich da­mals, als ya­hoo sich wie­der­holt aus rei­nem pro­fit­den­ken wei­ger­te die­se hal­tung zu über­den­ken, zu­min­dest sym­bo­lisch zu han­deln und alle mei­ne ya­hoo-kon­ten, in­klu­si­ve mei­nes flickr-kon­tos zu lö­schen.

ei­ner­seits.

an­de­rer­seits dach­te ich dar­über nach, wie be­rech­tigt es ist, stei­ne auf ya­hoo zu wer­fen, wenn man selbst pro­fi­teur von aus­beu­tung, un­ter­drü­ckung, han­dels­bar­rie­ren oder lohn­dum­ping ist. in ei­nem an­de­ren ar­ti­kel habe ich das mal ver­sucht auf ei­nen nen­ner zu brin­gen, näm­lich dass ge­rech­ter welt­han­del und ein an­satz­wei­se rück­sichts­vol­les und an­stän­di­ges le­ben vor al­lem ver­zicht be­deu­tet: „rote bee­te statt man­gos, ein ende der un­glaub­li­chen ver­schwen­dung von re­sour­cen für den lu­xus, ganz ein­fach ein ende der aus­beu­tung der zwei­ten und drit­ten welt auf de­ren ba­sis wir seit ein paar hun­dert jah­ren un­se­ren wohl­stand auf­bau­en.“ da­mit be­zog ich mich da­mals zwar auf die mu­si­ka­li­schen ab­lass­händ­ler, die hart dar­an ar­bei­ten, den ein­druck zu er­we­cken, dass man mit dem be­such ei­nes kon­zer­tes oder dem ge­mein­sa­men er­he­ben der arme und von po­li­ti­schen for­de­run­gen afri­ka oder die welt ver­bes­sern kön­ne. das mo­ra­li­sche di­lem­ma un­se­rer auf wachs­tum, ver­schwen­dung und aus­beu­tung ba­sie­ren­den le­bens­wei­se, lässt sich be­quem von afri­ka auf chi­na, das in­ter­net und den rest der welt aus­deh­nen.

an­läss­lich des to­des ei­nes mit­ar­bei­ters ei­ner chi­ne­si­schen zu­lie­fer­fir­ma von ap­ple, schrieb da­ni­el ly­ons aka „fake ste­ve“ vor­ges­tern:

We all know that the­re’s no fuck­ing way in the world we should have mi­cro­wa­ve ovens and ref­ri­ge­ra­tors and TV sets and ever­y­thing else at the pri­ces we’re pay­ing for them. The­re’s no way we get all this stuff and ever­y­thing is done fair and squa­re and ever­yo­ne gets trea­ted right. No way. And don’t be con­fu­sed -- what we’re tal­king about here is our way of life. Our stan­dard of li­ving. You want to „fix things in Chi­na,“ well, it’s gon­na cost you. Be­cau­se ever­y­thing you own, it’s all done on the backs of mil­li­ons of poor peo­p­le who­se li­ves are so awful you can’t even be­gin to ima­gi­ne them, peo­p­le who will do any­thing to get a life that is a tiny bit bet­ter than the shit­ty one they were born into, peo­p­le who get ex­ploi­ted and trea­ted like shit and, in the worst of all ca­ses, pay with their li­ves.

das ist ge­nau der punkt. je­der der ein han­dy, ei­nen fern­se­her, eine güns­ti­ge mi­kro­wel­le oder ein paar schu­he be­sitzt pro­fi­tiert über den um­weg güns­ti­ger prei­se von der aus­beu­tung chi­ne­si­scher ar­bei­ter und dem elend in chi­na. selbst kör­ner­fres­ser die sich aus­schliess­lich von bio-nah­rung er­näh­ren, pro­fi­tie­ren, da ein gross­teil der welt­wei­ten bio-pro­duk­te aus chi­ne­si­scher pro­duk­ti­on stam­men.

ich wei­se so ge­schwol­len auf die­ses di­le­ma hin, weil ich den ein­druck habe, dass sich in letz­ter zeit vie­le (mich hin und wie­der ein­ge­schlos­sen) die sa­che mit dem zei­ge­fin­ger be­son­ders ein­fach ma­chen und die welt lie­ber in schwarz/weiss statt in grau­tö­nen se­hen wol­len. da die re­ak­tio­nä­ren in­ter­net­aus­dru­cker, hier die frei­heits­kämp­fer, da die ver­kom­me­nen vo­da­fone/ad­na­ti­on-nut­ten, hier die auf­rech­ten wer­be­frei­en, da die bö­sen gross­konn­zer­ne, hier die kiez- und um-die-ecke-beim-bau­ern-käu­fer mit ju­te­ta­sche. aber so ein­fach las­sen sich die welt und die men­schen nicht in gut und böse auf­tei­len.

um es mal kon­kret zu ma­chen: ich hat­te in letz­ter zeit oft den ein­druck, dass die kri­tik an der vo­da­fone-ban­ner­wer­bung in blogs gar nicht auf­zei­gen soll­te, dass es wi­der­sprü­che zwi­schen an­spruch und wirk­lich­keit gibt oder dass das schal­ten von vo­da­fone-wer­bung nicht OK sei. manch­mal schien es, dass das an­pran­gern der ad­na­ti­on- und vo­da­fone-wer­bung bei man­chen kri­ti­kern eher der pro­fi­lie­rung, dem her­aus­stel­len des ei­ge­nen an­stands und der ei­ge­nen vor­bild­lich­keit dien­te. vor al­lem aber fehl­ten mir stich­hal­ti­ge ar­gu­men­te, war­um denn nun ge­nau das schal­ten von wer­bung für ein un­ter­neh­men das scheis­se ge­baut hat ver­werf­lich sein soll, bzw. wo ge­nau bei kla­rer tren­nung von re­dak­tio­nel­len in­hal­ten und wer­bung das pro­blem sein soll (ich ver­su­che wei­ter un­ten ein paar mög­li­che pro­ble­me zu fin­den). ich will auch nicht sug­ge­rie­ren, dass man es mit fle­cken auf der ei­ge­nen wes­te un­ter­las­sen soll­te, an­de­re leu­te auf die fle­cken auf ih­rer wes­te hin­zu­wei­sen oder dass es sinn­los sei, zu ver­su­chen, ein an­stän­di­ges le­ben zu füh­ren. mir ge­fal­len nur wei­te tei­le der dis­kus­si­on nicht.

wie man sieht, ist hier auf wir­res.net kei­ne vo­da­fone-wer­bung ge­schal­tet. mei­ne ent­schei­dung, auf die teil­nah­me an der vo­da­fone-kam­pa­gne zu ver­zich­ten, hat­te kei­ne mo­ra­li­schen grün­de. auch wenn ich die koh­le gut hät­te ge­brau­chen kön­nen, habe ich mich mehr oder we­ni­ger spon­tan beim ers­ten blick auf den neu­en vo­da­fone-spot ge­gen die schal­tung ent­schie­den. ich woll­te freie bahn ha­ben, um auf die dümm­li­che und ama­teur­haf­te vo­da­fone-kam­pa­gne ein­zu­schla­gen. ein pri­mi­ti­ver, ver­werf­li­cher im­puls, aber ich woll­te ge­nau­so un­pro­fe­sio­nell und kin­disch wie die kamp­ga­ne selbst da­her­kommt, ge­gen sie an­schrei­ben, ohne mich bei ir­gend­wem recht­fer­ti­gen zu müs­sen, we­der bei den ver­mark­tern, noch den ma­chern (die ich teil­wei­se per­sön­lich ken­ne), noch bei den wer­bung-ist-böse-spa­cken. ich woll­te mich auf das schrei­ben über vo­da­fone und scholz und freun­de kon­zen­trie­ren und mich nicht mit dem strei­ten um grün­de für oder ge­gen ban­ner­wer­bung auf blogs auf­hal­ten.

das doo­fe ist ja, ich fin­de wer­bung auf blogs und in zei­tun­gen und zeit­schrif­ten gut. wer­bung fi­nan­ziert leu­te wie he­ri­bert prantl, gün­ter wall­raff, jens wein­reich und er­mög­licht ih­nen das zu schrei­ben was wir alle schät­zen. wer­bung er­mög­licht, dass ich mir güns­ti­ge ta­ges­zei­tun­gen, die FAS, die brand­eins oder die dum­my re­gel­mäs­sig leis­ten kann. durch wer­bung konn­te ich mich über rach den re­stau­rant­tes­ter amü­sie­ren, über das dschun­gel­camp, „da­ma­ges“ oder „he­roes“. wer­bung fi­nan­ziert don al­phon­sos blog­dings bei der faz, ge­nau­so wie die „bild“-zei­tung, die „cou­pé“ oder die „su­per-illu“.

ich hät­te es auch ger­ne, dass wer­bung ste­fan nig­ge­mei­er, mar­kus be­cke­dahl, lu­kas hein­ser, mal­te wel­ding, peer scha­der, herrn paul­sen oder mir (und an­de­ren) er­mög­licht wei­ter­hin un­ab­hän­gig und frei ins in­ter­net zu schrei­ben. dop­pelt doof ist, dass ich mitt­ler­wei­le glau­be dass das nicht ohne wei­te­res mög­lich ist. ich glau­be zwar, dass die meis­ten blog­ger die tren­nung von wer­bung und re­dak­tio­nel­len in­hal­ten sehr ernst neh­men, nur funk­to­niert die wahr­neh­mung die­ser tren­nung nicht so wie ich und an­de­re wer­be­trei­ben­de blog­ger sich das viel­leicht wün­schen. blogs sind (meis­tens) so per­sön­lich, so ab­hän­gig von ih­ren ma­chern, dass die ge­schal­te­te wer­bung — in der aus­sen­wahr­neh­mung — zwangs­läu­fig ein­fluss auf die re­dak­tio­nel­len in­hal­te hat. wür­de ich mit vo­da­fone-ban­nern auf der sei­te ge­gen die un­säg­lich schlech­te vo­da­fone-kam­pa­gne an­stin­ken hät­te das, ob ich will oder nicht, ein ge­schmäck­le. es könn­te so aus­se­hen, dass ich nur ge­gen vo­da­fone wet­te­re um mei­ne un­ab­hän­gig­keit und frei­heit zu de­mons­trie­ren, oder um­ge­kehrt, dass ich ich nichts ge­gen vo­da­fone sage, weil ich es mir mit dem wer­be­trei­ben­den nicht ver­scher­zen will. mit ban­nern auf der sei­te müss­te ich im­mer ab­wä­gen: wie könn­te das was ich jetzt schrei­be mit dem ban­ner auf der sei­te wir­ken?

wer­bung färbt lei­der ab.

ich bin mitt­ler­wei­le so weit, dass ich nur noch wer­bung von un­ter­neh­men schal­ten möch­te die ich OK fin­de und die ich zur not auch ver­tei­di­gen wür­de. oder um­ge­kehrt, dass ich wer­bung von un­ter­neh­men (oder zum bei­spiel der CDU) nur ak­zep­tie­re, wenn ich statt nur „wer­bung“ drü­ber zu schrei­ben, auch „das ist wer­bung die ich, fe­lix schwen­zel, rich­tig scheis­se fin­de“ drü­ber schrei­ben dürf­te.

an­ders ge­sagt: ich glau­be mitt­ler­wei­le, dass man in blogs nicht kei­ne hal­tung zu der wer­bung die bei ei­nem ge­schal­tet ist ha­ben kann. kei­ne hal­tung zu ar­ti­ku­lie­ren geht auch nicht; man kann als blog­ger nicht kei­ne hal­tung kom­mu­ni­zie­ren. al­les in ei­nem ei­nem blog, von der ge­stal­tung der über­schrif­ten bis zu aus­wahl der links, der wor­te, der kom­men­tar­mo­dera­ra­ti­on, der dis­kus­si­ons­wei­se drückt eine be­stimm­te hal­tung aus. da wirkt es ge­nau­so we­nig glaub­haft wie die pseu­do-di­stan­zie­rung von links auf ex­ter­ne sei­ten per „dis­clai­mer“, wenn man be­haup­tet mit der wer­bung nichts zu tun zu ha­ben, ob­wohl man sich be­wusst da­für ent­schie­den hat. bei ad­na­ti­on kann je­der blog­ger ent­schei­den ob er eine be­stimm­te wer­bung schal­ten möch­te oder nicht. von die­ser ent­schei­dung kann man sich nicht völ­lig lö­sen und be­haup­ten „gar nichts“ mit der wer­bung zu tun zu ha­ben.

um jetzt den bo­gen zur mo­ral­keu­le die ich oben aus­ge­packt habe zu schla­gen: wer turn­schu­he oder ei­nen ipod aus chi­na trägt, de­mons­triert da­mit eine be­stimm­te hal­tung. ent­we­der es ist ihm egal, un­ter wel­chen um­stän­den die schu­he oder der ipod ge­fer­tigt wur­den oder er be­haup­tet er kön­ne sich nix an­de­res leis­ten (ist auch ne hal­tung). es ist eine ent­schei­dung die man trifft. das heisst nicht, dass man des­halb chi­na nicht kri­ti­sie­ren soll­te oder die pro­duk­ti­ons­um­stän­de oder le­bens­be­din­gun­gen dort nicht laut­hals an­pran­gern dürf­te, wich­tig ist nur, dass man zu sei­ner ent­schei­dung und hal­tung steht und un­ter um­stän­den ak­zep­tiert da­für kri­ti­siert zu wer­den.

  • es ist OK zu sa­gen: ich brauch die koh­le.
  • es ist nicht OK zu sa­gen: alle tra­gen schu­he aus chi­na.
  • es ist OK zu sa­gen: in chi­na ge­fer­tig­te schu­he zu tra­gen ist nicht op­ti­mal, aber ich habe mich nun­mal [hier bei be­darf grund ein­fü­gen] dazu ent­schie­den.
  • es ist nicht OK zu sa­gen: och der nico hat mir die schu­he be­sorgt, ob ich die jetzt tra­ge oder nicht hilft auch kei­nem ar­bei­ter in chi­na.
  • es ist OK zu sa­gen: ich ver­su­che mein le­ben so an­stän­dig wie mög­lich zu füh­ren, auch wenn es da die eine oder an­de­re kon­zep­tio­nel­le schwä­che gibt.
  • es ist nicht OK zu sa­gen: erst­mal sol­len die an­de­ren an­stän­dig le­ben.

dis­clai­mer: gut mög­lich, dass ich mei­ne hal­tung noch­mal über­den­ke.