pay­wall vs. ver­wäs­ser­te mar­ke

felix schwenzel

mee­dia be­rich­tet von „macht­kämp­fen“ im spie­gel-ver­lag über die künf­ti­ge on­line stra­te­gie.

Stei­fe Bri­se an der Eri­cus­spit­ze: In der Spie­gel-Chef­re­dak­ti­on ist of­fen­bar ein er­bit­ter­ter Streit um die Print-On­line-Stra­te­gie ent­brannt. Nach MEE­DIA-In­for­ma­tio­nen for­dert Blatt­ma­cher Ge­org Ma­s­co­lo ve­he­ment eine Be­zahl­schran­ke für das über­aus er­folg­rei­che Nach­rich­ten-Por­tal. Da­mit soll der zu­letzt deut­li­che Auf­la­gen­rück­gang ge­stoppt wer­den. Geg­ner die­ser Stra­te­gie ist nicht nur Di­gi­tal-Chef­re­dak­teur Ma­thi­as Mül­ler von Blu­men­cron, son­dern auch Ge­schäfts­füh­rer Ove Saf­fe.

ich hal­te das für sehr plau­si­bel. der print-chef­re­dak­teur macht sich, höchts­wahr­schein­lich zu recht, sor­gen um den di­gi­tal-um­satz der print-aus­ga­be. der sprin­gen­de punkt ist wohl, dass „man fürch­tet, dass das kos­ten­lo­se Nach­rich­ten­an­ge­bot die Heft­ver­käu­fe kan­ni­ba­li­siert.“

ich glau­be, dass die­ser glau­be so­wohl völ­li­ger quatsch, als auch nicht ganz un­be­rech­tigt ist.

ei­ner­seits kau­fe ich mir den ge­druck­ten spie­gel schon seit ei­ner gan­zen wei­le nicht mehr. ma­che ich es doch, bin ich re­pro­du­zier­bar ent­täuscht. der spie­gel ist ein­fach un­er­träg­lich, und das nicht nur we­gen der fräu­lein rot­ten­mei­er-hal­tung der au­toren. an­ders ge­sagt, mir ist es schnurz­pieps­egal, ob es spie­gel.de (on­line) gibt oder nicht, ob er was kos­tet oder wer­be­fi­nan­ziert ist — den spie­gel (print) kauf ich oder abo­nier ich mir nicht, weil ich ihn für ein ten­den­ziö­ses, ar­ro­gan­tes kä­se­blatt hal­te, das mei­nem me­di­en-menü nichts mir re­le­van­tes hin­zu­fü­gen kann.

an­der­seits könn­te man durch­aus eine art ka­ni­ba­li­sie­rung er­ken­nen. denn die aus­sen­stehn­den völ­lig un­nach­voll­zieh­ba­re tren­nung der print- und der on­line-re­dak­tio­nen des spie­gels er­schliesst sich nach aus­sen so gut wie gar nicht. ir­gend­wo las ich kürz­lich, dass aus der print­re­dak­ti­on nur 2-4 ar­ti­kel pro wo­che in das of­fe­ne netz spie­gel.de flies­sen. an den ehe­ma­li­gen print-ar­ti­keln steht zwar on­line ir­gend­was von „ma­ga­zin“ und ne­ben den print-ar­ti­keln wird auch im­mer (glau­be ich) das zu­ge­hö­ri­ge spie­gel-ti­tel­blatt an­ge­zeigt — aber mal im ernst: wer glaubt, dass die le­ser die­se be­klopp­te dif­fe­ren­zie­rung nach­voll­zie­hen lebt in ei­nem el­fen­bein­turm oder ei­ner re­dak­ti­ons­bla­se. in­so­fern kan­ni­ba­li­siert sich der spie­gel na­tür­lich selbst, weil da wo „spie­gel“ drauf­steht auch „spie­gel“ wahr­ge­nom­men wird — und da­mit der spie­gel zu­min­dest im netz den ein­druck ei­ner kom­plett kos­ten­lo­sen ver­füg­bar­keit er­weckt. dass die print-re­dak­ti­on die ver­füg­bar­keit ih­rer ar­ti­kel ver­knappt und erst nach ei­ner scham­frist (von 4 wo­chen) goog­le das kom­ple­te heft zum frass vor­wirft, stört nie­man­den. oder ge­nau­er: mich störts nicht, weil ich nicht über­zeugt bin, nach dem ab­schluss ei­nes (on­line) abos bes­se­re in­hal­te zu be­kom­men als ohne. und ich glau­be, dass ich nicht der ein­zi­ge bin der so denkt.

kurz ge­sagt: on­line fin­det der print-spie­gel so gut wie gar nicht statt (ob­wohl der spie­gel (print) fast kom­plett on­line ist). kommt mal et­was wirk­lich gu­tes aus dem ge­druck­ten spie­gel auf spie­gel.de, schaf­fen es die ar­ti­kel nicht, ir­gend­wen da­von zu über­zeu­gen auf print oder print-HTML5 oder die print-spie­gel-app um­zu­stei­gen. der print-spie­gel hat es 18 jah­re lang ver­passt sich ge­gen den on­line-spie­gel zu pro­fi­lie­ren oder ei­nen ei­ge­nen mar­ken­kern oder qua­li­täts­an­spruch her­aus­zu­bil­den.

die ent­schei­dung des spie­gels vor 18 jah­ren eine on­line-ver­si­on des spie­gels ins netz zu brin­gen war ei­ner­seits bril­li­ant, hat aber die „spie­gel“-mar­ke ver­wäs­sert ve­ronlined. dass jetzt die ver­kauf­zah­len des spie­gels ein­bre­chen, ge­druckt, ve­r­appt und verHTML5t hat si­cher auch mit dem all­ge­mei­nen rück­gang von print­kon­sum zu tun, wahr­schein­lich aber auch mit der wahr­ge­nom­me­nen qua­li­tät des spie­gels, aber vor al­lem da­mit, dass nie­mand aus­ser­halb des spie­gel­ge­bäu­des zwi­schen spie­gel.de und dem SPIE­GEL un­ter­schei­den mag.

da wird auch kei­ne pay­wall hel­fen, son­dern, wenn über­haupt, dass DER SPIE­GEL sei­nen po­ten­zi­el­len le­sern ein­drück­lich klar macht, in­halt­lich et­was bes­se­res zu lie­fern als das was man heut­zu­ta­ge (kos­ten­los) im netz fin­den kann. spie­gel-le­ser wis­sen mehr — die­se zei­ten sind längst vor­bei. wenn ich mehr über die jün­ge­re ge­schich­te er­fah­ren will, kau­fe ich mir ganz si­cher kei­nen spie­gel, son­dern die geo epo­che. zu fast al­len an­de­ren the­men fal­len mir zig al­ter­na­ti­ven ein, kos­ten­los und kos­ten­pflich­tig, die ich eher le­sen oder kau­fen wür­de als den spie­gel.

ich habe mir den HTML5 print-spie­gel vor ei­ner wei­le mal an­ge­se­hen. nett, tech­nisch gut ge­macht. aber war­um ich für den ar­ro­gant, all­wis­send und kä­sig ge­schrie­be­nen mist mehr zah­len soll als für das was ich in mei­nem feed­rea­der, spie­gel.de, zeit.de, geo epo­che, brand­eins, c’t oder sonst­wo fin­de, wur­de mir bis­her nicht klar. da reicht zur ver­ede­lung des print-spie­gels auch nicht der ein­kauf ei­ner nig­ge­mei­er-edel­fe­der, zu­mal der of­fen­bar manch­mal schwie­rig­kei­ten hat, die ar­ti­kel, die er schreibt, über­haupt im heft un­ter­zu­brin­gen und die re­cher­chen dann eben ver­kos­ten­lost.


über­haupt. kann sich noch je­mand an den letz­ten scoop, die letz­te gros­se ent­hül­lungs­sto­ry im spie­gel er­in­nern? ich glau­be das war ir­gend­was mit franz jo­sef strauss. die wiki­leaks-kope­ra­ti­on war in mei­ner er­in­ne­rung we­nig über­zeu­gend und bot kaum ge­sprächs­stoff (ge­re­det wur­de über wiki­leaks, nicht dar­über wie der spie­gel die da­ten auf­be­rei­tet hat­te), den bun­destro­ja­ner gabs bei der FAZ, sa­scha lobo schreibt on­line und nicht im heft, sau­ber re­cher­chier­tes und bull­shit und FUD-frei­es zum in­ter­net schaff­te es in den letz­ten drei jah­ren nicht ins heft — im ge­gen­teil.

und — wer soll sich den di­gi­ta­len spie­gel über­haupt kau­fen? di­gi­ta­le first ad­op­ters ganz si­cher nicht. was der spie­gel bis­her über das in­ter­net schrob war gröss­ten­teils haar­sträu­bend. wer sich in di­gi­ta­li­en aus­kennt kommt doch nicht im traum da­r­uf sich ein heft zu kau­fen, in dem sei­ne le­bens­welt mit un­ver­stän­dins, hass und hohn be­han­delt wird. aber ohne on­line-af­fi­ne first ad­op­ters be­kommt man di­gi­tal auch kei­nen fuss auf den bo­den. ob klas­si­sche spie­gel-le­ser be­reit sind statt ei­nes hefts eine di­gi­ta­le aus­ga­be in die­sem laut spie­gel ach so ge­fähr­li­chen in­ter­net oder die­sen da­ten­schutz­ka­ta­stro­phen von ap­ple oder goog­le für den glei­chen preis wie die pa­pier-aus­ga­be zu kau­fen ist ziem­lich frag­wür­dig. wo soll denn da der mehr­wert sein?


mal zu­en­de ge­dacht: gäbe es eine pay­wall — wie wür­de dann künf­tig zwi­schen on­line- und print-spie­gel un­ter­schie­den? gäbe es viel­leicht so­gar zwei pay­walls, eine für on­line und eine für den di­gi­ta­li­sier­ten print-spie­gel? lä­gen hin­ter der pay­wall print- und on­line-in­hal­te bei­sam­men, war­um dann noch zwei ge­trenn­te re­dak­tio­nen? oder glaubt ma­s­co­lo, dass ein kos­ten­pflich­ti­ger spie­gel-on­line die le­ser zu der über­le­gung führt, wenn ich be­zah­le, dann gleich für den „ech­ten“ spie­gel? eine pay­wall löst das pro­fi­lie­rungs­pro­blem des print-spie­gel wohl eher nicht. ich glau­be im ge­gen­teil, dass das pro­blem da­mit grös­ser wird. bis­her kann ich die bei­den spie­gel an den kos­ten un­ter­schei­den, wor­an soll­te man sie, wenn sie bei­de kos­ten­pflich­tig wä­ren un­ter­schei­den? am in­ter­net-hass? an der fräu­lein-rot­ten­mei­er-hal­tung der au­toren?


ich glau­be um die ver­käu­fe der di­gi­tal-aus­ga­be des spie­gel zu er­hö­hen muss die qua­li­tät des spie­gels hoch, der preis der di­gi­tal-aus­ga­be run­ter und der spie­gel-on­line müss­te um­be­nannt wer­den, zum bei­spiel in die blu­men­cron-post oder das ma­ga­zin oder tmfkas (the ma­ga­zi­ne form­er­ly known as spie­gel).