Zwei­fel (t3n 52)

felix schwenzel in t3n

Den Deut­schen wird oft (zu Recht) vor­ge­wor­fen, zö­ger­lich zu sein. Die Zö­ger­lich­keit bei der Ad­ap­ti­on neu­er Tech­no­lo­gien, Ri­si­ko­scheu, Re­gu­lie­rungs­wut oder bü­ro­kra­ti­sche Hür­den beim Grün­den se­hen vie­le Men­schen — auch die­ses Heft — eher kri­tisch. Dass die­se deut­sche Angst aber durch­aus ihre po­si­ti­ven Sei­ten hat, zeig­te zum Bei­spiel der zwei­te Golf­krieg. Deut­sche Po­li­ti­ker zeig­ten sich an­ge­sichts des ge­sell­schaft­li­chen Kli­mas zö­ger­lich, der Auf­for­de­rung Ge­or­ge W. Bushs nach­zu­kom­men, sich an die­ser krie­ge­ri­schen Aus­ein­an­der­set­zung zu be­tei­li­gen. Als Do­nald Rums­feld 2003 auf der Mün­che­ner Si­cher­heits­kon­fe­renz für den An­griff auf den Irak warb, ent­geg­ne­te ihm Josch­ka Fi­scher: „Ex­cu­se me, I am not con­vin­ced!“. Im Saal gab es kaum Ap­plaus für Fi­schers Zwei­fel. Aber die Aus­sa­ge spie­gel­te die ge­sell­schaft­li­che Stim­mung in Deutsch­land ziem­lich ex­akt wie­der.

Zö­ger­lich­keit, kri­ti­sche Di­stanz und Zwei­fel ha­ben ihre Be­rech­ti­gung und Sinn. Der Zwei­fel hat im 18ten Jahr­hun­dert die Auf­klä­rung in Gang ge­bracht, ein po­li­ti­sches Sys­tem ohne eine star­ke, an der Weis­heit der Re­gie­ren­den zwei­feln­de Op­po­si­ti­on neigt zum Au­to­ri­tä­ren, ein Rechts­sys­tem ohne Zwei­fel wäre dra­ko­nisch. Spä­tes­tens in die­sem Jahr ha­ben auch die eu­pho­rischs­ten In­ter­net- und Ver­net­zungs­a­po­lo­ge­ten (ich bin selbst ei­ner) ge­merkt, dass nicht al­les, was Un­ter­neh­mer mit neu­en di­gi­ta­len Werk­zeu­gen ma­chen und er­mög­li­chen auch au­to­ma­tisch der Welt­ver­bes­se­rung dient.

Zwei­feln ist kon­struk­tiv, so­lan­ge die Zwei­fel nicht angst­ba­si­ert sind und man den Zwei­fel, die Skep­sis, mit Neu­gier, Of­fen­heit und und Lust am Dis­kurs kom­bi­niert. Wenn wir an der Sinn­haf­tig­keit mi­li­tä­ri­scher In­ter­ven­tio­nen ei­nes un­se­rer mäch­tigs­ten Al­li­ier­ten und Han­dels­part­ners zwei­feln kön­nen und das vor­be­halt­lo­se Mit­ma­chen ver­wei­gern, war­um soll­ten wir nicht auch die di­gi­ta­len In­no­va­tio­nen und de­ren Sinn­haf­tig­keit ge­le­gent­lich in Fra­ge stel­len?

Vol­taire, ei­ner der her­aus­ra­gen­den Köp­fe der Auf­klä­rung, der den Zwei­fel laut Wi­ki­pe­dia „zu ei­ner Ma­xi­me sei­nes Den­kens“ mach­te, sag­te: „Zwei­fel ist zwar kein an­ge­neh­mer geis­ti­ger Zu­stand, aber Ge­wiss­heit ist ein lä­cher­li­cher.“

Die Ge­wiss­heit, mit der vie­le, auch ich, die Di­gi­ta­li­sie­rung mit po­si­ti­ven Fol­gen in Ver­bin­dung brach­ten, wirkt auf mich im Nach­hin­ein tat­säch­lich ein biss­chen lä­cher­lich. Ich habe vie­le Jah­re (mit Ge­wiss­heit) dar­an ge­glaubt, dass die Di­gi­ta­li­sie­rung, die Ver­net­zung und nied­rig­schwel­li­ge, leicht zu­gäng­li­che und gren­zen­lo­se Kom­mu­ni­ka­ti­on vor al­lem po­si­ti­ve ge­sell­schaft­li­che Aus­wir­kun­gen ha­ben wür­de. Die ver­gan­ge­nen Jah­re ha­ben aber ge­zeigt, dass auch Dem­ago­gen, au­to­ri­tä­re Re­gie­run­gen, Ge­heim­di­ens­te oder Un­ter­neh­men die Di­gi­ta­li­sie­rung zu ih­rem Vor­teil aus­nut­zen kön­nen und das auch hem­mungs­los tun.

Die dif­fu­se Ger­man Angst, die deut­sche Zö­ger­lich­keit kann man auch po­si­tiv be­trach­ten. Gut be­grün­de­te Zwei­fel, Vor­be­hal­te, eine ge­wis­se Lang­sam­keit, die ei­nem auch Zeit zum Nach- und Durch­den­ken gibt, ist nicht gleich­be­deu­tend mit Ver­wei­ge­rung.

Ich wün­sche mir (auch von mir selbst) künf­tig mehr ge­sun­den Zwei­fel in der Di­gi­tal­po­li­tik und der ver­netz­ten Welt. Die ne­ga­ti­ven Fol­gen der un­ge­zü­gel­ten Di­gi­ta­li­sie­rung, der un­re­gu­lier­ten (kom­mer­zi­el­len und po­li­ti­schen) Da­ten­sam­me­lei sind be­reits so of­fen­sicht­lich, dass selbst Mark Zu­cker­berg in­zwi­schen öf­fent­lich die Not­wen­dig­keit von Re­gu­lie­rung ein­räumt — wenn sie „ver­nünf­tig“ sei.

So wie die Po­li­tik lang­sam er­kennt, dass das In­ter­net, die Ver­net­zung der Welt, die Di­gi­ta­li­sie­rung nicht mehr weg­geht, mer­ken Un­ter­neh­mer wie Mark Zu­cker­berg, dass Re­gu­lie­rung, auch un­ter­neh­me­risch schmerz­haf­te Re­gu­lie­rung, un­aus­weich­lich in im­mer mehr Be­rei­chen an­set­zen wird und aus­aus­weich­lich ist.

Wir, die wir in die­ser di­gi­ta­li­sier­ten und ver­net­zen Welt le­ben wol­len (und müs­sen), soll­ten al­ler­dings nicht den Po­li­ti­kern und Un­ter­neh­mern das Aus­han­deln die­ser Re­gu­lie­run­gen al­lein über­las­sen. Nicht nur weil sich Po­li­ti­ker ger­ne eher von Wirt­schafts­in­ter­es­sen als vom Ge­mein­wohl len­ken las­sen oder sich ger­ne von Un­ter­neh­mern um den Fin­ger wi­ckeln las­sen. Vor al­lem, weil wir die kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit di­gi­ta­len Tech­no­lo­gien so­wohl kri­tisch, als auch kon­struk­tiv von in­nen her­aus füh­ren müs­sen. Eu­pho­rie, Neu­gier und Of­fen­heit las­sen sich durch­aus mit Zwei­fel kom­bi­nie­ren. Kom­bi­nie­ren wir den Zwei­fel mit Angst, oder ist Angst das ein­zi­ge Trieb­mit­tel des Zwei­fels, drif­tet der Zwei­fel in die Ver­wei­ge­rung. Schaf­fen wir es nicht die Eu­pho­rie ge­gen­über neu­en Tech­no­lo­gien mit Zwei­feln und kri­ti­schem Hin­ter­fra­gen zu kom­bi­nie­ren, lau­fen wir Ge­fahr uns lä­cher­lich zu ma­chen.