jauer und hyde

felix schwenzel, , in wirres.net    

die erste kontaktaufnahme war per sie. marcus jauer rief mich an und sagte er sei beim überlesen des republica-programms auf mich gestossen, bzw. hätte sich daran erinnert, dass er eigentlich mal ganz gerne mit mir reden würde, er schreibe gerade einen artikel über deutsche blogger. ein paar tage später verabredeten wir uns im prassnik. wir kamen beide zur gleichen zeit an, aber das prassnik hatte noch zu. also setzten wir uns draussen hin und fingen an zu reden und uns zu duzen. am anfang stand gleich ein kleines missverständnis; ich hatte ja mal vor jahren geschrieben, dass ich „aufhöre zu bloggen“ und fortan nur noch ins internet schreibe, was ich, so in etwa, auch ins republica-programm geschrieben hatte:

Felix Schwenzel schreibt seit mehr als zehn Jahren ins Internet. Vor einer ganzen Weile hat er aufgehört das Bloggen zu nennen: „Bloggen verkommt mehr und mehr zu einem Regelkorsett. Mir ist das zu eng und zu langweilig.“

marcus jauer hatte das so verstanden, dass er dachte, ich hätte auch aufgehört ins internet zu schreiben. das missverständnis hatte er zwar vorab schon mit einem kollegen geklärt, aber wir sprachen auch nochmal über die „weblogbedeutungsmafia“, die leute, die es lieben anderen zu erklären wie das wahre bloggen geht, was man als blogger zu tun und zu lassen habe und was einen als blogger von journalisten unterscheide und wie sehr mich das mal genervt hatte. wir redeten über die vielen kleinen wunder die das ins-internet-schreiben für mich bedeutet, dass ich selbst beim studium nicht annährend so viele leute kennengelernt habe wie im und durch das internet, dass ich meinen job, die beifahrerin und meine hausschuhe dem internet und den sich daraus gesponnenen beziehungen zu verdanken habe.

ich bin ja eher ein schweigsamer typ, aber bei den richtigen fragen und dem richtigen thema kann ich ziemlich redselig werden. marcus jauer stellte die richtigen fragen, war aufrichtig wissbegierung, machte sich wenig notizen, war sehr konzentriert — und trank keinen alkohol. er schien auch ein bisschen verzweifelt angesichts der grösse des themas und wie er das anpacken solle. er sprach davon wie schwierig es sei, die mechaniken und zusammenhänge der blogosphäre zu visualisieren und wir redeten über die thematischen blogblasen und mir fiel ein, wie faszinierend ich die visualisierungen der deutschen blogosphäre von john kelly auf der republica letztes jahr fand, oder auch die, die wikio erstellt. wir sprachen über die beschleunigung der empörungswellen, wie das bei moni und transparency noch fast eine ganze woche dauerte, bis die geschichte in die mainstream-medien schwappte und bei markus beckedahl und der abmahnung durch die bahn bereits nach ein paar stunden zum ersten spiegel-online-artikel führte und das man das sicher auch prima visualieren könne. nach drei stunden hatten wir so zimelich jeden aspekt des deutschen blogdings zumindest mal angeschnitten, ich war heiser und marcus jauer musste nach hause, weil er noch einen text schreiben musste, der am nächsten tag fertig sein sollte.

ich hatte das gefühl ein paar missverständnisse aufgeklärt zu haben und zumindest ein bisschen meiner euphorie und faszination am blogdings auf marcus jauer übertragen zu haben. als er dann am ende noch erwähnte, dass er die tage noch einen fotografen vorbeischicken würde, war ich ehrlichgesagt ein bisschen überrascht, ich hatte unser gespräch gar nicht so sehr als interview gesehen, sondern als gespräch über das bloggen und die faszination daran. das mit dem fotografen glaubte ich auch nicht wirklich, bis der ein paar tage später tatsächlich anrief um einen termin mit mir auszumachen. als marcus jauer gegen halb elf ging, blieb ich noch kurz sitzen, trank mein bier aus und war freudig überrascht als ich bezahlen wollte, dass er bereits für mich mitgezahlt hatte. am nächsten tag schickte ich ihm noch ein paar links und drei tage später fragte marcus jauer nochmal per mail nach, seit wann ich in berlin sei.

* * *

als der artikel dann am 14. april rauskam war ich erstmal wirklich begeistert von den fotos. von allen. als ich den artikel las, musste ich ein paar mal lachen, die gemeinheiten gegen robin meyer-lucht fand ich respektlos und witzig, die gegen jörg wittkewitz waren mir fast ein bisschen zu schonungslos, aber ich bin anfällig für schadenfreude. ich wunderte mich, dass „WordPress.com“ bereits um die jahrtausenwende programme angeboten haben sollte (zuckte aber mit den schultern), wunderte mich wie frustriert frank westphal dargestellt wurde (so hatte ich den bisher noch nicht kennengelernt), wunderte mich über den schönen satz „Man wirft einen Stein ins Wasser und löst einen Tsunami aus“ den ich gesagt haben sollte (ich finde das bild mit dem schmetterling der einen wirbelsturm auslöst viel besser — von schmetterlingen habe ich allerdings genausowenig gesprochen wie von tsunamis). ich wunderte mich noch über ein paar weitere kleinigkeiten *), fand den artikel aber insgesamt nicht schlecht oder, wie jörg-olaf schäfers das ausdrückte, war der „Grundton“ …

Nicht vernichtend, aber durchaus kritisch. Es ist in den letzten 5 Jahren nun einmal nicht alles perfekt gelaufen.
Kurz, für drei Seiten in einer “allgemeinen Zeitung” ging das schon ok.
(jörg-olaf schäfers)

interessanterweise fanden meine eltern und mark pohlmann den artikel „gut“. als ich mark pohlmann sagte, dass ich den artikel teilweise etwas boshaft und überheblich fand, widersprach er und nannte ihn „schonungslos“. jedenfalls lag mein richtigstellungsdrang ungefähr bei null, eine seite die ich an mir noch nicht kannte und die ich mir bis heute nicht so recht erklären kann. aber schliesslich war ja auch republica und es gab ungefähr zweitausend interessantere dinge als einen artikel in der FAZ. robert basic nennt eine solche haltung glaube ich „schulterzuck“.

ich habe dem jetzt-sag-ich-auch-mal-was-dazu-drang jetzt auch nur deshalb nachgegeben, weil thomas knüwer sich gerade so echauffiert, johnny sich über ein untergeschobenes kippenberger-zitat ärgert und ich mich nun frage, welche zitate ausser johnnys und meinen sich marcus jauer sonst noch so zusammengereimt hat? vor allem aber, warum?

warum arbeitet jemand, der monate der recherche in ein stück packt, sich den arsch aufreisst um sich in die materie einzuarbeiten, stundenlang gespräche führt, an einer der entscheidenden stellen so nachlässig? an genau der stelle (den zitaten) an der er sich angreifbar macht und seinen ruf als ordentlicher handwerker aufs spiel setzt? mag ja sein, dass die zitate im weitesten sinne „sinngemäss“ sind, aber ist so eine arbeitsweise nicht vergleichbar mit einem lackierer, der den kotflügel, den er mühevoll in 12 schichten auf hochglanz lackiert und poliert hat, so schludrig anschraubt, dass er bei der probefahrt abfällt?

mich wundert nicht die boshaftigkeit schonungslosigkeit und das vernichtende urteil das jauer fällt (die ich legitim finde), sondern die schlampigkeit von jauer.

nur — marcus jauer wirkte auf mich nicht schlampig, sondern sympathisch, aufgeschlossen und durchaus mögig. vielleicht ist jauers nachlässigkeit in „Deutsche Blogger“ ja ein ausdruck seines widerwillens oder seiner lustlosigkeit, einen text über etwas was er in wahrheit gar nicht so schlecht findet, in eine FAZesque, leicht überhebliche und dünkelhafte form giessen zu müssen. das wäre freilich die philanthropische erklärung. die misanthropische erklärung wäre, dass jauer den text von seinem hyde schreiben liess. oder dass ich nicht nur ein miserabler vermittler der faszination des bloggens bin, sondern auch ein miserabler menschenkenner.

* * *

marcus jauer schrieb mir heute übrigens, dass johnny das kippenberger-zitat in genau dem zusammenhang gesagt habe, in dem er es in seinem artikel verwendet habe. das gleiche gelte für mein tsunami-zitat. er sei sich da ganz sicher und hätte, wenn er sich unsicher gewesen wäre, nachgefragt. ich sehe das, zumindest bei meinen zitaten, ein bisschen anders, denn das blogdings-thema macht mich zwar redselig, aber nicht pathetisch. ich kann zwar mit wörtlichen zitaten, die gerade mal sinngemäss sind, gut leben, wäre aber mal gespannt, was der FAZ-qualitätsjournalismusbeauftragte dazu zu sagen hat.

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*) gewundert habe ich mich auch über die unterstellung ich hätte gedroht einem „Kritiker“ die „die Fresse zu polieren“, obwohl unter dem (korrekt zitierten) satz ein gut sichtbarer link steht, der erklärt, dass das ein missratener witz und mitnichten eine drohung war. nicht gewundert habe ich mich über die drei rechtschreibfehler in einem absatz über mich, weil ich für rechtschreibfehler einen blinden fleck habe (meine theorie ist, dass marcus jauer die rechtschreibfehler unbewusst als reverenz an mich eingebaut hat). und wenn ich schon bei kleinteiliger kritik bin, könnte ich auch noch die bemerkung einschieben, dass ich gegen die vodafone kampagne nicht „der Wirkung wegen“ war, sondern aus prinzip. was hingegen stimmt, ist das was marcus jauer in der bildunterschrift unter meinem bild geschrieben hat: „Felix Schwenzel schreibt unter wirres.net. Von den Leuten, die ihn lesen, will er immer wieder hören, dass sein Blog lustig ist.“ nur sagen würde ich sowas niemals.