schön häss­lich

felix schwenzel

eben hat mir ste­fan nig­ge­mei­er den link zu die­sem ar­ti­kel von jo­han­na ador­ján ge­schickt. ob ich den schon ge­le­sen hät­te. hat­te ich nicht, ich lese ge­ra­de fast nix, weil ich den gross­teil mei­ner frei­zeit da­mit ver­brin­ge mö­bel hin und her zu schie­ben, kü­chen auf­zu­bau­en oder pas­sen­de tür­dämp­fer zu fin­den oder mir ame­ri­ka­ni­sche fern­seh­se­ri­en aus der kon­ser­ve an­zu­se­hen (hät­te mir mei­ne ver­wand­schaft doch bloss nicht ge­sagt, dass „two and a half men“ lus­tig ist, is­ses näm­lich wirk­lich).

also hab ich den ar­ti­kel ge­le­sen. der ar­ti­kel ist na­tür­lich, wie al­les was jo­han­na ador­ján schreibt, le­sens­wert. der teaser des ar­ti­kels, der mög­li­cher­wei­se gar nicht von jo­han­na ador­ján stammt, son­dern von ei­nem re­dak­teur, weiss man ja nie so ge­nau, fasst den ar­ti­kel tat­säch­lich poin­tiert zu­sam­men:

Mit­ten in Ber­lin, am so­ge­nann­ten Spree­drei­eck, steht ein Ge­bäu­de von über­wäl­ti­gen­der Häss­lich­keit. Kei­ner woll­te es so. Trotz­dem wur­de es ge­baut. Wie konn­te das ge­sche­hen?

jetzt fra­ge ich mich, was macht ei­gent­lich eine stadt aus? schön­heit? muss eine stadt, müs­sen die ge­bäu­de ei­ner stadt schön sein, um ei­ner stadt zu die­nen? hei­del­berg ist schön, frei­burg auch und tü­bin­gen glau­be ich auch. aber sind das städ­te, oder pit­to­res­ke pro­vinz­käf­fer?

ist es nicht viel­leicht so, dass die at­trak­ti­vi­tät ei­ner stadt mit de­ren häss­lich­keit steigt? oder mo­de­ra­ter ge­fragt: kann ei­ner gut funk­tio­nie­ren­den stadt häss­lich­keit über­haupt et­was an­ha­ben? new york ist, wie ber­lin, ab­grund­tief häss­lich. und trotz­dem liebt je­der die­se bei­den städ­te. oder ge­nau­er, je­der hass-liebt bei­de städ­te. eine rich­tig gute stadt wird stän­dig be­schimpft. das all­jähr­li­che ge­jam­mer der ein­woh­ner ge­hört zu ei­ner at­trak­ti­ven stadt ein­fach dazu. die ber­li­ner jam­mern wie die new yor­ker über den man­gel­haf­ten win­ter­dienst, in new york sta­pelt sich im win­ter — und manch­mal auch im som­mer — der müll me­ter­hoch in den stras­sen und alle jam­mern stän­dig über den öf­fent­li­chen nah­ver­kehr.

aber hat sich schon­mal je­mand ge­fragt, war­um die schwa­ben in mas­sen nach ber­lin kom­men? viel­leicht weil sie die schnau­ze voll ha­ben von der kehr­wo­che, den ab­ge­leck­ten geh­we­gen, dem fun­tio­nie­ren­den nah­ver­kehr und den pit­to­res­ken schwä­bi­schen vor­städ­ten?

hat die schön-, häss­lich- oder sau­ber­keit viel­leicht gar nichts mit der at­trak­ti­vi­tät ei­ner stadt zu tun, son­dern viel eher fak­to­ren wie dich­te, funk­tio­na­li­tät, viel­falt oder so­gar gi­gan­tis­mus?


zu­rück zum spree­drei­eck. ei­ner­seits fin­de ich den bau gar nicht so häss­lich. ich fah­re jede wo­che ein paar­mal mit der s-bahn an dem bau vor­bei. und wenn ich so an dem teil vor­bei­fah­re den­ke ich im­mer, „gar nicht mal so schlecht“. ich mag wie die fas­sa­de sich beim vor­bei­fah­ren öff­net und schliesst, je nach po­si­ti­on der s-bahn, ich mag wie die fried­rich­stras­se sich in eine schlucht ver­wan­delt hat, die ei­nem eine ah­nung von gross­stadt gibt. ich mag wie die fri­sche fas­sa­de jetzt schon oll und ab­ge­ranzt wirkt und ich mag die et­was miss­ra­te­nen pro­por­tio­nen. im ver­gleich zum wirk­lich ab­grund­tief häss­li­chen ale­xa am alex­an­der­platz (oder je­dem an­de­ren in den letz­ten jah­ren an ei­ner s-bahn-li­nie ge­bau­ten ein­kaufs­zen­trum) wür­de ich mich so­gar dazu hin­reis­sen las­sen, das ge­bäu­de, im ver­gleich, als meis­ter­werk zu be­zeich­nen.

über­haupt, wenn man schon über häss­lich­keit klagt, fin­den sich in ber­lin tat­säch­lich hun­dert­mal mehr bei­spie­le auf de­nen man be­rech­tigt her­um­ha­cken und mä­keln könn­te. al­lein der his­to­ri­sie­ren­de kotz­bro­cken na­mens „ho­tel ad­lon“ am pa­ri­ser platz: was für eine pein­li­che pos­se die­ses ge­bäu­de ist! und was pas­siert mit die­sem pein­li­chen mach­werk? gün­ter beh­nisch pin­kelt dem häss­li­chen ding ein­fach ans bein und klebt ei­nen glas­pa­last an des­sen rück­wand. jetzt steht die aka­de­mie der küns­te am pa­ri­ser platz und schreit laut und deut­lich: guck mal wie pein­lich ro­man­ti­sie­rend und aus der zeit ge­fal­len das ge­bäu­de ne­ben mir ist. beh­nischs bau wirkt auf mich, als hät­te ein spöt­ti­scher spray­er „mi­nia­tur wun­der­land“ auf die brand­wand des ad­lon ge­sprüht.

ge­wöh­nung, dich­te und viel­falt glei­chen die häss­lich­keit aus. ein­fach so. über das ale­xa rege ich mich schon lan­ge nicht mehr auf. es steht da, ist häss­lich — und funk­tio­niert. der la­den ist im­mer voll. es ist häss­lich, lebt aber. die schön­hau­ser-al­lee-ar­ka­den: häss­lich wie die nacht, aber sie funk­tio­nie­ren. ich geh da stä­dig rein.

vor ei­ner wei­le war der kauf­hof am alex­an­der­platz ein häss­li­cher be­ton­klotz mit wa­ben-fas­sa­de. dann kam klei­hues und woll­te das haus schön ma­chen und es ha­gel­te pro­tes­te. auch von mir. jetzt steht da ein wun­der­schö­ner klotz, lebt und ist im­mer voll.

häss­lich­keit in der stadt ist so­was von re­la­tiv.


be­son­ders in­ter­es­sant fin­de ich ja, dass jo­han­na ador­ján in ih­rem ar­ti­kel stän­dig mies van er rohe an die wand malt:

Für eben je­nen Ort hat­te Lud­wig Mies van der Rohe 1921 sei­nen glä­ser­nen Wol­ken­krat­zer „Wabe“ ent­wor­fen, der, ob­wohl nie ge­baut, zu ei­ner Iko­ne der Mo­der­ne wur­de, ei­nem der wich­tigs­ten Ge­dan­ken­ge­bäu­de des 20. Jahr­hun­derts.

mies ent­wurf sei „kühn“ ge­we­sen und, so zi­tiert sie den ar­chi­tek­ten arno brandl­hu­ber, der jet­zi­ge ent­wurf sei jetzt zu ei­nem „Qua­si­mo­do“, ei­nem zwit­ter aus „Mies und dem 19. Jahr­hun­dert“ ge­wor­den. also eben nicht kühn, nicht iko­nisch und to­tal un­wich­tig. mag ja al­les sein, aber mies ent­wurf wäre si­cher noch häss­li­cher ge­wor­den. den vor­platz vor dem seagram buil­ding das mies van der rohe 1950 in new york bau­te, nut­zen üb­ri­gens auch kei­ne skate­board­fah­rer.

das was wir heu­te als die bau­sün­den der sech­zi­ger und sieb­zi­ger jah­re in mo­der­nen me­tro­po­len wahr­neh­men, geht zu nicht un­we­sent­li­chen tei­len auf die bau­phi­lo­so­phie von lud­wig mies van der rohe zu­rück. uni­for­me, schmuck­lo­se bau­ten, in­dus­tria­li­sier­te bau­me­tho­den die sich nach den be­dürf­nis­sen der tech­nik und nicht de­nen der men­schen rich­te­ten sind wur­den in den letz­ten jah­ren nicht als kühn oder iko­nisch wahr­ge­nom­men, son­dern als das trau­ri­ge elend der mo­der­ne. der ame­ri­ka­ni­sche ar­chi­tek­tur-kri­ti­ker pe­ter bla­ke ver­al­ber­te das mot­to der mo­der­nen bau­phi­lo­so­phie „form fol­lows func­tion“ mit „form fol­lows fias­co".


noch­mal: ge­wöh­nung, dich­te und viel­falt glei­chen die häss­lich­keit aus. als ich in stuttghart ar­chi­tek­tur stu­dier­te, be­fand sich die ar­chi­tek­tur-fa­kul­tät in ei­nem aus­ge­spro­chen häss­li­chen ge­bäu­de na­mens k2. über die jah­re be­gann ich das ge­bäu­de zu lie­ben. die grund­ris­se wa­ren ge­ni­al auf die nut­zung zu­ge­schnit­ten, das ge­bäu­de war irre funk­tio­nal und hat­te — auf den zwei­ten blick — ech­te qua­li­tä­ten. im üb­ri­gen (jetzt ver­stei­ge ich mich zu ei­ner ganz stei­len the­se) wür­de ich be­haup­ten, dass gu­tes de­sign oder gute ge­stal­tung sich oft da­durch of­fen­bart, dass sie auf den ers­ten blick häss­lich wirkt. mir ist bei­spiels­wei­se (bis auf we­ni­ge aus­nah­men) noch kei­ne neue mo­del­rei­he von mer­ce­des oder BMW auf den ers­ten blick schön vor­ge­kom­men. im­mer erst nach ein paar jah­ren, of­fen­bar­ten sich mir die de­tails, die ge­stal­tungs­grund­sät­ze, so dass ich, im­mer erst nach ei­ner gan­zen wei­le, sa­gen konn­te: schö­nes auto. neu­es oder un­ge­wohn­tes wirkt auf den ers­ten blick im­mer häss­lich. le­ben wir ein paar jah­re mit dem neu­en, ge­wöh­nen wir uns nicht nur dar­an, hat es die rich­ti­gen qua­li­tä­ten, schät­zen wir es am ende viel­leicht so­gar.

mit kunst ver­hält es sich mei­ner mei­nung nach ähn­lich. mein ver­hält­nis zur kunst ist seit frü­her kind­heit vom glei­chen me­cha­nis­mus ge­prägt: als mei­ne el­tern ei­nen fuss von joa­chim ban­dau an­schlepp­ten (etwa in der art des klei­nen fus­ses hier, et­was mi­ni­ma­lis­ti­scher und mat­ter) fand ich das als kind ma­xi­mal be­scheu­ert und geld-ver­schwen­de­risch. mitt­ler­wei­le lie­be ich die plas­tik über al­les und streich­le sie je­des­mal wenn ich zu­hau­se bei mei­nen el­tern bin. kunst ver­än­dert sich, oder ge­nau­er die re­zep­ti­on von kunst ver­än­dert sich, wenn man mit ihr zu­sam­men lebt. vie­le qua­li­tä­ten von kunst of­fen­ba­ren sich erst, wenn man ih­nen eine wei­le aus­ge­setzt ist. häss­li­ches ver­wan­delt sich oft in be­wun­derns­wer­tes, wun­der­schö­nes.

das soll jetzt nicht heis­sen, dass al­les häss­li­che mit der zeit und der ge­wöh­nung schön wird, oder dass das spree­drei­eck schön sei, son­dern es soll heis­sen, dass wir man­chen din­gen zeit ge­ben müs­sen. und: das wirk­lich häss­li­che lässt sich in ei­nen funk­tio­nie­ren­den (stadt) or­ga­nis­mus treff­lich in­te­grie­ren (und auch igno­rie­ren).


was ich sa­gen woll­te: der bau am spree­drei­eck ist aus­druck un­se­rer zeit. die ver­krüp­pel­ten pro­por­tio­nen sind aus­druck der un­fä­hi­gen ver­wal­tung, von kom­pro­mis­sen, mau­sche­lei­en, in­kom­pe­tenz, be­scheu­er­ten bau­vor­schrif­ten und grös­sen­wahn. viel­leicht ist der bau auch wirk­lich häss­lich. wenn man al­ler­dings be­denkt, dass sich, als der eif­fel­turm ge­baut wur­de, alle pa­ri­ser dar­in ei­nig wa­ren, dass er ab­grund­tief häss­lich sei, ist das was jo­han­na ador­ján über das spree­drei­eck schrob viel­leicht das gröss­te kom­pli­ment was man ei­nem ge­bäu­de ma­chen kann. schön häss­lich und eben ur­ban.

[p.s.: die urls von faz-ar­ti­keln sind wirk­lich häss­lich. kei­ner woll­te es so. trotz­dem se­hen die URLs so aus. wie konn­te das ge­sche­hen?]