„was für ein scheiss“ dachte ich

felix schwenzel, , in wirres.net    

weisses opfer (laut henning lohse)
weisses opfer (laut henning lohse)

heute früh habe ich in der s-bahn auf spiegel-online diesen artikel gelesen. was für ein scheiss dachte ich und meinte damit sowohl das video der „Elektrorock-Gruppe Justice“, als auch den artikel von henning lohse. irgendwie dachte ich noch, das video musst du dir nochmal anschauen, ne eigene meinung bilden und so, und sah natürlich nicht, dass spiegel-online das video in den artikel eingebettet hatte — ich hab den artikel ja mit opera mobile gelesen. heute mittag las ich dann diesen bildblog-artikel, der mein dumpfes gefühl, dass der artikel stimmungsmachender, pseudo-objektiver scheiss ist, bestätigte. um die dramatik zu erhöhen und eine rassistische komponente reinzubringen machte henning lohse mal eben aus asiatisch- und teilweise sehr dunkelhäutig ausseheneden „opfern“ der gang im video „weisse“.

heute abend sah ich im bildblog ein update, in dem stand, das spiegel-online den artikel geändert hat und auf die korrektur hingewiesen hat. einerseit finde ich das gut und lobenswert, auf einen fehler derartig hin zu weisen, andererseits frage ich mich, wie soetwas passieren kann. irgendeiner muss den text doch, wie das angeblich im qualitätsjournalismus immer geschieht, gegengelesen und das video gesehen haben, bevor text und video online gingen. na gut schlamperei. passiert. aber ist das die einzige schlamperei?

immerhin — und ich weiss auch hier nicht, ob ich das gut oder bigott finden soll — ist das video direkt eingebunden, so dass man sich wenigsten eine eigen meinung bilden kann, indem man ich das angeblich so verabscheuungswürdige video selbst anschaut. und als ich das tat, empfand ich das video auch ganz anders als von henning lohse beschrieben. brutal? mag sein, aber da hab ich im kulturteil, auch von spiegel online, schon viel brutalere filme mit lob überschüttet gesehen. wenn tarantino-filme im spiegel rezensiert werden, wird zwar auch auf „gnadenlos zur Schau gestellte Gewalt“ hingewiesen, aber irgendwie auch, dass es tarantino nicht um die gewalt gehe, sondern das tarantino „in Wahrheit“ wissen wolle, „was junge Frauen reden, wenn sie unter sich sind“.

eine ernsthafte auseinandersetzung mit dem video von „justice“ bringt spiegel-online hier nicht, was spiegel online macht riecht nach rädchen in der grossen pr-maschine spielen, hysterisch rumgeifern um sich oberflächlich moralisch zu legitimieren um das video schön distanziert in den artikel einbinden zu können. unterm strich bleibt: spiegel-online promotet das video.

in dieser form riecht der artikel nach bigotterie und pseudo-journalismus. ehrlicher wäre es gewesen daraus einen einfachen bösen, klar subjektiven kommenatar zu machen, in dem henning lohse seine meinung klar erkennbar, subjektiv, ichig und von mir aus auch einseitig gefärbt abgegeben hätte. dieser pseudo-objektive schwachsinn ist voll achtziger, wenn nicht sogar fünfziger. immerhin fällt es jetzt leichter das niveau von spiegel-online und bild.de zu vergleichen: spiegel-online ist jetzt endgültig auf augenhöhe.

[nachtrag 16.05.2008]
nerdcore hat die übersetzung der spex einer pressemitteilung von justice. und im gegenteil zu rené bin ich durchaus der meinung, dass künstler sich nicht dazu berufen fühlen müssen „tiefgehend“ über soziale probleme zu reden. es mag ein bisschen ungeschickt formuliert sein, wenn justice sagen „wir haben weder die Absicht noch die Legitimität tiefgehend über soziale Probleme zu sprechen.“, aber ich höre da eher raus: „das ist nicht unsere sache. wir zeigen die probleme, wir erklären sie nicht, wir legen den finger in die wunde, können sie aber nicht heilen.“

die aufgabe von kunst kann meiner meinung auch nicht weitergehen als die dinge zu zeigen, darzustellen, subjektiv einzufärben, zu verzerren oder zu überzeichnen. oder anders ausgdrückt, der diskussionsbeitrag des künstlers ist das werk und nicht die interpretation oder gar die erklärung des werkes.

bei journalisten, bloggern oder leuten die ins internet schreiben ist das anders. die sehen sich berechtigt zu allem etwas vermeintlich tiefgehendes abzusondern. das ist nicht weiter schlimm, solange man journalisten und blogger nicht allzu ernst nimmt und sich vor allem zutraut kunst selbst zu bewerten und zu interpretieren. denn dafür gibt es kunst: angucken und auf sich wirken zu lassen. klugscheisser, die einem das abnehmen, sind dafür in der regel nicht nötig.

weisses opfer (laut henning lohse)
weisses opfer (laut henning lohse)