Al­les ist mög­lich, wenn man es macht (t3n 64)

felix schwenzel in t3n

Vor un­ge­fähr 25 Jah­ren, als ich das In­ter­net für mich ent­deck­te, gab es kein Face­book oder Twit­ter, Goog­le war noch ganz jung. Auf ei­nem Ser­ver der Stan­ford-Uni­ver­si­tät lag aber schon eine Web­site, die „Jer­ry and Da­vid’s Gui­de to the World Wide Web“ hieß und sich ein paar Jah­re spä­ter in Ya­hoo um­be­nen­nen wür­de.

Das In­ter­net war so de­zen­tral, wie es nur sein konn­te, und des­halb auch un­durch­sich­tig. Dar­um be­müh­ten sich Men­schen wie Jer­ry Yang und Da­vid Filo, Weg­wei­ser für die­se un­über­sicht­li­che Welt zu bau­en.

Nach wie vor wol­len sehr vie­le Men­schen – und Fir­men – Weg­wei­ser durch die ver­netz­te Welt sein oder auch bau­en. Auch wenn die gro­ßen Platt­for­men zu­neh­mend wie schwar­ze Lö­cher wir­ken und ver­su­chen, Be­su­cher in ih­ren ei­ge­nen, ge­schlos­se­nen Sys­te­men ein­zu­he­gen, er­schlie­ßen und ver­knüp­fen sie wei­ter­hin die de­zen­tra­len Wei­ten des In­ter­nets.

Was sich ver­än­dert hat, ist die Zu­gäng­lich­keit. Platt­for­men ha­ben die Zu­gangs­schwel­len zum ehe­mals eher eli­tä­ren, tech­nisch an­spruchs­vol­len Netz ge­senkt. Um sich am In­ter­net zu be­tei­li­gen, be­nö­tigt man heu­te nicht mehr viel tech­ni­sches Wis­sen.

Der Preis für die­se Be­quem­lich­keit, die nied­rig­schwel­li­ge Zu­gäng­lich­keit und hohe Ver­net­zungs­dich­te der kom­mer­zi­el­len Platt­for­men ist ein ge­wis­ser Ver­lust an Kon­trol­le. Wer ein Ge­fühl der Kon­trol­le be­hal­ten möch­te, kann im In­ter­net nach wie vor al­les selbst ma­chen. Ein­fach ir­gend­wo Ser­ver­ka­pa­zi­tät mie­ten und eine Web­site ins Netz stel­len.

Ich habe lan­ge ei­nen er­heb­li­chen Teil mei­ner Zeit in mei­ne selbst­ver­wal­te­te Web­site ge­steckt, die ich auch als Trä­ger mei­ner On­line-Iden­ti­tät an­sah. Ich woll­te mein di­gi­ta­les Ich nicht al­lein kom­mer­zi­el­len Platt­for­men über­las­sen. Werk­zeu­ge, um mei­ne On­line-Ak­ti­vi­tä­ten in mei­nem Blog zu spie­geln und zu ar­chi­vie­ren, Kom­men­ta­re, Li­kes und Favs, In­sta­gram- und Face­book-Posts ins Blog zu zie­hen, fand ich zu­hauf im Netz. Be­son­ders er­gie­big und fas­zi­nie­rend sind die Werk­zeu­ge, die ein Kreis von ähn­lich Den­ken­den un­ter dem Dach des In­die­web baut, sam­melt und nutzt. Die Idee da­hin­ter ist nicht nur, ein Netz von un­ab­hän­gi­gen und de­zen­tra­len per­sön­li­chen Web­sites zu schaf­fen und (so­zi­al) zu ver­bin­den. Es geht auch dar­um, die gro­ßen, kom­mer­zi­el­len Platt­for­men in die­ses un­ab­hän­gi­ge Netz funk­tio­nal zu in­te­grie­ren.

Aber man muss im In­die­web eben fast al­les sel­ber ma­chen und ver­ste­hen – und dazu reich­lich Zeit in­ves­tie­ren. Und die Zeit ist ein Pro­blem beim Sel­ber­ma­chen. Seit wir ei­nen Hund ha­ben und dank Co­ro­na mehr oder we­ni­ger im­mer zu Hau­se sind, habe ich schlag­ar­tig das In­ter­es­se am Blog­gen und an de­zen­tra­len (und zen­tra­len) so­zia­len Netz­wer­ken ver­lo­ren. Ab­ge­se­hen von ge­le­gent­li­chen Hun­de­fo­tos auf In­sta­gram ma­che ich on­line kaum noch et­was selbst.

Grund­sätz­lich ma­che ich na­tür­lich wei­ter­hin vie­les selbst. Ir­gend­was gibt’s in der Woh­nung im­mer zu op­ti­mie­ren, ich ko­che je­den Tag und über­le­ge, ob ich noch mal die hy­dro­po­ni­sche Ba­si­li­kum-Auf­zucht mit Wachs­tums­lam­pen in der Spei­se­kam­mer an­ge­hen soll.

Ver­mut­lich geht das vie­len Men­schen ähn­lich: Sel­ber­ma­chen macht Spaß und be­frie­digt – aber al­les sel­ber zu ma­chen, über­zieht schnell das Le­bens­zeit­kon­to. Bei mir wur­de das In­ter­es­se, am Auf­bau von de­zen­tra­len so­zia­len Netz­wer­ken mit­zu­wir­ken, vom Nest­bau, der Woh­nungs­au­to­ma­ti­sie­rung und Be­schäf­ti­gung mit dem Hund ab­ge­löst. Je­mand, der Fil­me dreht und schnei­det, will sich eher nicht auch selbst um das Hos­ting von Vi­deo­da­tei­en küm­mern. Wer sich on­line ger­ne strei­tet, sucht wahr­schein­lich nicht in den Ni­schen und de­zen­tra­len Al­ter­na­tiv­netz­wer­ken nach Mit­strei­tern, son­dern da, wo oh­ne­hin schon alle sind: auf den gro­ßen Platt­for­men.

Wenn ich aber die Au­gen zu­sam­men­knei­fe und mei­nen Ab­stand zu so­zia­len Netz­wer­ken we­gen In­ter­es­sens­ver­rü­ckun­gen et­was er­hö­he, fühlt sich das In­ter­net im­mer noch an wie vor 25 Jah­ren. Un­über­sicht­lich, vol­ler bun­ter Ni­schen und bis zum Rand mit Po­ten­zi­al ge­füllt.

Oder um das In­ter­net und die gro­ßen Platt­for­men mal mit dem Uni­ver­sum und dem gan­zen Rest zu ver­glei­chen: Mit Ab­stand er­kennt man, dass schwar­ze Lö­cher zwar rie­sig und sehr at­trak­tiv sind, aber auch, dass das Uni­ver­sum aus viel mehr als schwar­zen Lö­chern be­steht. Al­les ist mög­lich, wenn man es macht – oder wenn’s pas­siert. Ich freue mich je­den­falls auf die nächs­ten 25 Jah­re In­ter­net.