bundesparteitag der piratenpartei deutschland

felix schwenzel, , in wirres.net    

heute vormittag war ich für ein paar stunden auf dem bundesparteitag der piratenpartei deutschland (#bpt09) und bin danach mit einem grossen teil der delegierten zum mittagessen zu mcdonalds gegangen.

der veranstaltungsort, das bürgerhaus wilhelmsburg, liegt malerisch mitten im hamburger hafen in wilhelmsburg, beinahe wie eine burg von einem wassergraben mit seerosen umgeben. direkt am eingang zum saal empfing mich eine freundliche pressefrau, die mir umstandslos eine presseakkreditierung zum umhängen aushändigte und mir viel spass wünschte. das war beinahe so einfach wie beim parteitag der CSU 2005 in nürnberg (dort musste ich noch meinen personalausweis vorzeigen).

der saal war propevoll mit auffällig vielen pferdeschwanz- und irokesenträgern und schwarze klamotten-trägern. es roch ein bisschen nach red bull. viele der anwesenden wirkten sehr jung, einige ältere waren auch anwesend, auf den laptops lief überdurschnittlich viel linux, eine dame vor mir bootete ihr ubuntu alle 10 minuten neu. wenige der anwesenden hatten idealgewicht, einer trug einen schlips und freute sich unablässig, ein paar trugen eine piratenflagge als cape. es liefen eine menge journalisten rum, die man entweder an den fernsehkameras, notizblöcken oder lehrer-outfits erkannte.

vorne auf der bühne sass der vorstand und am rednerpult las jemand die tagesordung aus einem wiki vor. ein haarknäul auf der bühne schien protokoll zu führen. hin und wieder wurde über tagesordnungspunkte abgestimmt, hin und wieder brandete applaus auf, regelmässig gab es wortmeldungen an den im saal aufgestellten mikrofonen. alles ging sehr gesittet und ordentlich von statten, über jede kleinigkeit wurde abgestimmt und diskutiert, sogar über den offiziellen hashtag des #bpt09 wurde kurz diskutiert.

genau so stelle ich mir die jahreshauptversammlung des zentralverbands deutscher kaninchenzüchter vor. ordentlich, diszipliniert und zum umfallen langweilig.

bundesparteitag der piratenpartei deutschland im bürgerhaus wilhelmsburg

wie viele twitterer, mach ich es mir aber auch einfach, wenn ich sage: „langweilig!“. denn an und für sich ist das was man dort im bürgerzentrum wilhelmsburg sehen konnte alles andere als langweilig: es bildet sich eine partei, die dem grossen unbehagen das sich bei vielen „onlinecommunitybenutzern“ breitmacht, eine stimme und hoffnung auf besserung verleiht. und dass ein solches vorhaben, eine ordentliche politische willensbildung nicht von oben herab verordnen lässt kann oder sich an einem charismatischem heilsverkünder kristalisieren kann ist auch klar. markus merz drückt das in weniger worten als ich aus:

Demokratie ist schon ein mühsames Geschäft so ganz ohne Diktator :) #bpt09

man könnte jetzt seitenlang rumnörgeln und altklug die angeblichen fehler der piraten ausleuchten, sich darüber lustig machen, wie wenig straff der parteitag organisiert ist, wie unproffesionell es wirkt, wenn deligierte von hinten im saal am mikro einfach mitglieder des bundesvorstands kritisieren und zur rechtfertigung zwingen und sich einfach jeder zu allem zu wort melden darf. aber eines ist sicher, es wirkt nicht so abgeklärt und politisch abgefuckt(*) wie in anderen parteien oder echten kaninchenzüchtervereinen. gstolt:

alle die hier einfach nörgeln. wir sind noch jung und die meisten sind nicht erfahren in politischer arbeit. #bpt09

mir ist diese übermotivierte naivität jedenfalls zweitausendmal lieber als die abgeklärtheit und arroganz mit der das politische establishment der piratenpartei zur zeit begegnet.

natürlich steht im parteiprogramm oder den entwürfen dazu viel dummes zeug. nur was wäre das, wenn eine partei aus dem stand ein konsensfähiges, glattgeschliffenes, es allen rechtmachendes und unglaublich professionelles parteipragramm, inklusive zwei drei herausragenden klugen, bedachten politischen köpfen präsentieren könnte? da wäre was faul dran.

es ist wie beim menschen. der wird unschuldig aber ein bisschen nervig und anstrengend geboren, fängt dann irgendwann an sich wie ein flegel zu benehmen und alles althergebrachte abzulehnen, bevor er durch selbstgemachte erfahrungen langsam zu etwas vernünftigem und im alltag zu gebrauchendem wird. bis dahin hat er ein paar mal kräftig auf die fresse bekommen, das leben, die realität, der alltag hat ecken und kanten abgeschliffen.

natürlich wird sich die rechte kampfpresse (und wahrscheinlich auch die linke) weiter die finger wund schreiben und versuchen die partei mit halbwahrheiten, suggestion und einseitiger berichterstattung zu diskreditieren. die vorboten dafür kann man bei joachim huber im tagesspiegel, susanne gascke und bernd ulrich in der zeit oder thomas steinfeld in des SZ bereits erkennen. man hört es fast, wie man sich in den redaktionsstuben der republik die hände reibt und darauf freut, die künftigen politischen fehler und tapsigkeiten der piraten auszuschlachten. man wird immer wieder lesen, dass man die piraten nicht ernstnehmen kann, dass sie kulturfeinde sind, das sie gefährlich sind und das sie einen politker in ihren reihen haben, gegen den wegen des verdachts auf den besitz von kinderpornographischen material ermittelt wird. witzigerweise wird man das auch oft von mitgliedern eines sehr viel grösseren vereins hören, in dem hunderte, wenn nicht sogar tausende, teilweise leitende mitglieder unter dem verdacht des kindesmissbrauchs stehen und auch dafür verurteilt wurden. trotzdem wird keiner der jörg-tauss-kritiker deshalb aus der katholischen kirche austreten.

ich will weder das problem kindesmissbrauch allgemein oder den verdacht gegen jörg tauss speziell bagatellisieren, erwarte aber eine rege und bigotte instrumentalisierung des kinderschutzes im aufbrandenden politischen kampf gegen die piratenpartei. gleichzeitig denke ich, dass das der partei gut tun wird und sie daran reifen wird. und mitglied in der piratenpartei zu sein (bin ix übrigens nicht), heisst ja auch nicht, keine kritik an ihr üben zu können oder zu sollen. der von mir überaus geschätzte bov bjerg ist kürzlich in die piratenpartei eingetreten („Parteine sind doof.“, „Die Piratenpartei ist doof.“, „Und trotzdem.“) und pflückt bereits jetzt mehr oder weniger genüsslich deren programm und zitate der vorstände auseinander. ein kommentator bei bov bjerg mutmasst bereits, dass bov bjerg am „Ende […] noch der Jörg Tauss der Piratenpartei“ wird.

überhaupt parteiprogramme, wozu sonst als zur erstellung des wahlomaten sind die überhaupt gut? sie bieten eine orientierung und hilfe um das geringste übel zu wählen. an die exakte umsetzung eines wahlprogramms glaubt ja noch nicht mal lieschen müller. journalisten lesen wahlprogramme eh nicht, blogger auch nicht. ich habs mal versucht und bin nach zwei sätzen eingeschlafen.

zumal es meiner meinung nach auch extrem naiv ist, zu hoffen, dass nach dem parteitag all die schwierigen fragen zum urheberrecht, den bürgerrechten, dem datenschutz und der zukunft abschliessend und befriedigend beantwortet wären. die diskussion darüber geht doch gerade erst los. jetzt kommt es darauf an eine breite gesellschaftliche diskussion zu diesen fragen auszulösen, lawrence lessigs thesen und ideen aufzugreifen, zu prüfen oder zu verwerfen, lösungen und kompromisse auszuloten.

ich bin da gerne mit dabei, allerdings derzeit nicht als mitglied der piratenpartei. und den spruch „klarmachen zum ändern“ finde ich gar nicht mal so doof.

auch über den parteitag:

(*): apropos politische abgeklärtheit. wer einmal auf einem parteitag einer etablierten partei war, weiss wie nervig politische korrektheit in der freien rede sein kann. bei der SPD wird in jeden absatz mindestens ein „liebe genossinnen und genossen“ eingeflochten, was bei grosser aufregung auch oft als „liebe genossen und genossen“ ausgesprochen wird. in der CDU sind es „die lieben freunde und freundinnen“, „wähler und wählerinnen“. bei der piratenpartei hab ich das heute kein einziges mal gehört, wodurch ich mich zu einen blöden gag hinreissen liess: nämlich, dass bei den piraten niemand die politisch korrekte, aber blödsinnige grussformel „liebe piraten und piratinnen“ in seine reden einbaut, weil eh keine frauen anwesend sind.

leider hat mir jörg tauss laut protokoll des bpt09 einen strich durch meinen (ohnehin überflüssigen) gag gemacht: er hat es wirklich gesagt!

[nachtrag 05.07.2009] hier ist ein video vom livestream von tauss rede zu sehen [via]. als tauss von den „lieben piraten und piratinnen“ spricht verhaspelt er sich ganz ordentlich und gibt zu, dass er fast „genossinnen und genossen“ gesagt hätte. ein zwischenrufer wendet ein: „piraten ist geschlechtsneutral.“