Ge­mein­sam ist bes­ser als ein­sam (t3n 47)

felix schwenzel in artikel

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Es ist leicht, sich über Kon­zep­te wie Co­wor­king oder Co­li­ving lus­tig zu ma­chen – so woll­te ich das in die­ser Ko­lum­ne ei­gent­lich auch ma­chen. Co­wor­king oder Co­li­ving wir­ken wie fluf­fi­ge, un­schar­fe Mar­ke­ting­be­grif­fe für Ideen, die un­ge­fähr so alt wie die Mensch­heit sind. Was ist so neu an Wohn­ge­mein­schaf­ten oder Men­schen, die Wohn- und Le­bens­raum aus wirt­schaft­li­chen Grün­den tei­len, dass man sie um­be­nen­nen soll­te? Schon in der Stein­zeit zeig­te sich, dass Cohun­ting und Co­li­ving Vor­tei­le bie­ten. Men­schen ha­ben sich im­mer schon in Ge­mein­schaf­ten zum Le­ben, Ar­bei­ten oder Schutz ge­mein­sa­mer In­ter­es­sen zu­sam­men­ge­schlos­sen. Oft wa­ren die­se Ge­mein­schaf­ten aus der Not oder wirt­schaft­li­cher Not­wen­dig­keit ge­bo­ren, und man­che die­ser Zu­sam­men­schlüs­se wa­ren über Jahr­hun­der­te hin­weg sehr er­folg­reich.

So be­kannt ei­nem das Kon­zept auch vor­kom­men mag – ist es nicht sen­sa­tio­nell, dass es plötz­lich mög­lich ist, sich spon­tan und für über­schau­ba­re Kos­ten ein­fach ein voll aus­ge­stat­te­tes Büro in je­der grö­ße­ren Stadt zu mie­ten? Oder ei­nen Kon­fe­renz­raum? Dass man sich ein­fach in ein Auto am Stra­ßen­rand set­zen und los­fah­ren kann?

Die Pri­vi­le­gi­en, die sich frü­her erst ge­nie­ßen lie­ßen, wenn man sich ei­ner Grup­pe an­schloss, las­sen sich jetzt auch von Ein­zel­nen nut­zen, ohne dass sie sich fest bin­den müs­sen. Der Fort­schritt er­laubt plötz­lich Ein­zel­gän­gern, bei­des zu ha­ben: die Vor­tei­le der Selbst­stän­dig­keit und gleich­zei­tig die von ge­schlos­se­nen Grup­pen.

Die Fort­schrit­te der letz­ten Jahr­zehn­te ha­ben vie­les noch vor kur­zem un­mög­lich schei­nen­de all­täg­lich ge­macht. Als Kind wünsch­te ich mir sehn­lichst, mein Kin­der­zim­mer­de­cken­licht vom Bett aus ein- und aus­schal­ten zu kön­nen. Um das zu er­rei­chen, muss­te ich mir da­mals noch ela­bo­rier­te Schnur- und Fa­den­kon­struk­tio­nen durch mein Kin­der­zim­mer span­nen, die nicht be­son­ders zu­ver­läs­sig funk­tio­nier­ten und nicht mal an­satz­wei­se all­tags­taug­lich wa­ren. Heu­te kann sich je­der eine Hue-Lam­pe kau­fen oder im Bett lie­gend „Ale­xa mach das Licht aus“ sa­gen. Ge­nau be­trach­tet sind heu­te un­ge­fähr 90 Pro­zent mei­ner Kind­heits­all­macht­phan­ta­sien, die da­mals vor al­lem von Phan­to­mi­as-Co­mic­ge­schich­ten und spä­ter von Ja­mes-Bond-Fil­men an­ge­heizt wur­den, für fast je­den er­schwing­lich und um­setz­bar. Tech­no­lo­gien, die frü­her nur Su­per­hel­den oder Su­per­schur­ken zur Ver­fü­gung stan­den, ste­hen jetzt je­dem of­fen.

Dank der iOS Freun­de-App weiß ich je­der­zeit, wo sich je­des Fa­mi­li­en­mit­glied auf­hält, in Ma­ker­spaces habe ich (nach ei­ner kur­zen Ein­füh­rung) frei­en Zu­gang zu 3D-Dru­ckern, CNC-Frä­sen oder La­ser­cut­tern, in frem­den Städ­ten kann ich mir zur An­kunft mit mei­nem Mo­bil­te­le­fon di­rek­ten Über­blick über freie Zim­mer in Ho­tels oder bei Pri­vat­leu­ten ver­schaf­fen.

Wa­ren es frü­her Be­zie­hun­gen, Zu­ge­hö­rig­keit oder Ver­mö­gen, die ei­nem Zu­gang zu Res­sour­cen ver­schaff­ten, lässt sich das meis­te heut­zu­ta­ge mit­tels Tech­no­lo­gie ver­mit­teln.

Mir fällt es schwer, Nach­tei­le die­ser Ent­wick­lun­gen zu er­ken­nen, ab­ge­se­hen vom ganz Of­fen­sicht­li­chen: Die meis­ten der Tech­no­lo­gien oder Platt­for­men, die mich be­geis­tern oder um die es in die­ser Ko­lum­ne bis­her ging, lö­sen „First World“-Pro­ble­me – die meist gar kei­ne wirk­li­chen Pro­ble­me sind, son­dern Un­be­quem­lich­kei­ten. Licht­fern­schal­tung, ein­fa­cher Zu­gang zu ei­nem Schreib­tisch, Dru­cker oder Ko­pie­rer, zu ei­ner CNC-Frä­se, mit der ich mir aus ei­ner Holz­plat­te ei­nen Smi­ley frä­sen könn­te – nichts da­von hilft auch nur ei­nes der gro­ßen Mensch­heits­pro­ble­me zu lö­sen. Co­wor­king hilft nicht bei der Ar­muts­be­kämp­fung, al­lein wird den Kli­ma­wan­del nicht auf­hal­ten, Ma­ker­spaces sta­bi­li­sie­ren nicht die De­mo­kra­tie.

Trotz­dem, auch wenn vie­le der­zeit aus dem Bo­den sprie­ßen­den Orte und Platt­for­men le­dig­lich Ge­mein­schaft si­mu­lie­ren, ver­bin­den sie eben doch auch Men­schen.

Auch die­se lo­sen Ge­mein­schaf­ten, die uns hel­fen sol­len, ef­fek­ti­ver zu ko­ope­rie­ren und zu­sam­men­zu­ar­bei­ten, Res­sour­cen bes­ser zu ver­mit­teln und zu tei­len, sind ech­te Ge­mein­schaf­ten. Auch wenn sie sich nicht selbst­or­ga­ni­siert sind, son­dern meist von Drit­ten, se­mi­au­to­ma­tisch, di­gi­tal, teil­wei­se mit kom­mer­zi­el­len Mo­ti­ven or­ga­ni­siert wer­den, füh­ren sie Men­schen zu­sam­men. Und ob­wohl sie ko­mi­sche, an­gel­säch­si­sche Mar­ke­ting­na­men tra­gen und nicht alle Pro­ble­me der Welt lö­sen, schaf­fen sie es doch Stück für Stück, uns wie­der an mehr Ge­mein­schafts­sinn her­an­zu­füh­ren und ei­nen gu­ten, al­ten Ge­dan­ken wie­der auf­zu­wär­men: Ge­mein­sam, ko­ope­ra­tiv und tei­lend sind wir weit stär­ker als al­lein.

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