kabarettistischer jahresrückblick 2015

felix schwenzel, , in gesehen    

foto: david baltzer, agentur zenit

seit 1997 treten bov bjerg, horst evers, manfred maurenbrecher, christoph jungmann und hannes heesch wochenlang auf, um 2 stunden vor publikum auf das vergangene jahr zurückzublicken. seit sechs oder sieben jahren schauen wir uns das im januar an. normalerweise, bzw. das jahr über, habe ich wenig interesse an kabarett oder veranstaltungen auf denen menschen singen und tanzen, aber diese veranstaltung schaue ich mir jedes jahr aufs neue gerne an. auch weil der ablauf jedes jahr gleich ist:

christoph jungmann und hannes heesch plaudern als angela merkel und franz münteferig, peer steinbrück oder (dieses jahr) als wolfgang schäuble ein bisschen über das vergangene jahr, dann gibt es einzelauftritte von bov bjerg und horst evers in denen sie meistens relativ witzige texte vortragen, ein oder zwei einzelauftritte von manfred maurenbrecher, in denen er meistens relativ emotionale texte am klavier vorträgt, mindestens einen auftritt von hannes heesch in dem er einen politiker parodiert und relativ witzig aufs jahr zurückblicken lässt und ein, zwei oder gar drei gemeinsame auftritte, in denen gesungen wird.

würde man mich unter aufzählung dieser veranstaltungsvektoren fragen, ob ich mir eine solche veranstaltung ansehen wollte, würde ich spontan immer eindeutig nein sagen. weil bov bjerg uns aber jedes jahr unverdrossen und freundlich zu dieser veranstaltung einlädt, gehe ich jedes jahr aufs neue mit der beifahrerin hin, ein paar jahre lang sogar in hamburg. ich habe es nie bereut und war jedes mal hoch amüsiert und bestens unterhalten — etwas das ich mir in der theorie nie vorstellen häte können.

angenehm ist neben den reizenden (und lustigen) darstellern, vor allem die berechenbarkeit des formats. maurenbrecher erzählt jedes jahr (am klavier) ein weiteres kapitel seiner geschichte, bov bjerg trägt jedes jahr eine gut gedrechselte, angenhem distanzierte und nie zu konkrete tirade vor, die auch in seinem blog stehen könnte und horst evers plaudert, genauso witzig wie in seinen büchern, über seinen alltag und wie er die welt sieht. dabei tut er immer ein bisschen naiv, nicht nur weil es seine masche ist, sondern weil es so doppelbödig witzig und subtil hinterfotzig wirkt. dieses jahr hat er angenehm absurd abstrahierend über den berliner flughafen geplaudert und, dass er das publikum, trotz der abgenudeltheit des themas, zu lachtiraden inspirierte, ist ein kleines kunststück.

bovs auftritt als yanis varoufakis war ebenso grandios, vor allem wegen seines phantasiegriechisch und seiner perfekten varoufakisfrisur. die ersten paar sekunden war ich beeindruck von der perfekten maske — ich brauchte ein paar minuten um zu merken, dass bov die haare jetzt auch sonst so trägt.

manfred maurenbrecher wich dieses jahr ein bisschen von seiner routine ab und erzählte seine geschichte (quasi) im duett mit helmut schmidt. ich mag maurenbrechers lieder sehr gerne, obwohl (auch) das in der theorie eher unwahrscheinlich ist. aber jedes jahr berührt mich maurenbrecher erneut auf irgendeiner ungeschützten emotionalen ebene — dieses jahr waren mir seine lieder aber, glaube ich, zu konkret, um mich emotional zu berühren. nächstes jahr dann wieder.

wie jedes jahr, war ich von der wandlungsfähigkeit von hannes heesch beeindruckt, der dieses jahr, glaube ich, gleich zwei neue, perfekte parodien spielte. ich kann mich bisher jedenfalls nicht an ihn als schäuble oder seehofer erinnern, die er beide auf den punkt imitierte, bzw. auf ihre kernmerkmale runterkochte. christoph jungmanns darstellung von angela merkel ist übrigens jedes jahr erneut tief beeindruckend, vor allem weil er nichts, wirklich nichts tut um sie zu imitieren. er ist wahrscheinlich nur er selbst, mit einer perücke und einem bunten kostüm. das meiste was er dann als angela merkel sagt, wirkt improvisiert und vor allem, als ob ihm das allergrösstes vergnügen bereiten würde. wie die echte merkel, ist er in dieser rolle ungreifbar, über den dingen schwebend. eine eigenschaft die offenbar optimal zur moderation oder kanzlerschaft qualifiziert.

horst evers als xavier naidoo beim kabarettistischen jahresrückblick

horst evers als xavier naidoo beim jahresrückblick.

apropos improvisation. in der pause konnte das publikum wunschthemen für ein lied einreichen, was dazu führte, dass es zu einer uraufführung eines lieds über WLAN in der bahn kam, in dem auch die einkommenssituation von psychoanalytikern thematisiert wurde. auch das hört sich in der theorie alles andere als unterhaltsam an, war in der praxis aber grandios.

ich glaube so kann man den kabarettistischen jahresrückblick auch gut zusammenfassen: in der theorie eher unwahrscheinlich, in der praxis aber höchst unterhaltsam und angenehm. nächstes jahr gerne wieder.

(titelfoto von david baltzer, agentur zenit, rückblicke noch bis zum 17. januar in der komödie am kurfürstendamm)