nebelkerzen

felix schwenzel

ir­gend­wann mal habe ich ge­sagt, dass die „blogo­sphä­re“ eine der we­ni­gen grup­pen ist, zu der ich mich je­mals zug­hö­rig er­klä­ren wür­de, weil sie so un­fass­bar he­te­ro­gen ist:

„die blogger“ sind die erste gruppe der ich mich freiwillig als mitglied zuordnen lasse, auch weil sie so wunderbar heterogen sind. […] ähnliche grupppen, äusserst heterogen und unfassbar, sind zum beispiel „autoren“, „wichser“, „männer“, „arbeitende“, „denkende“ oder „fernsehgucker“. (fast allen) diesen grupppen schliesse ich mich ähnlich unbekümmert an wie der der „blogger“.

die he­te­ro­ge­ni­tät ei­ner grup­pe schliesst selbst­ver­ständ­lich mit ein, dass sie auch arsch­lö­cher be­inhal­tet. das ha­ben grup­pen so an sich. schwie­rig wirds für mich im­mer ge­nau dann, wenn die arsch­lö­cher an­fan­gen zu schrei­en und re­geln für alle an­de­ren in der grup­pe auf­stel­len wol­len. an­stän­di­ge deut­sche ma­chen dies und das nicht. ech­te män­ner kri­ti­sie­ren sich nicht öf­fent­lich, son­dern trin­ken mit­ein­an­der bier. an­stän­di­ge SPD­ler neh­men kei­ne be­ra­ter­jobs in der wirt­schaft an. an­stän­di­ge blog­ger ma­chen kei­ne wer­bung, jour­na­lis­ten kön­nen nicht blog­gen.

alle paar jah­re kom­men sie aus ih­ren lö­chern ge­kro­chen, die re­gel­auf­stel­ler-arsch­lö­cher, fa­seln von leit­kul­tu­ren, da­ten­schutz­richt­li­ni­en oder un­ab­ding­ba­ren rech­ten die blog­kom­men­ta­to­ren an­geb­lich zu ge­wäh­ren sei­en. die rech­te von blog­kom­men­ta­to­ren die auf­ge­regt ein­ge­for­dert wer­den, va­ri­ie­ren zwi­schen: alle kom­men­ta­re sind frei­zu­schal­ten (sonst sei das zen­sur!), kom­men­tar­funk­tio­nen sind grund­sätz­lich an­zu­bie­ten (sonst sei das ding kein blog!) hin zu ei­nem ganz neu­en dog­ma, dass die an­ony­mi­tät ei­nes je­den blog­kom­men­ta­tors zu wah­ren sei (sonst sei das bild-zei­tungs-ni­veau!) oder al­ter­na­tiv, dass stö­ren­de kom­men­ta­re ein­fach still­schwei­gend zu lö­schen sei­en (weil al­les an­de­re nur pro­vo­zie­re oder der pro­fi­lie­rung des blog­be­trei­bers die­ne).

das är­ger­li­che an den re­gel­auf­stel­ler-arsch­lö­chern ist, dass sie meist nicht ar­gu­men­tie­ren oder vom ein­zel­fall aus­ge­hen, son­dern dog­men auf­stel­len. wo ist der un­ter­schied, zwi­schen ei­nem po­lit­ker der von „leit­kul­tur“ oder „über­frem­dung“ fa­selt und blog­gern die be­haup­ten, jour­na­lis­ten könn­ten kei­ne ech­ten blog­ger sein? die ar­gu­men­ta­ti­ons­mus­ter zu­min­dest sind die glei­chen: ideo­lo­gisch, mis­an­throp, po­pu­lis­tisch und meist arsch­lochig. arsch­lochig vor al­lem auch des­halb, weil dog­men kei­ne ar­gu­men­te sind (über die man dis­ku­tie­ren könn­te), son­dern eben lehr­sät­ze.

das be­son­ders un­an­ge­neh­me an den dog­ma­ti­kern ist, dass sie für ihre kurz­fris­ti­gen zie­le hys­te­rie pro­vo­zie­ren und von den ei­gent­li­chen pro­ble­men und miss­stän­den ab­len­ken. oft ge­schieht das so­gar ohne ab­sicht, aber mit der­sel­ben ab­stump­fen­den wir­kung. nichts ge­gen den schock­wel­len­rei­ter, er ist nur ei­nes von vie­len bei­spie­len die ich wäh­len könn­te, aber ich neh­me ihn mal we­gen des ge­rin­gen schwie­rig­keits­gra­des als bei­spiel: ist mal je­man­dem auf­ge­fal­len wie oft der schock­wel­len­rei­ter „zen­sur!“ schreit? ge­fühlt 300 mal pro jahr und tat­säch­lich ziem­lich oft. je­den klein­schiss, bei je­der pri­vat­feh­de oder edit­war oder im müll ge­lan­de­tem le­ser­brief (oder kom­men­tar) „zen­sur“ zu schrei­en ver­ne­belt die wahr­neh­mung und tri­via­li­siert das ei­gent­li­che pro­blem. oder an­ders ge­sagt: wenn man bei über je­dem scheiss „zen­sur“ schreit, fällts schwer sich über ech­te zen­sur zu em­pö­ren — oder sie über­haupt noch als sol­che zu er­ken­nen.

das glei­che prin­zip wen­den po­li­ti­ker ger­ne an — auch wenn da oft eine pri­se mehr be­rech­nung hin­ter­steckt. wenn sie bei­spiels­wei­se von ei­nem ver­fas­sungs­mäs­si­gen grund­recht der bür­ger auf frei­heit und si­cher­heit re­den, ge­fähr­dun­gen hoch­hys­te­ri­sie­ren, sei­en es ge­sund­heits­ge­fah­ren oder ter­ro­ris­ten, ver­ne­beln sie eben­so wie auf­ge­reg­tes zen­sur­ge­schrei die wahr­neh­mung und tri­via­li­sie­ren das ei­gent­li­che the­ma. schlim­mer noch, die ur­sprüng­li­che streit­fra­ge wird aus dem wahr­neh­mungs­feld ge­scho­ben. denn das fun­da­men­ta­le pro­blem — und das zeigt nicht nur die ge­schich­te — ist ein staat der sei­nen bür­gern kei­ne si­cher­heit und frei­heit vor dem staat ga­ran­tiert (mehr dazu hab ich mal hier vor zwei jah­ren ge­schrie­ben).

eben­so tri­via­li­siert man die ge­fah­ren de­nen die wah­rung der per­sön­lich­keits­rech­te oder der pri­vat­s­sphä­re in un­se­rer ge­sell­schaft aus­ge­setzt sind, wenn man ste­fan nig­ge­mei­er in der dis­kus­si­on um das so­ge­nann­te „kon­stan­tin­gate“ vor­wirft mit bild-me­tho­den vor­zu­ge­hen oder ein omi­nö­ses recht auf an­ony­mi­tät ver­letzt zu ha­ben oder ver­bre­chen ge­gen den da­ten­schutz be­gan­gen zu ha­ben. ich fin­de durch­aus, dass ste­fan nig­ge­mei­ers vor­ge­hen zu kri­ti­sie­ren ist, aber ein­fach mit der gros­sen prin­zi­pi­en­keu­le drauf­zu­hau­en, sich ein paar lehr­sät­ze aus der nase zu zie­hen, ei­nen ver­stoss ge­gen die­se dog­men zu­sam­men­rei­men und dann die ver­lo­re­ne ehre des ste­fan nig­ge­mei­ers zu pro­kla­mie­ren ist voll ai­gner.

die macht das nach dem glei­chen mus­ter. ängs­te oder un­si­cher­hei­ten auf­spü­ren, die­se ängs­te auf­bla­sen, ohne in­ter­es­se an de­tails die­se un­si­cher­hei­ten auf­put­schen und mit der prin­zi­pi­en­keu­le ein­fach über­all drauf­hau­en. so hat das wun­der­bar bei der goog­le street-view- oder face­book-dis­kus­si­on funk­tio­niert. am ende stan­den auf al­len sei­ten hys­te­ri­sche dis­ku­tan­ten, die der ge­gen­sei­te ent­we­der ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit, un­kennt­nis, dumm­heit — oder hys­te­rie vor­war­fen. in­mit­ten die­ses ne­bel­ker­zen-mee­res, las­sen sich jetzt pri­ma schau­fens­ter-ge­set­ze ver­ab­schie­den, die — wie die dis­kus­si­on — nie­man­dem hel­fen und kein ein­zi­ges pro­blem lö­sen — aus­ser das pro­blem von ai­gners vor­he­ri­ger pro­fil­lo­sig­keit.

und das ist das ei­gent­lich wi­der­li­che an der dis­kus­si­on um „kon­stan­tin­gate“, aber auch an vie­len aspek­ten der po­li­tik (oder in tei­len, na­tür­lich nur ex­em­pla­risch, an nico lum­ma): kein in­ter­es­se an de­tails, hin­ter­grün­den oder den din­gen hin­ter dem au­gen­schein auf­brin­gen, dog­ma­tisch und laut schrei­end mit der prin­zi­pi­en­keu­le drauf­hau­en und dann schein­hei­lig all­ge­mein­gül­ti­ge re­geln oder ge­set­ze for­dern.

da könn­te man echt in­ter­net-, po­li­tik und welt­ver­dros­sen zu­gleich wer­den.

ab­ge­se­hen da­von, eine ab­schlies­sen­de mei­nung habe ich dazu auch nicht. ei­gent­lich zu gar nix.