na­net­te

felix schwenzel in gesehen

auf net­flix läuft der­zeit ein co­me­dy spe­cial von han­nah gadsby mit dem nichts­sa­gen­den ti­tel na­net­te. of­fen­bar schlägt der auf­tritt ei­ni­ges an wel­len, aber da­von wuss­te ich nichts, als ich mir das vor ein paar wo­chen an­sah. es hau­te mich auch so um.

ich bil­de mir ein ei­ni­ges über ko­mik zu wis­sen. nicht nur weil seit fast 40 jah­ren ver­su­che wit­zig zu sein, son­dern vor al­lem weil ich vor 20 jah­ren fun­ny bo­nes ge­se­hen habe. die es­senz des films war für mich da­mals: ko­mik wird aus tra­gö­die und schmerz ge­bo­ren. die­se er­kennt­nis habe ich in den letz­ten 20 jah­ren aber eher wie ei­nen ka­len­der­spruch vor mir her­ge­tra­gen und nie­mals die na­he­lie­gen­de fra­ge ge­stellt: wel­che tra­gik, wel­cher schmerz ist der grund für mei­ne wit­zel­sucht?

viel­leicht bin ich der fra­ge auch aus­ge­wi­chen, weil ich hin und her schwin­ge in mei­nen an­sich­ten über ko­mik. meis­tens war ich wohl der ganz prag­ma­ti­schen an­sicht, dass ko­mik das le­ben ein­fach er­träg­li­cher macht (zu­min­dest für mich selbst, für an­de­re in mei­nem um­feld wohl eher nicht). dann neig­te ich auch im­mer wie­der der jer­ry-sein­feld-an­sicht zu, aus was ko­mik ge­bo­ren wird: aus har­ter ar­beit, schweiss und ta­lent. (über seins­feld an­sich­ten über ko­mik lässt sich ei­ni­ges durch die lek­tü­re von co­me­di­ans in cars get­ting cof­fee ler­nen. wo­bei auch jer­ry sein­feld der an­sicht ist, dass neu­ro­sen, be­nach­tei­li­gung oder tra­gik der ko­mik dien­lich sein kön­nen.)

was mich an na­net­te tat­säch­lich um­ge­wor­fen hat, war die hu­mor-theo­rie die han­nah gadsby vor­trug. das hört sich un­spek­ta­ku­lär an, war aber auf vie­len eben meis­ter­haft. denn sie zeig­te und trug nicht ein­fach vor wie hu­mor und ko­mik funk­tio­niert, son­dern ar­bei­te­te das müh­sam mit den mit­teln der ko­mik und der an­ti­ko­mik, mit selbst­of­fen­ba­rung und kon­fron­ta­ti­on, mit er­leich­tern­den poin­ten und be­trof­fen ma­chen­den wut­an­fäl­len und ra­di­ka­ler ge­sell­schafts- und pu­bli­kums­kri­tik her­aus.

und be­trof­fen-ma­chend sage ich hier nicht mit iro­ni­schem un­ter­ton, son­dern mit ehr­li­cher und auf­rich­ti­ger er­schüt­te­rung (und be­wun­de­rung). denn han­nah gadsby hat es (glau­be ich) ge­schafft, dass ich mir die ent­schei­den­de fra­ge jetzt wie­der stel­le: wel­che tra­gik, wel­cher schmerz ist der grund für mei­ne wit­zel­sucht?

noch wäh­rend ich die show auf net­flix sah, no­tier­te ich mir fol­gen­des:

han­nah gadsby schafft es auf wun­der­sa­me wei­se auf net­flix nicht eine co­me­dy-show ab­zu­lie­fern, son­dern eine be­ein­dru­cken­de ge­schich­te von per­sön­li­chem wachs­tum, (selbst-) er­kennt­nis und vom fin­den.

ich habe sel­ten so gu­ten, tief­grün­di­gen und wahr­haf­ti­gen ex­plo­ra­tio­nen über ko­mik zu­ge­hört. han­nah gadsby ist sehr wit­zig, aber sie ha­dert mit co­me­dy. und sie er­klärt das nicht nur schlüs­sig und nach­voll­zieh­bar, son­dern fast the­ra­peu­tisch.

na­tür­lich be­schränkt sich han­nah gadsby nicht auf hu­mor-theo­rie, sie schwingt zwi­schen klas­si­scher, per­fekt re­cher­chier­ter und kon­stru­ier­ter co­me­dy und exis­ten­zi­ell erns­ten pas­sa­gen, selbst­zwei­feln und wut, ra­di­kal per­sön­li­chen pas­sa­gen und (leicht) di­stan­zier­ter selbst- und welt­be­trach­tung. sie stellt al­les in fra­ge, ih­ren gan­zen auf­tritt, ih­ren hu­mor, ihre kon­flikt- und kri­sen­be­wäl­ti­gungs­stra­te­gien — und das macht das gan­ze dann (auch) the­ra­peu­tisch. mit ih­rer ra­di­ka­len, manch­mal fast un­an­ge­neh­men auf­rich­tig­keit be­rührt, be­trifft und be­wegt sie ei­nen. ihr hu­mor und fu­ror be­freit nicht, lässt ei­nen nicht schwe­ben und die welt ver­ges­sen, so wie es gute co­me­dy üb­li­cher­wei­se tut. ihre co­me­dy holt die welt ans licht wie sie ist, mit all ih­rer grob­heit, un­ge­rech­tig­keit und ge­mein­heit, sie zerrt die welt auf die büh­ne, die wir, ich, im all­tag lie­ber ver­drän­gen oder schön­re­den und weg­wit­zeln.

sein­feld und sei­ne gäs­te in co­me­di­ans in cars get­ting cof­fee sind sich fast im­mer ei­nig was co­me­dy, was ko­mik im ef­fekt sein soll: sie soll all­tags­sor­gen ver­ges­sen ma­chen, die zu­schau­er er­leich­tern. jim carrey sagt das gleich in der ers­ten fol­ge: „peo­p­le come here to feel good about them­sel­ves.“

han­nah gadsby tut dem pu­bli­kum die­sen ge­fal­len nicht, sie bie­tet et­was bes­se­res als selbst­ver­ges­sen­heit oder all­tags­le­vi­ta­ti­on: selbst­kon­fron­ta­ti­on und er­schüt­te­rung von welt- und selbst­bil­dern.

han­nah gadsby ist nicht nur wit­zig, sie ist be­ein­dru­ckend und be­rüh­rend. sie tran­szen­diert wit­zig­keit. und trotz­dem ist ihr auf­tritt, bei al­ler schwe­re und ra­di­ka­li­tät auch zu­gäng­lich und im bes­ten sin­ne auf­wüh­lend, weil er eben vor al­lem zu­tiefst mensch­lich, hu­ma­nis­tisch, nach­voll­zieh­bar ist. sie er­zählt wie sie mit sich selbst ringt, mit ih­ren be­wä­ti­gungs­stra­te­gien, den fra­gen was rich­tig ist und was nicht, sie zeigt wie man ge­nau­er hin­se­hen kann (und muss). sie zeigt wie müh­se­lig es ist raus­zu­ar­bei­ten, was von dene ei­ge­nen über­zeu­gun­gen wahr­haf­tig ist und gut für ei­nen selbst und un­ter­hält da­mit nicht wie ein co­me­di­an, son­dern wie eine ro­man­ciè­re.

und ge­ra­de weil sie ihre ent­wick­lungs­ge­schich­te mit solch ra­di­ka­ler kon­se­quenz er­zählt, bleibt bleibt nach ih­rem auf­tritt vor al­lem eins hän­gen: dass man sich selbst und wie man die welt sieht, sei­ne an­sich­ten was rich­tig und falsch ist, in fra­ge stelt und über­denkt. bes­ser kann co­me­dy kaum sein.


Na­net­te by @Han­nah­gadsby is stun­ning. It made me feel hap­py, an­gry, sad and, ul­ti­m­ate­ly, con­nec­ted. What a gift.

Ku­mail Nan­jia­ni (@ku­mailn05.07.2018 19:44