Learn, teach, re­peat

felix schwenzel in artikel

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Für mich sind Bil­dung, Wis­sen und Ler­nen wie Berg­bau. Man kann tief oder ober­fläch­lich gra­ben, man kann im­mer wei­ter gra­ben, es gibt här­te­re Schich­ten und Schich­ten durch die man leicht kommt — aber es gibt kaum Gren­zen. Von der Ober­flä­che er­schliesst sich der Sinn des Berg­baus nicht ohne Wei­te­res. Sich zu über­win­den, über­haupt mit dem Berg­bau zu be­gin­nen, ist be­reits eine der gros­sen Hür­den. Man muss jah­re­lang den Um­gang mit Berg­bau­ma­schi­nen ler­nen und schein­bar un­sin­ni­ge Sa­chen ein­üben, um die obe­ren Schich­ten des Berg­baus be­tre­ten zu kön­nen.

So sehr die­ser Ver­gleich auch hinkt, er be­schreibt re­la­tiv gut mein Ver­hält­nis zur Bil­dung. Ich be­griff die Schu­le in mei­ner Ju­gend nicht als Grund­aus­bil­dung, die mir Kom­pe­tenz und Hand­werks­zeug für die Na­vi­ga­ti­on der Welt bei­brin­gen soll­te, son­dern als un­sin­ni­ge Pflicht. Bis ich ver­stand, dass Ler­nen, Le­sen und Schrei­ben nicht nur müh­sam sind, son­dern mir nie ge­se­he­ne Wel­ten und Ga­la­xien er­schlies­sen kön­nen, muss­te ich drei­mal sit­zen­blei­ben und von un­zäh­li­gen Leu­ten an die Hand ge­nom­men wer­den und zur Schu­le und zum Ler­nen ge­zerrt wer­den.

Das Pro­blem mit Bil­dung ist gar nicht mal so sehr die Bil­dung an sich, son­dern über­haupt In­ter­es­se an ihr zu ent­wi­ckeln. Was mir half Bil­dungs­hun­ger zu ent­wi­ckeln, wa­ren Vor­bil­der, Men­schen die mir zeig­ten, was man mit Bil­dung an­fan­gen konn­te. Leu­te wie Ho­imar von Dit­furth, den ich zu­erst im Fern­se­hen und dann in sei­nen Bü­chern ken­nen lern­te, und der in mir eine flam­men­de Neu­gier auf die Welt weck­te. So ab­surd es klin­gen mag, aber das ver­pön­te Fern­se­hen weck­te in mir in­tel­lek­tu­el­le und wis­sen­schaft­li­che Neu­gier und spä­ter Neu­gier auf Bü­cher, im­mer mehr Bü­cher.

So wie das Fern­se­hen, dient auch das In­ter­net zum gro­ßen Teil der Zer­streu­ung und hat un­ter vie­len In­tel­lek­tu­el­len, wie das Fern­se­hen, den Ruf Men­schen zu ver­blö­den. Aber es hat auch das Po­ten­zi­al Neu­gier zu we­cken. Die Mög­lich­kei­ten auch völ­lig un­wahr­schein­li­che In­ter­es­sen und Lei­den­schaf­ten zu ent­wi­ckeln, Wis­sen zu er­wer­ben oder zu ver­tie­fen, sind dank des Net­zes um ein viel­fa­ches ge­wach­sen — und vor al­lem: um ein Viel­fa­ches ein­fa­cher zu­gäng­lich als je zu­vor.

Al­lein da­für, dass mir das Netz er­laubt, et­was über die Her­stel­lung glän­zen­der Lehm­ku­geln oder wei­chem Rühr­ei zu er­fah­ren, dass ich se­hen kann wie man ef­fek­tiv Zwie­beln schnei­det oder wie man ei­nen funk­tio­nie­ren­den Sech­zy­lin­der­mo­tor her­stellt, bin ich dem Netz un­end­lich dank­bar. Noch dank­ba­rer soll­te man Men­schen sein, die sich die Mühe ma­chen kom­pli­zier­te Din­ge ein­fach zu er­klä­ren, de­tail­liert aus ih­rem Be­rufs­le­ben be­rich­ten, egal ob auf Face­book, in Blogs oder auf You­tube. Ge­ra­de im Soft­ware­be­reich er­le­be ich im­mer wie­der un­glaub­lich hilf­rei­che Men­schen, die nicht nur quell­of­fe­ne Soft­ware schrei­ben, son­dern auch bis zur Be­las­tungs­gren­ze wil­lens sind, ihr Wis­sen zu tei­len und zu er­klä­ren und zu do­ku­men­tie­ren.

Dank des In­ter­nets sind die obe­ren Schich­ten des Berg­baus schon ganz gut be­leuch­tet, der Weg in die Tie­fe ist zwar im­mer noch müh­sam — aber ich glau­be, es war nie ein­fa­cher zu ler­nen und sich von der Lust am Ler­nen, am Wis­sen an­ste­cken zu las­sen. Ich be­dau­re es nur we­nig, dass die­se groß­ar­ti­ge Reiz­über­flu­tung nicht schon zu mei­ner Ju­gend­zeit auf mich ein­pras­sel­te, denn sie pras­selt jetzt ja auf mich ein. Nie in mei­nem Le­ben habe ich so viel ge­lernt, wie in den letz­ten 20 jah­ren im Netz; mir ha­ben die mo­der­nen, ver­net­zen Me­di­en nicht nur 15 Mi­nu­ten Ruhm ge­bracht, son­dern auch 20 Jah­re lei­den­schaft­li­ches, ste­ti­ges (dazu-)ler­nen.

Um die­se Reiz- und Wis­sens­viel­falt am Le­ben zu er­hal­ten, soll­ten wir uns nicht nur auf kom­mer­zi­el­le An­bie­ter ver­las­sen, son­dern, pflicht­be­wusst und ste­tig, un­ser Wis­sen tei­len, do­ku­men­tie­ren, auf­schrei­ben, ver­fil­men, vor­tra­gen. Und, min­des­tens ge­nau­so wich­tig: die vor­han­den Per­len sor­tie­ren, auf­be­rei­ten, zu­gäng­lich ma­chen und an­de­re mit Wis­sens­durst an­ste­cken.

Des­halb: Fra­ge nicht, was das Netz für dich tun kann, fra­ge was du für das Netz tun kannst.

(die ko­lum­ne ist zu­erst auf t3n.de er­schie­nen.)