das ist so­zi­al­de­mo­kra­tisch?

felix schwenzel

>

ma­thi­as ri­chel hat mich ge­be­ten eine „blatt­kri­tik“ zu sei­nem pro­jekt das-ist-so­zi­al­de­mo­kra­tisch.de zu schrei­ben. ich schät­ze mat­thi­as ri­chel. nicht nur weil er mich mal kurz­zei­tig so gut fand, dass er mir ei­nen job ver­schaff­te (bei watch­ber­lin.de), son­dern weil ich weiss, das er eine furcht­bar ehr­li­che und auf­rich­ti­ge haut ist und sich für das was er für rich­tig hält ein­setzt. zu­min­dest pri­vat.

und ma­thi­as kann or­dent­lich trom­meln. leu­te die ihm auf twit­ter, face­book, per RSS oder sonst­wo fol­gen oder abon­niert ha­ben, konn­ten der er­wäh­nung sei­nes pro­jekts das-ist-so­zi­al­de­mo­kra­tisch.de nicht ent­ge­hen. lei­der in­ter­es­siert mich so­zi­al­de­mo­kra­tie oder so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche wer­bung nicht all­zu­sehr, aus­ser es gibt schnitt­chen, bier oder was un­ter­halt­sa­mes drü­ber zu schrei­ben. des­halb hat­te ich bis­her da­von ab­ge­se­hen, mir die sei­te nä­her an­zu­se­hen.

was ich mei­ne mit auf­rich­ti­ger haut und en­ga­ge­ment für din­ge die er für rich­tig hält, sieht man in die­sem vi­deo-in­ter­view. in dem in­ter­view er­klärt ma­thi­as die ein­fa­che idee der platt­form, war­um er es macht und dass er glaubt, eine platt­form ins netz zu stel­len auf der leu­te ihre mei­nung äus­sern kön­nen, füh­re zu par­ti­zi­pa­ti­on oder bes­ser noch zu im­pul­sen, die die par­tei vor­an­brin­gen kön­nen.

ich glau­be ma­thi­as ri­chel al­les was er sagt. ich glau­be, dass er glaubt auf die­se wei­se für im­pul­se zu sor­gen. aber ich glau­be nicht, dass das so funk­tio­niert. schlim­mer noch, ich sehe nir­gend­wo, dass das funk­tio­niert. die kom­men­ta­re die ich beim über­flie­gen der site sah, zeich­nen sich vor al­lem durch kunst­voll zi­se­lier­ten pla­ti­tü­den, wort­hül­sen und tra­di­ti­ons­be­schwö­rung aus. im­pul­se oder an­re­gen­de bei­trä­ge habe ich kei­ne ge­se­hen. die am bes­ten be­wer­te­ten bei­trä­ge bei­trä­ge die dann auf den the­men­sei­ten ste­hen oder am bes­ten be­wer­tet sind hö­ren sich dann in etwa so an:

ganz schlimm auch die re­dak­tio­nel­len bei­trä­ge im zu­ge­hö­ri­gen blog. dort darf „Franz Wal­ter über [den] Zu­stand und [die] Ent­wick­lung der fast 150-jäh­ri­gen So­zi­al­de­mo­kra­tie“ re­fe­rie­ren. kom­plett un­les­ba­res ge­sei­er.

je län­ger ich auf der sei­te lese, des­to frus­trier­ter wer­de ich. be­sin­nung auf tra­di­ti­on. wort­hül­sen­sät­ze wie „Die SPD muss wie­der so­zia­lis­ti­sche und so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Grund­sät­ze ver­tre­ten und die Ar­bei­ter­klas­se stär­ken.“ oder „Gute Tra­di­ti­on in Ehre hal­ten.

wo bleibt die em­pö­rung? wo bleibt die hal­tung? oder an­ders­rum ge­fragt, ist be­sin­nung auf tra­ti­on und brauch­tum eine hal­tung?

die in­ten­ti­on vom ma­thi­as ri­chel ist ehr­bar, aber das er­geb­nis ist ähn­lich welt­be­we­gend und mit ei­nem ähn­li­chen ver­än­de­rungs­po­ten­zi­al ver­se­hen, wie der bild le­ser­bei­rat.

mir kommt die gan­ze sa­che ein biss­chen so vor wie eine ak­ti­on von dampf­lo­ko­mo­tiv-freun­den, die eine platt­form ins netz stel­len um her­aus­zu­fin­den, wie man dampf­lo­ko­mo­ti­ven rauch­frei ge­stal­ten könn­te: eure bes­ten ideen zur rauch­ver­mei­dung wer­den wir im dampf­lo­ko­mo­tiv-prä­si­di­um dis­ku­tie­ren!

wie ge­sagt. die in­ten­ti­on ist no­bel. mit­glie­der, nicht-mit­glie­der und sym­pa­tis­an­ten um ihre mei­nung fra­gen und ver­su­chen das in den mei­nungs­bil­dungs­pro­zess ein­zu­bau­en zeigt gu­ten wil­len. das pro­blem ist: es gibt kaum noch SPD-sym­pa­thi­san­ten und die SPD ist so ein irre un­sym­pa­ti­scher ver­ein, für den nor­ma­le men­schen nicht­mal bei frei­zeit­über­schuss en­er­gie in­ves­tie­ren wür­den. wenn die SPD er­fol­ge bei wah­len fei­ert, dann nicht als SPD son­dern dank des image der je­wei­li­gen kan­di­da­ten. wo­we­reit wirds in ber­lin reis­sen, nicht die SPD. in meck­len­burg-vor­pom­mern hats nicht die SPD ge­siegt, son­dern er­win sel­le­ring. der letz­te SPD-kanz­ler hat die wahl nicht we­gen sei­nes par­tei­buchs ge­won­nen, son­dern trotz sei­nes par­tei­buchs.

ich glau­be po­li­tik ist der en­ter­tain­ment-in­dus­trie gar nicht mal so un­ähn­lich. man kann das pu­bli­kum nicht bit­ten wit­ze ein­zu­rei­chen und die dann die pu­bli­kums­wit­ze auf der büh­ne vor­tra­gen. die wit­ze muss man schon selbst mit­brin­gen. und da­mit je­mand lacht, muss man auch ein biss­chen kön­ner­schaft mit­brin­gen und ei­gen­sinn.

und wem auf der büh­ne ehr­lich­keit, auf­rich­tig­keit oder eine hal­tung fehlt, der wird halt raus­ge­buht. ich weiss, es ist ver­ge­be­ne lie­bes­müh, aber ich wün­sche mir eine SPD in der auf­rich­ti­ge und nicht kar­rie­re­gei­le men­schen an der spit­ze ste­hen. auf­richt­ge men­schen mit ei­ner hal­tung, mit über­zeu­gun­gen für die sie ein­ste­hen und strei­ten. men­schen mit sach­ver­stand und an­stand.

un­an­stän­dig und un­ver­gess­lich fand fand ich bei­spiels­wei­se die ab­ge­fuck­te hal­tung von 26 so­zi­al­de­mo­kra­ten, un­ter an­de­rem an­drea nah­les, die mein­ten der vor­rats­da­ten­spei­che­rung im bun­des­tag „mit bauch­schmer­zen“ zu­stim­men zu müs­sen, weil das ver­fas­sungs­ge­richt das eh wie­der zum gros­sen teil kas­sie­ren wür­de. sol­che wäh­ler­ver­ar­schen­den ak­tio­nen sind so­zi­al­de­mo­kra­tisch (und christ­de­mo­kra­tisch und li­be­ral und auch grün) und ge­nau der grund, war­um es mir scheiss­egal ist, was die so­zi­al­de­mo­kra­ten in ihre pro­gram­me schrei­ben. wenns hart auf hart kommt, wird wie­der aufs par­tei­pro­gramm ge­schis­sen und macht­er­hal­ten­de frak­ti­ons­dis­zi­plin und in rei­he ste­hen ge­übt.

mir will nicht ein­fal­len was so­zi­al­de­mo­kra­tisch ist, wohl aber, was so­zi­al­de­mo­kra­tisch war. sol­che re­gie­run­sg­er­klä­run­gen zum bei­spiel, an­stand, ge­rech­tig­keits­sinn, be­schei­den­heit, trans­pa­renz, un­ei­tel­keit. und darf ich mir auch was wün­schen? hu­mor, selbt­kri­tik, mensch­lich­keit (ja ich gu­cke sie an, frank-walt­her stein­mei­er).

tech­nisch ist die sei­te üb­ri­gens auch nicht op­ti­mal. ich mag zwar die tat­sa­che, dass ma­thi­as ri­chel und den­nis mor­hardt die sei­te auf wa­ord­press-ba­sis zu­sam­men­ge­schraubt ha­ben und auf flash-ge­döns ver­zich­tet ha­ben, aber dass ein­zel­ne kom­men­ta­re kei­ne er­kenn­ba­ren per­ma­links ha­ben (die gibts, aber lei­der nur ver­steckt), das vie­le nutz­er­bil­der nicht auf an­hieb an­ge­zeigt wer­den und dass die be­nut­zer­füh­rung sehr ge­wöh­nungs­be­dürf­tig ist, trübt das ver­gnü­gen. im­mer­hin: die sei­te sieht gut­ge­macht aus, hüb­sche icons und gut les­ba­re schrift.