geschenke an die architekten
während meines architekturstudiums haben wir oft architektonisch bemerkenswerte bauten besichtigt. wenn architekten ihre bauten aus der hand geben und die kontrolle an die nutzenden übergeben, sieht man bei diesen besichtigungen auch immer wieder wie sich die ideen und konzepte der architekten und die der nutzenden auseinanderentwickeln. ein klassiches beispiel ist ein schirmständer in eiche rustikal in einem puristischen, vollverglasten white cube vestibül. wir haben das damals immer „geschenke an die architekten“ genannt.
ich habe in meinem studium zwei strömungen bei der gestaltung wahrgenommen, die pragmatischen und die ambitionierten gestalter. tatsächlich hatte ich schon vor dem studium einen text über peter hübner gelesen, in dem beschrieben wurde wie er eine schule nicht für die schüler baute, sondern mit den schülern (und allen anderen beteiligten). das bedeutet, dass der entwurfsprozess viele umwege, vielleicht auch irrwege beinhaltet, aber eben auch das potenzial für entdeckungen.
der entwurfsprozess für die tramhaltestelle am hauptbahnhof dürfte etwas anders ausgesehen haben. bei den tragwerks-ingenieuren liest sich das so:
So kann sich das Dach stützenfrei zu den Gleisen öffnen. Die Traufkanten folgen der statischen Ideallinie und bilden einen eleganten Schwung. Der helle monolithische Sichtbeton des Daches schwebt über dem anthrazitfarbigen Boden aus Beton-Großformatplatten. Die einheitliche Gestaltung mit einem Material lässt die Haltestelle trotz der dynamischen Form schlicht wirken. Durch die eigene Formensprache entzieht sich der Entwurf der Konkurrenz mit der umliegenden Bebauung und behauptet sich selbstverständlich im städtebaulichen Umfeld.
wogegen sich der entwurf allerdings nicht behaupten kann, sind ergänzungen des entwurfs durch die nutzenden. ganz offensichtlich wurden statik und materialität im entwurf mehr beachtung geschenkt, als pragmatische überlegungen, zum beispiel zu stauraum.

ich vernute die holzverschläge dienen der unterbringung von reinigungsmaterialien. sie wurden auf beiden seiten „angebaut“

jony ive hat kürzlich in einem bemerkenswerten und sehenswerten interview gesagt, dass ein produkt für ihn hässlich sei, wenn es nicht funktioniere. ich würde nicht sagen dass die haltestelle am hauptbahnhof hässlich sei, aber man kann auch davon ausgehen, dass sie für die nutzenden, zumindest im moment, nicht funktioniert.
wenn man sich die fotos und konzepte auf der webseeite der architekten und tragwerks-ingenieuren anschaut, erkennt man mühlos ein anspruchsvolles und faszinierendes konzept, aber es sieht so aus, als sei das nicht genug.
das jony-ive-interview habe ich sehr gerne angesehen. als er auf die bühne kam, lief meine vorurteils-mschine an; ein satter, weisser, reicher alter sack der sich jetzt in seiner nach-apple-zeit ein bisschen feiern lassen will. aber schon nach wenigen sekunden wurde klar, jony ive ist überhaupt nicht satt, er ringt mit den worten, nicht weil es ihm schwerfällt zu reden, sondern weil er präzise und phrasenfrei formulieren will. man erkennt die leidenschaft, die in ihm brodelt wenn es um gestaltung geht und dass ihn das thema gestaltung nicht ruhen lässt, im wahrsten sinne des wortes auch nicht still sitzen lässt. deshalb guck-empfehlung für das ive-interview und leseempfehlung zu diesem interview mit peter hübner.