podiumsdiuskussion zum „System Google“ in der akademie der künste

felix schwenzel, , in wirres.net    

ich bin mir noch nicht ganz klar, warum, aber ich bin erschüttert. nachdem ich heute mittag im de:bug-blog über eine diskussionsveranstaltung in der akademie der künste gelesen hatte, entschoss ich mich relativ spontan mir heute abend das „Akademie-Gespräch“ über „Das System Google“ anzusehen. das podium war ziemlich hochkarätig besetzt:

  • annette kroeber riel, die europäische lobby-tante für google in deutschland, östereich und der schweiz („Google’s European Policy Counsel für Deutschland, Österreich und die Schweiz“)
  • thierry chervel, journalist und mitbegründer des perlentaucher.de
  • gerald reischl, autor des buches „Die Google-Falle
  • peter schaar, bundesbeauftragter für den datenschutz und die informationsfreiheit
  • klaus staeck, präsident der akademie der künste und plakatgestalter
  • und mercedes bunz, chefredeurin des tagespiegel.de als moderatorin

während mercedes bunz 15 lange minuten von adam und eva die 10jährige geschichte von google nacherzählte und erklärte was man mit google so alles machen kann, machte sich annette kroeber riel bereits fleissig notizen und guckte latent genervt. keine ahnung ob sie von mercedes bunz etwas neues erfuhr oder sich noch aktiv auf ihre redebeiträge vorbereitete. ich habe zumindest in den ersten 15 minuten nichts neues erfahren.

chervel, schaar und reischl eröffneten die diskussion mit redebeiträgen die sich kurz mit folgenden worten zusammenfassen lassen: „google und was google macht, ist nicht ganz unproblematisch.“ ich glaube reischl fasste es folgendermassen zusammen „google ist cool, googles datensammelwut ist uncool.“ schaar bemühte für diese aussage eine kleine analogie: kindern müsse man beim fernsehen anfangs erklären, dass die menschen im fernseher einen gar nicht sehen können, dass das nur so aussehe und dass sie ruhig „in der nase bohren“ könnten, die menschen im fernsehen sähen einen dabei nicht. im internet sei das anders, da hinterliesse zwar nicht das nasebohren, aber jeder schritt spuren. bei den daten die da gesammelt würden, fing es an kompliziert zu werden. ip-adressen würden zusammen mit suchanfragen gespeichert, über cookies könnten die suchanfragen und ip-adressen „theoretisch“ zu profilen geformt werden und google wisse so, wer man sei. die ip-adressen und suchanfragen seien früher „unbefristet“ gespeichert worden, datenschützer hätten aber erreicht, dass google die daten jetzt noch für 18 monate speichere und davon rede, die daten künftig nur noch 9 monate zu speichern. welche daten nun genau gespeichert würden und vor allem wozu, wisse er aber auch nicht genau. ausserdem beklagte er, dass den benutzern oft das bewusstsein fehle dass sie datenspuren hinterliessen. die antwort von annette kroeber riel von google auf die frage wozu google diese daten benutze fiel dann leider auch unbefriedigend aus und deutete bereits das dilema der ganzen diskussion um google, internet und datenschutz heute abend, aber auch darüber hinaus an.

google nutze die daten dafür die produkte zu verbessern und „die sicherheit“ zu verbessern. beides präzsisierte sie zwar noch noch, indem sie sagte, die daten der suchabfragen würden beispielsweise dafür genutzt die suchergenisse „kleiner“ sprachen zu verbessern, man brauche einfach eine gewisse zahl an daten um gute ergebnisse zu liefern, bei grossen sprachen wie englisch oder deutsch deutlich weniger, als für kleine sprachen. leider sagte sie das nicht, aber vermutlich meinte sie damit funktionen wie korrekturvorschläge, semantische analysen über statistische auswertung um ähnliche wortbedeutungen zu erfassen und beispielsweise bei der suche nach einem wort im singular auch die pluralformen im suchergebniss anzuzeigen. ebensowenig sagte sie, wozu dafür ip-adressen oder daten aus denen potenziell profile konstruiert werden können, gespeichert werden müssten. auch als sie später auf nachfrage den recht generischen begriff der „sicherheit“ etwas differenzierte, blieb sie eine antwort schuldig wozu diese potenziell persönlichen daten denn überhaupt und vor allem so lange gespeichert werden müssten.

das dilema der diskussion lautet ahnungslosigkeit. der datenschutzbeauftragte der bundesregierung weiss nicht welche daten gespeichert werden und wozu, die google-lobbyistin weiss es auch nicht und kann es noch weniger plausibel erklären, so dass sowohl die nutzer als auch die zuhörer der diskussion es nicht erfahren, geschweige denn verstehen und am ende bleiben diffuse ängste, verdächtigungen und wilde spekulationen.

irgendwann sagte annette kroeber riel zu peter schaar, google habe auf die anfrage der europäischen datenschützer „ausführlich dargelegt“ wozu google die daten sammelt. präzise und befriedigend wiederholen konnte oder wollte sie es aber nicht. ebenso schien es im späteren diskussionsverlauf, dass peter schaar weder verstehen wolle oder könne, wozu diese daten genutzt werden, geschweige denn, dass der normale benutzer oder zuhörer in der diskussion es verstünde.

klaus staeck verdeutlichte später mit seinen zwei oder drei redebeiträgeen das elende dilema, als er seiner ahnungslosigkeit donnernd ausdruck verlieh, indem er das „system google“ in sein beinahe wahnhaftes gesellschaftsbild und seine fundamentale kapitalismuskritik einzumontieren versuchte und wild rumsuggerierte, ob das „system google“ nicht die demokratie in frage stelle. er kippte eine ganze LKW-ladung vorurteile und hysterie aus und nannte das später „kritik üben“.

ein zuhörer fasste diese absurde situation am ende mit einem filmzitat zusammen: „wenn dich die komplexität nicht schafft, dann tuts am ende der widerspruch.“ nochmal langsam zum mitdenken: google schafft ungeheuer komplexe technische systeme, die wegen ihrer überragender qualität oft eine marktbeherrschende stellung erreichen, schafft es aber nicht die bedenken die durch diese situation entstehen glaubwürdig zu entkräften. auf der anderen seite sind diejenigen die sich mit oder ohne mandat dazu berufen fühlen dieses system zu kontrollieren, zu regulieren oder zu kritisieren völlig von der komplexität, den technischen und politischen gegebenheiten überfordert. sie verstehen weder wie es funktioniert, noch wissen sie was sie eigentlich fordern wollen oder sollen. gänzlich überfordert scheinen die gemeinen nutzer zu sein. sie hören mal fundierte warnungen, mal unfundiertes vorurteils- und hysterie-geplärre und basteln sich aus lückenhaftem wissen, manglhafter medienkompetenz und vorurteilen eine gefährliche amgst-melange zusammen, die dann zu äusserungen führt wie „wie kann ich verhindern, dass meine ganzen persönlichen daten veröffentlicht werden“ oder zur absurden behauptung, dass früher die viel aufwändigere recherche in bilbiotheken oder enzyklopädien den recherchierenden viel klüger gemacht hätten als das heutige „google-geklicke“.

der grund für meine erschütterung nach dieser diskussion ist, dass ich sowohl auf dem podium, also auch bei der google-vertreterin, als auch im publikum völlige ahnungslosigkeit festgestellt habe. und ich will das gar nicht als vorwurf formulieren, sondern eben als eine erschütternde erkenntnis. und auch der google-vertreterin will ich nicht zu nahe treten, sie war umgeben von agression, einen bräsig-aggressiven gerald reischl, der sich bitterlich beklagte nicht genug gesprächspartner bei google zu finden, einem onkelig-aggressiven peter schaar, der rhetorisch glänzend aber auch stetig halbwissen demonstrierend rumnörgelte und einem vor klassenkampf-aggro-rhetorik beinahe platzendem klaus staeck. das publikum strahlte ebenso konstant eine latente aggressivität aus. da ist es sicherlich nicht einfach gegenzuhalten, aber ein wenig rhetorische brillianz und wissen hätten da sicher nicht geschadet.

keien frage, google muss kontrolliert werden, bzw. braucht starke gegenspieler die es verstehen und klar in seine schranken verweisen (können). nur müssen diese gegenspieler verstehen um was es geht, müssen die technische kompetenz besitzen um einzuschätzen was google überhaupt treibt, einschätzen können was fortschritt ist und was rückschritt und vor allem verstehen was im interesse der benutzer ist. letztendlich geht es um die fähigkeit zu formulieren was wir, die bürger, die benutzer eigentlich wollen, es geht um politische willensbildung, um aufklärung, um fundierte kritik. ein gedanke von peter schaar blieb mir hängen, ein gewinnorientiertes unternehmen wie google, das an den nutzern einen riesenhaufen geld verdient hat eine verpflichtung den nutzern möglichkeiten zu bieten, sich spurenlos und ohne angst vor repression im netz zu bewegen. nur wie? niemand will auf die grandiosen dienste von google verzichten und trotzdem muss das digitale leben soetwas wie klare, unverrückbare menschenrechte bieten. mit den bisherigen gestzlichen rahmen kommen wir da nicht unbedingt viel weiter, wir brauchen eine politische willensbildung, um uns klar zu werden was „informationsfreiheit“ überhaupt bedeutet, wie demokratie und freiheit im netz funktionieren sollen und wir brauchen kompetente politiker (oder datenschützer) die diese auf augenhöhe mit dem gesetzgeber oder unternehmen wie google durchsetzen können.

und wir brauchen aufklärung. bildung. transparenz. google muss deutlich klarer und transparenter agieren und sollte ein grösstmögliches interesse daran haben, den nutzer zu erklären was sie tun, was mit ihren daten geschieht und — wichtiger noch — den nutzern die macht über ihre daten (zurück)geben. eine lobbyistin die auf einer podiumsdiskussion auf fast alle fragen stotternd antwortet, dass die das eigentlich nicht wisse, ist da nicht hilfreich. eine mini-ausgabe von oskar lafontaine die auf dem podium cholerisch, demagogisch und ahnungslos vorurteile rausposaunt und von demokratie schwafelt ist da ebensowenig hilfreich. und ein autor der ein „kritisches“ buch zu google verfasst, aber ausser klagen, dass er von google bisher nicht als gesprächspartner akzeptiert wurde so gut wie nichts substanzielles sagt ist auch nicht hilfreich.

ich glaube google täte sich einen riesengefallen seine vertreter in der öffentlichkeit nicht nur medienkompetenz fordern zu lassen, sondern diese auch aktiv und agressiv zu fördern. warum gibt google kein geld, um in schulen medien- und internet-kompetenz-untericht zu fördern? was hält google davon ab, menschen beizubringen wie sie ihre daten schützen, wie sie sich sicher, anonym im internet, auf google bewegen? nicht „don’t be evil“: „do good.“

vorurteile, halbwissen, paranoia, ängste sind die grössten konkurenten von google, nicht microsoft oder apple oder die zeitschriftenverleger oder der perlentaucher.

aber: das was ich heute abend gesehen habe, stimmt mich nicht zuversichtlich, im gegenteil. ich bin erschüttert.

[die diskussion wurde aufgezeichnet, ich vermute sie wird irgendwann in den nächsten wochen hier zu sehen sein.]

[nachtrag 02.10.2008]
volkhard bode schreibt auf boersenblatt.de ungefähr von den gleichen eindrücken wie ix. gefunden beim perlentaucher.

[nachtrag 05.10.2008]
ein paar zitate von der veranstaltung beim deutschlandfunk, zusammengetragen von frank hessenland.