das internet geht nicht mehr weg

felix schwenzel, , in wirres.net    

ich mag es gerne, wenn ben_ laut über das internet nachdenkt, zumal er ja, wie ix, ein guter internetkritiker werden wollte. aus seinem text vom 6. august scheint jedoch, finde ix, mehr pessimismus als kritik durch:

Das Netz ist Geld. Mehr Geld als sich das Fernsehen auch nur erträumen konnte. Denn wir selber sind das Netz. Und nichts ist mehr Wert als die Menschen. Google, Amazon, Facebook, Ebay, Microsoft und Twitter haben uns bereits eingekapselt und verdrahtet zu ziehen einen Strom von Geld aus uns heraus. Der Rest ist die Matrix: Ein Illusion von Freiheit und ein Traum von einer digitalen ‘Revolution’, weil es sich davon so schön träumt.

er formuliert eine interessante, leicht verdrehte, interpretation meines republica-2012-vortrags:

Ich glaube langsam aber sicher wird immer deutlicher, was da eigentlich passiert und Felix hatte das auf der Republika schon mal schön gesagt: Soylent Green is People: Das Produkt sind die Kunden, die Waren. Wir sind die Rohstoffe dieser neuen Konzerne. Ich muss dabei immer öfter an das Bild aus dem ersten Teil Matrix denken, wo man die riesigen Türme sieht, in denen die Menschen gehalten werden, um aus Strom zu machen.

so habe ich das freilich nicht gemeint und auch nicht übertitelt. mein vortragsthema lautete: „soylent green, äh, the internet is people!“ ich habe diese offensichtliche selbstverständlichkeit das im positiven sinne gemeint, weil sie nämlich keinesfalls selbstverständlich ist. so schrieb robert basic kürzlich:

Es gibt nur einen Weg: Das Internet von heute muss so schnell wie nur möglich verschrottet und auf der Müllhalde der Geschichte entsorgt werden. Wir sind weder HTML-Wesen noch in Dosen gepresste, geladene Elektronenfragmente, die auf einem simplen Bildschirm wieder zusammengesetzt werden. […]

Wir können uns nicht mit dieser archaischen “Verbrennungsmaschine namens Internet, die Feuer im Hohlraum erzeugt, um ein Metallgestänge in Bewegung zu versetzen” zufrieden geben. Wir dürfen es nicht als die Krone der menschlichen Erfindungsgabe betrachten. Es ist nur ein kleinster Anfang, der uns in 100 Jahren wie die Erfindung des Feuers mittels kohlenstoffhaltigen Rohstoffen (“Holz und Kohle”) lächerlich erscheinen wird.

Es muss durch eine Version ersetzt werden, die den Menschen in ungeahnter Komplettheit übertragen, vermitteln und verstehen lassen kann. Ohne elektronischen Verkürzungen und Modulationen, die wir populär Timeline, Blogposting und YouTube-Videos nennen.

Wenn wir das nicht tun, werden wir uns den Maschinen und ihren schrecklichen Vereinfachungen anpassen.

robert basic übersieht vor lauter HTML, technik, maschinen und internetfeuer, dass das internet eben nicht aus HTML, technik und maschinen besteht, sondern aus dem was menschen damit machen — und das geht über die technik dahinter weit hinaus. das was robert basic da in seiner rhabarbersprache sagt, ist als wenn man kunst und literatur ablehnen würde, weil wir menschen nunmal nicht keine marmor-, ölfarben- oder grammatik- und buchstaben-wesen seien. malerei, bildhauerei, sprache, tanz, mimik, gestik, bloggen, twittern, facebooken (und so weiter) sind (unvollkommene) werkzeuge, die wir benutzen um unsere persönlichkeit und menschlichkeut auszudrücken. aber wir sollten uns davor hüten uns und unser „wesen“ mit den werkzeugen die wir benutzen gleichzusetzen.

dazu kommt: welcher vernunftbegabte mensch betrachtet das internet als die „Krone der menschlichen Erfindungsgabe“? oder wem erscheint die nutzbarmachung des feuers durch die menschen als „lächerlich“? das gegenteil ist der fall, das feuer wird allgemein als der anfang der menschlichen zivilisation gesehen, das streiten noch nicht mal die kreationisten ab. und die letzte frage die ich mir nach der lektüre von basics auswurf stelle: wann und wo und wie kann man menschen in ihrer „ungeahnten Komplettheit“ erfahren, „vermitteln und verstehen“? als ich robert basic mal auf der republica getroffen habe, habe ich einige fragmente seiner persönlichkeit erfahren und er ein paar von mir, selbst meine besten freunde die ich regelmässig treffe, kenne ich nur fragmentarisch. meine frau und mich selbst kann ich nichtmal ansatzweise komplett erfassen — ich (und meine frau) überraschen mich immer wieder mit neuen persönlichkeitsaspekten und -eigenschaften.

menschen sind zu vielschichtig um sie komplett zu erfassen, egal auf welchem weg, egal mit welcher (kultur-) technik.

zugegeben, viel zeit mit jemandem in körperlicher nähe zu verbringen, erleichtert die erfassung der persönlichkeit ungemein. aber genau hier hilft auch das internet, als werkzeug: es hilft mir persönlichkeitsfragmente von fremden und weit entfernten menschen zu erfassen, etwas das ohne internet und schrift eher schwierig war.

aber zurück zum pessimismus von ben_. selbst wenn das internet, wie ben_ postuliert, bereits vom kommerz und der vergoldung von menschlichen aktivitäten beherrscht sein sollte („das Netz ist Geld“), heisst das noch lange nicht, dass freiheit, anarchie, subversivität oder hemmungslose kreativität im netz nicht mehr möglich seien. auch das umwälzungspotenzial und die kraft der disruption von althergebrachtem werden dadurch nicht gebrochen. auch das liegt, verkürzt gesagt, daran, dass das internet aus menschen besteht. der freiheitsdrang, die kreativität von menschen lässt sich zeitweilig vielleicht unterdrücken, aber nie auf dauer. das zeigen der arabische frühling, das aufbrechen des eisernen vorhangs und meinetwegen auch die französische und amerikanische revolution. und star trek.

stellen wir uns das internet als eine stadt oder viele städte vor. gerade in durchkommerzialisierten und -korrumpierten städten wie new york oder moskau bilden sich zwangsläufig nischen und gegenbewegungen — im schatten des kommerzes. zwangsläufig auch deshalb, weil jede aktion eine gegenreaktion auslöst, nicht nur in der physik, sondern vor allem in der menschlichen psyche. allein das revolutionäre potenzial von musik! wie der algerische rapper hamada ben amor sagte:

die musik, die stimme schlägt immer die waffen. das habe ich schon oft gesagt. selbst wenn die regierung über waffen und militär verfügt, die stimme und der wille siegen immer. die revolutionäre kann man töten, die revolution kaum.

soylent green mag es im sinne von ben_ wieder geben („Wir sind die Rohstoffe dieser neuen Konzerne.“), aber es ist ungefährlich, weil wir es wissen. weil wir vernetzt sind und das internet und unsere stimmen zur kommunikation nutzen können. deshalb ist es richtig und gut soylent green die durchkommerzialisierung und ausbeutung der menschen pointiert zu kritisieren, aber es gibt meiner ansicht nach keinen grund pessimistisch zu werden. mehr noch, das netz, gibt in all seiner unvollkommenheit eben nicht nur den geldstrotzenden giganten werkzeuge an die hand, sondern auch dir und mir. und mich zumindest stimmt das optimistisch.