mei­ne t3n ko­lum­ne, heft 45

felix schwenzel in notiert

nach­dem mein ers­ter ent­wurf für die ko­lum­ne ab­ge­lehnt wur­de (zu recht), ist letz­te wo­che die ak­zep­tier­te ko­lum­ne im heft und on­line er­schie­nen. die ko­lum­ne ist et­was we­ni­ger pro­vo­ka­tiv, aber mei­ne ab­nei­gung ge­gen wer­bung ist nach wie vor spür­bar.

ich habe ja ein ge­spal­te­nes ver­hält­nis zur wer­bung. ich weiss, dass sie wich­tig ist, aber um so mehr är­gert es mich, wenn sie schlecht, ner­vig, in­tru­siv oder ran­wan­zig ist. ich ma­che in be­schei­dem mas­se selbst wer­bung und fin­de vie­le wer­ber sym­pa­thisch. aber ich glau­be der ent­schei­den­de punkt ist, dass ich ver­su­che eine di­stan­zier­te hal­tung zu wer­bung ein­zu­neh­men — oder zu­min­dest nicht mit ihr zu fra­ter­na­li­sie­ren oder ge­nau­er: sie im­mer (auch) aus der di­stanz zu be­trach­ten und in­ne­re di­stanz zu wah­ren. ein biss­chen ist das wie mit der bild­zei­tung: eine freie pres­se ist wich­tig, des­halb muss man die bild er­tra­gen, aber frei pres­se be­deu­tet nicht, al­les was sie pro­du­ziert gut fin­den zu müs­sen und nach­zu­ma­chen. sich über die bild zu är­gern und sie mei­net­we­gen max­gol­dig zu ver­ach­ten ist wich­tig, aber wich­ti­ger ist den blick fürs po­si­ti­ve am jour­na­lis­mus nicht zu ver­lie­ren.


Als ich An­fang Mai den Phy­si­ker und Co­mic-Zeich­ner Rand­all Mun­roe auf der Re­pu­bli­ca spre­chen hör­te, ver­stand ich nicht al­les, war aber auf meh­re­ren Ebe­nen be­geis­tert. Der Vor­trag han­del­te, wie sei­ne Co­mics, aus­schliess­lich von Din­gen die Rand­all Mun­roe in­ter­es­sie­ren, meist geht es bei ihm um ma­the­ma­ti­sche oder wis­sen­schaft­li­che The­sen, manch­mal um pop­kul­tu­rel­le Ni­schen­the­men. Die Co­mics sind an­spruchs­voll und set­zen meist na­tur­wis­sen­schaft­li­ches oder ab­sei­ti­ges Hin­ter­grund­wis­sen vorraus. Mun­roe selbst er­klärt die Mo­ti­ve und Gags nie, aber es gibt ein von Fans be­trie­be­nes Wiki, dass sich die Er­klä­rung der ein­zel­nen Co­mics zur Auf­ga­be ge­setzt hat.

Rand­all Mun­roe igno­riert nicht nur den Wis­sens­stand sei­ne Pu­bli­kums und den Mas­sen­ge­schmack, er bricht auch sämt­li­che Kon­ven­tio­nen, an die sich Pu­bli­zie­ren­de an­geb­lich hal­ten soll­ten und for­mu­liert sie für sich ein­fach neu. Da­mals dach­te und schrieb ich, dass ich mir die­se Hal­tung, ra­di­kal nur das zu tun was ei­nen selbst in­ter­es­siert und mit Lei­den­schaft er­füllt, von mehr Blog­gern, Jour­na­lis­ten, You­tubern oder an­de­ren Pu­bli­zie­ren­den wün­schen wür­de. Nur mit die­ser Hal­tung ent­ste­hen un­ver­wech­sel­ba­re, un­op­ti­mier­te, ei­ge­ne Wer­ke, die viel­leicht nicht je­dem ge­fal­len, aber we­ni­gen dann um so mehr.

Das gross­ar­ti­ge am In­ter­net ist ja, dass sich in den viel­fäl­ti­gen Bla­sen, im Schaum des Net­zes, ge­wal­ti­ge Mi­cro­po­pu­la­ri­tä­ten ent­wi­ckeln kön­nen. Hun­der­tau­sen­de Nerds fol­gen und be­wun­dern Rand­all Mun­roe, Ga­mer gu­cken in un­fass­bar gros­ser Zahl Lets­play­ern beim Spie­len zu, es gibt Blog-, Tumb­lr- und Com­mu­ni­ty­bla­sen, In­sta­gram­hash­tags, Face­book­grup­pen, zu al­len mög­li­chen Ni­schen­the­men, mit teils er­staun­lich gros­sen Folg­schaf­ten. Die­se Bla­sen kris­tal­li­sie­ren sich oft um Ein­zel­per­so­nen oder Grup­pen, die ihre In­ter­es­sen mit ma­ni­scher Lei­den­schaft ver­fol­gen und, dank des Net­zes, leicht und gut zu­gäng­lich mit An­de­ren tei­len kön­nen.

Tra­gisch ist, dass Wer­bung und Mar­ke­ting im­mer frü­her in die­se Ni­schen drän­gen und je­den Trend, der sich ir­gend­wo ab­zu­zeich­nen be­ginnt, auf­ge­regt auf­grei­fen und ver­ein­nah­men zu ver­su­chen. Die Mar­ke­ting­fach­leu­te er­zäh­len uns dann, dass sie es sind, die durch In­fluen­cer-Mar­ke­ting, Ads, Pro­duct-Pla­ce­ment oder an­de­re „Mo­ne­ta­ri­sie­rungs“-Op­tio­nen, eine viel­fäl­ti­ge Kul­tur oder Qua­li­täts­jour­na­lis­mus erst mög­lich ma­chen. Tat­säch­lich saugt die­se Mo­ne­ta­ri­sie­rung aber ge­ra­de bei fri­schen Ni­schen­phä­no­me­nen Ori­gi­na­li­tät und Hal­tung auf de­sas­trö­se Wei­se ab. Wenn Gün­ther Jauch Wer­bung für die Na­tur­schutz­kam­pa­gne ei­nes Bier­her­stel­lers macht, fin­det ein Image­trans­fer statt, der der Bier­kam­pa­gne im bes­ten Fall ein biss­chen Glaub­wür­dig­keit ver­leiht, aber Jauch kaum Glaub­wür­dig­keit kos­tet. Der Pa­ra­sit, der Jauch ge­ra­de mal ein biss­chen kratzt, saugt jun­ge In­fluen­cer oft so ra­di­kal aus, dass man auf vie­len Ka­nä­len das Ge­fühl hat, dass der Pa­ra­sit den ur­sprüng­li­chen Wirt kom­plett er­setzt hat.

Was ge­gen sol­che Ver­ein­nah­mun­gen hilft, ist eine grund­sätz­lich kri­ti­sche Hal­tung ge­gen­über Wer­bung. Wer­bung mag krea­tiv sein, sie kann so­gar wit­zig und iro­nisch sein — aber sie ist nie­mals au­then­tisch, im Ge­gen­teil, sie saugt Au­then­ti­zi­tät und Glaub­wür­dig­keit aus ih­rem Wirt.

Ab­sur­der Wei­se könn­te Wer­bung von ei­ner grös­se­ren Di­stanz ih­rer Wir­te so­gar pro­fi­tie­ren. Ich glau­be fest dar­an, dass dif­fe­ren­zier­te Kri­tik an Pro­duk­ten oder Dienst­leis­tun­gen bes­se­re Wer­bung ist, als die klas­si­schen Hur­ra- und Shi­ny-Hap­py-Peo­p­le-Wer­be­bot­schaf­ten. Ama­zon-Pro­dukt­sei­ten zei­gen sehr er­folg­reich, wie das funk­tio­nie­ren kann und Ama­zon prä­sen­tiert auch un­ter ei­ge­nen Pro­duk­ten mit­un­ter tau­sen­de ne­ga­ti­ver Re­zen­sio­nen. Ich glau­be das kann auch in an­de­ren Be­rei­chen funk­tio­nie­ren, aber da­für ist vor al­lem eine gut ent­wi­ckel­te Di­stanz und grund­sätz­lich kri­ti­sche Hal­tung ge­gen­über al­len For­men von Wer­bung nö­tig.

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