nachhaltigkeit

felix schwenzel, , in wirres.net    

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ein professor an der uni, den ich nicht besonders mochte, meinte mal, er möge das wort „nachhaltigkeit“ nicht. ich glaube er sagte er verstehe nicht, was das wort bedeuten solle und dass es eine leere worthülse sei. auch wenn der professor sonst keinen bleibenden eindruck bei mir hinterliess, prägte er doch meine wahrnehmung in bezug auf das wort „nachhaltigkeit“. bei mir schrillen seit meinem studium bei dem wort „nachhaltigkeit“ die alarmglocken.

ähnich verhält es sich mit dem spruch „klinisch getestet“. früher schrieb man auf produkte die besonders gesund wirken sollten, „klinisch getestet“. heute schreibt man „bio“ drauf. beides bedeutet so gut wie gar nichts. wenn auf einer zahnpasta-tube „klinisch getestet“ steht, kann das ja auch bedeuten, dass das produkt in einer klinischen versuchsreihe getestet wurde und alle probanden danach ausschlag bekamen. genauso ist ein knollenblätterpilz, der biologisch, organisch oder gar biologisch-dynamisch grossgezogen wurde, ebenso giftig wie einer, der während seiner aufzucht mit künstlichen düngemitteln oder pestiziden behandelt wurde.

ich gebe zu, ich falle auch ständig auf diese marketingscheisse rein. oder anders gesagt, wenn bei aldi auf der salami „gut-bio“ steht, kaufe ich sie lieber als die cervelatswurst nebenan für einen euro fünfzig weniger. immerhin, dass wort „nachhaltig“ kommt in der „gut-bio-sortiments-beschreibung“ nicht vor, es wird das — meinem eindruck nach — relativ vertrauenswürdige „bio-siegel“ angegeben und aldi kann man — so scheint es bis jetzt — zumindest bei der produktqualität vertrauen.

anders gesagt, ökologisch oder meinetwegen „artgerechte“ produkte sind längst in der mitte der gesellschaft, sprich bei aldi, angekommen. es gibt kaum probleme günstig und einfach an diese produkte heranzukommen. unternehmer die diese nachfrage bedienen und diese produkte günstig anbieten gibts wie sand am meer. wenn die produkte auch noch günstig sind und bei händlern denen ich einen vertrauensvorschuss zu geben bereit bin angeboten werden, schlage ich gerne zu. ich bin stammkunde bei budnikowski, aldi, alnatura und gut wulksfelde.

problematisch wirds, wenn die produkte nicht günstig zu bekommen sind. dann verlange ich einen ticken mehr. dann reichen mir die marketing-sprüche oder siegel nicht mehr, hohle sprüche haben es schwerer zu verfangen und ich schaue und höre ganz genau hin. ich will dann mehr als produkte die mit ein paar hohlen plastikwörtern aufgepimpt werden. mich kann dann nur ausserordentliche transparenz oder eine gute geschichte zum produkt überzeugen.

wenn ich zum beispiel einen beutel wäscheklammern kaufe, dann kaufe ich ihn entweder für eins fünfzig bei ikea (und mir ist egal wo die herkommen) oder in einem laden, der mich überzeugt, dass ich etwas gutes unterstütze, wenn ich den beutel für zwölf achtzig kaufe. das könnte beispielsweise die legende sein, dass die wäschklammern aus wiederaufgeforsteten tropenwäldern stammen, die von verarmten indischen witwen geerntet werden und von übertariflich bezahlten waisenkindern in kalkutta montiert werden. wenn mir der händler dann auch noch glaubhaft darlegen kann, dass er sich an den klammern nicht 90% des kaufpreises einheimst und die kalkulation offenlegt, dann bin ich eventuell bereit einen haufen mehr geld auszugeben.

weniger sarkastisch ausgedrückt: wer mich zum kauf von etwas teureren, vernünftig hergestellten produkten überzeugen will, muss nicht nur auf marketing-gequatsche verzichten können, sondern eine gute geschichte erzählen können und extrem transparent sein.

soweit das vorgeplänkel. seit ein paar tagen ist der avocado-store online. auf diesem marktplatz wollen stephan uhrenbacher und philip gloeckler „nachhaltige“ produkte verkaufen. ich habe mir vor knapp einer woche die präsentation des konzept der beiden angesehen, ein paar fragen gestellt und dieser tage nochmal ein bisschen auf der plattform rumgeschaut. und leider überzeugt mich das konzept nicht, genauer es kitzelt kaum einen funken neugier in mir. hinzu kommt, dass ich der meinung bin, dass die beiden eine riesige chance verpassen.

diese chance wäre, auf der plattform nur dinge zu verkaufen, die eine geschichte erzählen, etwas besonderes haben, die den betreibern persönlich lieb geworden sind. zwar sagte phillip gloeckler, dass er mehr oder weniger alle produkte auf der plattform kenne und gut fände, aber ausser ein paar alberner benutzer-kommentare die er (vermutlich) unter einigen produkten hinterliess, ist davon auf der plattform so gut wie nichts sichtbar.

die produkte werden mit dem üblichen, ermüdenden marketinggesabbel angepriesen: der hersteller eines „wood_stocks“ meint, dass die verwendeten hölzer „aus vorbildlich bewirtschafteten Wäldern und anderen kontrollierten Herkünften“ stammen und der „wood_stock“ in einem edlen, schwarzen schuber geliefert würde. „affentor“ meint, es verarbeite „wunderschöne und fairgehandelte Reststoffe“. leute die sich gewaltsame aufstände ausdenken („RiotCreations GmbH“) preisen ihr 30-euro t-shirt damit an, dass „die Invasion der guten Laune nicht zu stoppen“ sei und dass man „auf der durchgeknallten Achterbahn“ mitfahren solle. die riotcreation-leute weisen zwar darauf hin, dass ihre shirts „fairmade“ und frei von kinderarbeit seien, dass für die „ArbeiterInnen“ auf die „Gesundheit“, „Sicherheit“ und das binnen-I geachtet werde, verraten uns aber nicht wo genau die shirts hergestellt werden. da sind andere schon viel weiter.

ich will nicht nur wissen, dass die bunte knete von „ökonorm“ aus rohstoffen aus „biologischem Anbau“ stammt, sondern was genau in der knete drin ist. ich will nicht wissen, dass die knete im „Pappetui“ geliefert wird, sondern ob ein kind auch schadlos ein, zwei stückchen der bunten knete verschlucken kann.

jede einzelne produktseite die ich mir heute im avocado-store angesehen habe, ist voller verpasster chancen und blödsinnigem marketinggesabbel bei dem ich mir vorkomme, als wolle mich jemand nachhaltig verarschen. andererseits ist das kind noch jung voll beta. aber ich vermisse ein konzept, dass über das gummiwort „nachhaltigkeit“ hinausgeht. ich fürchte, hier könnte sich mal wieder der gute alte spruch, dass das gegenteil von gut, gut gemeint ist, bewahrheiten.