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felix schwenzel, , in notiert    

ich mag es, wenn ich zu bushaltestellen komme und kurz danach der bus anfährt. ich geniesse dann leise den klang der gaußschen normalverteilungsglocke.

vorletzte woche freitag dauerte es wieder mal nur 2 minuten. vor mir klettert eine ältere dame vorne in den bus. der busfahrer, mit ner silberkette über dem t-shirt, an der ein blauer kuli hängt, guckt den hipster auf dem schwerbehinderten-sitz böse an, der nimmt aber weder die alte dame noch den busfahrer wahr und tippt weiter auf seinem handy. die alte dame läuft sehr langsam durch den bus, bis zum hinteren ausstieg. sie ignoriert aufstehende menschen, die ihr ihren platz anbieten wollen und bleibt an der hinteren tür stehen.

das mädchen am ausgang bietet ihr ebenfalls ihren platz an, die dame besteht aber darauf stehen zu bleiben: „it’s only one stop.“

sie krallt sich an den stangen am ausgang fest, ihre krücken hat sie unter die arme geklemmt.

plötzlich steht der busfahrer im gang und fängt an zu schreien. warum den niemand der dame einen platz anbietete! er guckt das mädchen am aussteig an: „ja du da, steh mal auf und lass die dame sitzen!“

das mädchen ist verstört: „aber ich habe ihr doch meinen platz angeboten!“

die anderen fahrgäste nicken. leicht bedröppelt und leiser geht der fahrer zurück zu seinem platz, besinnt sich aber columbomässig und fängt an die oma freundlich anzuschreien: „sie können da nicht stehenbleiben!“

„hm? what?“

„das geht nicht! das ist nicht sicher! setzten sie sich da mal hin!°

ein anderes mädchen übersetzt. die dame insistiert: „but it's only one stop!“ der busfahrer insistiert auch, die dame gibt nach und lässt sich sehr langsam auf den sitz herab. der sitz wirkt viel zu tief. sobald die dame sitzt, fahren wir los.

als ob er jetzt die gefährlichkeit des busfahrens nochmal kurz illustrieren wolle, fährt der busfahrer wie ein berserker los. ich falle fast um. aber immerhin: niemand schreit mehr.

noch drei schnellen kurven, also ungefähr 20 sekunden fängt der fahrer wieder an zu schreien: „ja junge frau! entschuldigen sie!“ er schaut im rückspiegel das immer noch leicht verstörte mädchen an, das er eben anschrie. „das hatte ich nicht mitbekommen, wa! tut mir leid das ich da etwas grob war!“

ein fahrgast möchte auch was sagen: „meckern ja immer alle über die BVG. aber wenn dann mal was passiert, dann gucken se!“

der busfahrer stimmt ein: „ein omnibus ist keine strassenbahn!“

500 meter vor der nächsten haltestelle macht sich panik in den augen der alten dame breit: hält der fahrer jetzt auch wirklich? komme ich überhaupt wieder aus dem sitz? fährt der wieder los, bevor ich ausgestiegen bin?

ihre sorgen sind unbegründet: an der haltestelle zerren drei fahrgäste an ihr rum, um ihr aufzuhelfen, der busfahrer leistet persönlich, am hinteren ausgang, ausstiegshilfe. sobald die dame wieder sicher auf festem boden steht schaut er sie freundlich an und klopft ihr mehrfach auf die schulter.

danach war wieder alle so wie sonst in berliner bussen.