wer­bung ver­ach­ten

felix schwenzel in artikel

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Ich kann Wer­bung nicht lei­den, ob­wohl ich für die­se Ko­lum­ne (zum über­wie­gen­den Teil) mit Wer­be­geld be­zahlt wer­de. Ich ver­ab­scheue Wer­bung nicht nur, weil sie sich rü­pel­haft ver­hält und stän­dig mei­nen Ge­dan­ken- und Le­se­fluss im Netz und der Welt stört, ich ver­ach­te Wer­bung vor al­lem des­halb, weil sie sich rück­sichts­los in je­den Le­bens­be­reich schiebt.

Wer­bung dringt in jede Rit­ze, jede Pore un­se­res Le­bens. Sie über­zieht al­les mit ei­nem fie­sen, grel­len Schleim aus Halb­wahr­hei­ten, Ste­reo­ty­pen und Hab­sucht. Wer­bung ist Spam, der sich hübsch ge­macht hat. Spam, der von tau­sen­den, teils bril­lan­ten, Köp­fen krea­tiv hübsch und auf Freund­lich­keit ge­trimmt wird und manch­mal so­gar un­ter­halt­sam, iro­nisch oder di­stan­ziert da­her­kommt. Aber im Kern un­ter­schei­den sich Spam und Wer­bung nicht, bei­de schies­sen aus vol­len Roh­ren auf al­les was sich be­wegt, in der Hoff­nung, dass alle paar tau­send Schuss ein Tref­fer ge­lingt.

Die Be­woh­ner des In­ter­nets ha­ben von die­sem Dau­er­feu­er mitt­ler­wei­le ge­nug und weh­ren sich mit Wer­be­blo­ckern, eben­so die Be­woh­ner von São Pau­lo und Gre­no­ble. In bei­den Städ­ten wur­de Stras­sen­wer­bung ein­fach kom­plett ver­bo­ten.

Es wun­dert mich al­ler­dings, dass Jour­na­lis­ten und an­de­re Pu­bli­zie­ren­de, sich teils ve­he­ment für Wer­bung ein­set­zen und sie ver­tei­di­gen. So ver­an­stal­tet stern.de zur Zeit eine Kam­pa­gne, in der Stern-Au­toren und der Chef­re­dak­teur von stern.de da­für plä­die­ren Wer­be­blo­cker ab­zu­schal­ten. Vor ein paar Jah­ren ver­harm­los­te der da­ma­li­ge spie­gel.de-Au­tor Frank Pa­ta­log On­line­wer­bung als „ein we­nig Bling-Bling“, das Le­ser zu er­tra­gen hät­ten, wenn sie in den Ge­nuss von „kos­ten­lo­sen In­hal­ten“ kom­men woll­ten. Im Kern mag das so­gar stim­men, aber war­um müs­sen aus­ge­rech­net Jour­na­lis­ten, die sich in ih­rem Selbst­ver­ständ­nis der Wahr­haf­tig­keit, der dif­fe­ren­zier­ten, fai­ren und auf­klä­ren­den Be­richt­erstat­tung ver­pflich­tet füh­len, sich für et­was stark ma­chen, dass dar­auf aus­ge­legt ist, zu ma­ni­pu­lie­ren und zu täu­schen? Soll­te Jour­na­lis­ten et­was, das von ih­ren Tex­ten ab­lenkt, das die Le­ser beim Le­sen stört und ma­ni­pu­liert, nicht viel eher grund­sätz­lich ab­leh­nen?

Näh­men Jour­na­lis­ten den Pres­se­ko­dex und das Ge­bot zur Tren­nung von Re­dak­ti­on und Wer­bung ernst, blie­be ih­nen, gar kei­ne an­de­re Wahl, als Wer­bung zu ver­ach­ten oder min­des­tens zu ver­su­chen, ma­xi­ma­le Di­stanz zu wah­ren.

Feh­len­de Di­stanz zu Wer­bung un­ter­gräbt Ver­trau­en und Au­then­ti­zi­tät. Je­der Be­reich in dem sich Wer­bung über­mäs­sig stark aus­brei­tet, kämpft mit die­sem Phä­no­men. Ma­che Blogs sind dank ei­nes Über­mas­ses teils un­ge­kenn­zeich­ne­ter Wer­bung, je­der Men­ge Ge­winn­spie­len oder ge­spon­ser­ten Ar­ti­keln, kaum noch von den Wer­be­heft­chen zu un­ter­schei­den, die uns die Post in die Brief­käs­ten stopft. Man­che You­tuber sind dank Pro­duct-Pla­ce­ment und Wer­be­ver­trä­gen mitt­ler­wei­le so au­then­tisch wie der Bau­spar­fuchs von Schwä­bisch Hall. Auf In­sta­gram sind sich so­ge­nann­te In­fluen­cer nicht zu scha­de, ihre in­di­vi­du­el­le Äs­the­tik und Bild­spra­che für ein paar Euro der aus­ge­lutsch­ten shi­ny-hap­py-peo­p­le-Wer­be­äs­the­tik an­zu­pas­sen. Auf In­sta­gram über­sprin­ge ich stän­dig Bil­der die so glatt und über­stylt sind, dass sie ei­gent­lich nur (ver­steck­te) Wer­bung sein kön­nen — und meis­ten auch sind.

Der You­tuber Fynn Kli­e­mann, der sich wei­gert sei­nen You­tube-Ka­nal zu mo­ne­ta­ri­sie­ren, Pro­duct Pla­ce­ment zu be­trei­ben oder Wer­be­deals ab­zu­schlies­sen, er­klär­te sei­ne Ab­nei­gung Wer­bung zu ma­chen wie folgt: „Ich bin jetzt über­haupt nicht grund­sätz­lich ge­gen al­les oder ge­gen das Sys­tem. […] Ich habe ein­fach nur kein Bock auf Sa­chen, die von mir ver­langt wer­den und ich ste­he nicht da­hin­ter. Und das ist der In­be­griff von Wer­bung.“

Wer­bung mag krea­tiv sein, sie kann so­gar wit­zig und iro­nisch sein — aber sie ist nie­mals au­then­tisch. Des­halb muss man sie nicht zwangs­läu­fig ab­leh­nen, aber ich fin­de, dass wir, Pu­bli­zie­ren­de und Kon­su­men­ten, Wer­bung un­be­dingt als das se­hen und be­han­deln soll­ten, was sie ist: ma­ni­pu­la­tiv, pa­ra­si­tär und in der Re­gel un­er­wünscht. Wer­bung zu ver­ach­ten ist der ers­te Schritt zur Pa­ri­tät. Sie ver­ach­tet uns schliess­lich auch.


ich habe noch ei­nen nach­trag zur fra­ge der an­ge­mes­sen­heit des wor­tes „ver­ach­tung“ und mei­ner wi­der­sprüch­li­chen hal­tung zu wer­bung ge­schrie­ben.


sehr schön, auch zum the­ma, kon­stan­tin weiss vor 6 jah­ren: „das mär­chen­land der ob­jek­te