influencer am hof

felix schwenzel, , in artikel    

schlosspark von sanssouci

heute waren wir in potsdam im schlosspark von sanssouci. die beifahrerin wollte dort in den botanischen garten, weil sie gewächshäuser gerade super findet und wir die gewächshäuser im botanischen garten von berlin und kiel und auf dem bundesgartenschau-gelände schon gesehen haben. ausserdem wollte sie, nachdem wir kürzlich mal im chinesischen teehaus auf dem bundesgartenschaugelände waren, auch ins teehaus im park von sanssouci.

(das teehaus auf dem buga-gelände in marzahn ist sehr toll und erschien uns sehr authentisch — und vor allem lecker.)

die tropenhäuser in potsdam waren toll, dort standen sogar unbewachte coca-sträucher und andere drogen-pflanzen. die farne und luftwurzler waren faszinierend und die einheimischen insekten mögen auch die tropischen pflanzen.

luftfarn
wespe

ausserdem gibts in potsdam die „merkwürdigste pflanze der welt“, der in ihrem ganzen leben nur zwei blätter wachsen, aber bequem mehrer tausend jahre alt werden kann. das exemplar in potsdam war erst 40 jahre alt.

ungewöhnlichste pflanze der welt
die angeblich „merkwürdigste pflanze der welt“

nach den gewächshäusern liefen wir dann zum chinesischen teehaus und unterwegs kamen wir unter anderem am lustgarten vorbei. was denn ein „lustgarten“ wäre, fragte die beifahrerin. ich meinte, dass das der ort gewesen sei, wo sich die adeligen am hof amüsieren könnten, rumspazierten um zu gucken und gesehen zu werden, fangen spielen und so. dank moderner technologie kann man solche fragen ja heutzutage auch gleich wenn sie aufkommen nachschlagen. ich las aus der wikipedia:

Der Lustgarten ist ein (oft parkähnlicher) Garten, der vorrangig der Erholung und Erfreuung der Sinne dient. Er enthält häufig auch zusätzliche Einrichtungen (Gartenlustbarkeiten) wie Konzertsäle, Pavillons, Fahrgeschäfte, Zoos oder Menagerien.

was denn eine menagerie sei, fragte die beifarerin dann noch:

Die Menagerie ist eine historische Form der Tierhaltung und als solche der Vorläufer des zoologischen Gartens, der sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte.

nachdem die lustgarten- und menagerie-fragen aufkamen, musste ich jedenfalls an die knapp 200 adelsfilme und -serien denken, die ich in den letzten 40 jahren konsumiert hatte (bemerkenswert in den letzten beiden jahren übrigens versailles und the favourite). so ein hof war ja neben dem politischen gedöns vor allem ein ort an dem sich die frühen influencer versammelten und trafen. man verbrachte dort einen nicht unerheblichen teil seiner zeit damit über mode zu reden und mode und sein eigenes exquisites verständnis von mode zur schau zu tragen, schminktipps zu tauschen und ein gefühl von zugehörigkeit zu exklusiven kreisen zu feiern. selfies waren damals noch etwas aufwändiger in der herstellung, die verbreitung ging zunächst nicht über die eigenen, exklusiven kreise hinaus und vor allem konnte man die selfies nicht selbst herstellen.

das promi-selfies oft gar nicht selbst hergestellt werden ist allerdings auch heute, seit mindestens vier jahren noch so.

selfie von christian ulmen, collien ulmen-fernandes, mirko lang und zwei anderen
selfie von christian ulmen, collien ulmen-fernandes und anderen (Bildrechte: BR/PULS/Sebastian Wunderlich)

neben den influencern waren an diesen adelshöfen aber vor allem auch viele promi-gaffer. der niedere adel hatte es — vermeintlich — zu etwas gebracht, zu privilegien und ein bisschen vermögen, und suchte jetzt am hof vor allem gelegenheit das eigene selbstwertgefühl durch promi-exposition aufzuwerten. der aufenthalt am hof muss irre langweilig und eintönig gewesen sein, aber die möglichkeit sich vom ruhm der promis bescheinen zu lassen, sich selbst zu vergewissern zum erlauchten kreis dazu zu gehören, machte die langeweile wohl wett.

daran musste ich, wie gesagt, heute im schlosspark denken — und als ich eben den blogartikel der beifahrerin von heute las (celebrity-art), schloss sich der kreis: diese leute, deren lebenszweck es zu sein scheint in bestimmten kreisen gesehen zu werden, denen es wichtig ist einen bestimmten, vermeintlichen status nicht nur zu haben, sondern offensiv zu zeigen, die gibt’s heute mehr denn je. die springen auf kunst-messen rum, droppen names in interviews oder schlürfen austern in stehtisch-restaurants in hamburg, düsseldorf, sylt oder münchen.

dank der massenmedien und der noch massigeren netzmedien, hat zwar jeder theoretisch die chance auf 15 minuten teilnahme am hofzeremoniell, aber prominenz, veradelung durch prominenz oder exklusivität, ist immer noch eine wertvolle und nicht ganz leicht zu erlangende währung im gesellschaftszirkus.

wenn wir uns heute lustig machen über die hofzerionielle von vor 100, 200 oder 300 jahren, sollten wir bedenken, dass die filme in 200, 300 jahren genauso unbarmherzig mit unseren gesellschaftritualen umgehen werden.

das teehaus im schlosspark von sanssouci serviert übrigens keinen tee. das ist nur ein ausstellungsraum. ganz hübsch, aber trocken.

chinesisches teehaus im schlosspark von sanssouci