kleinschreibung FAQ

felix schwenzel in über wirres

ma lik:

Du, Felix, wieso schreibst Du alles klein und so komma-arm? Macht mir das rezipieren schwer.

ix:

oh, sorry. hätte ich gewusst dass du kommst und das liest, hätte ich natürlich grösser und mit mehr kommata geschrieben.

ma lik:

Die Frage war ernst gemeint :)

ix:

auch wenn die frage ernst gemeint ist, kann ich sie nicht beantworten. ausser mit: ich finde nicht dass konsequente kleinschreibung die rezeption erschwert und dass ich ausreichend viele kommata setze.

ma lik:

Als Kommunikationsdesigner könnte ich auf ergonomische Untersuchungen hinweisen, aber darum geht es mir gar nicht. Ich finde es schwieriger und dabei interessiert mich doch, was du zu sagen hast. Aus irgend einem Grund suchst du dir das aber aus, und der hätte mich interessiert.

ix:

ich habe die frage unzählige male beantwortet. auf gewisse weise ist das auch anstrengend. ich such dir nachher mal ein paar antworten raus. bis dahin eine vorab: seit ich otl aicher gelesen habe, finde ich kleinschreibung nicht nur schön, sondern auch angenehmer zu lesen. das was die grimms über kleinschreibung gesagt haben kennst du sicher auch?


hier jetzt also mal eine zu­sam­men­fas­sung der dik­sus­sio­nen der letz­ten jah­re zu die­sem the­ma, bzw. was ich so dar­über den­ke oder die ant­wor­ten auf das war­um.

praktische gründe

in mei­nem (ziem­lich alt ge­wor­de­nen) FAQ habe ich auf die fra­ge war­um ich al­les klein­schrei­be ge­ant­wor­tet: „weil es ein­fach ist und ich es schon im­mer ge­macht habe.“

tat­säch­lich er­leich­tert es mei­nen schreib­fluss al­les klein zu schrei­ben. ich kann so schnel­ler und rot­zi­ger schrei­ben. mein hin­rot­zen von tex­ten ge­fällt nicht je­dem, aber man­che se­hen ge­ra­de das als mei­ne stär­ke. wenn man mir geld gibt für mei­ne schrei­be­rei, schrei­be ich auch ger­ne gross, wenn das ge­wünscht ist.

grimm und aicher

an an­de­ren stel­len habe ich als er­klä­rung für mei­ne kon­se­quen­te (oder „pe­ne­tran­te“) klein­schrei­bung auf mei­ne ers­ten be­geg­nun­gen mit otl-ai­cher-bü­chern hin­ge­wie­sen. hier oder bei fuenf­bue­cher.de:

abgesehen davon hat mich aichers kleinschreibung angesteckt. es gibt einige gründe, warum ich (relativ) konsequent kleinschreibe, der wichtigste war, dass ich otl aichers konsequent kleingeschriebenes, in rotis gesetztes buch, wunder, wunderschön fand.

ma­thi­as well­ner über otl ai­chers po­si­ti­on zur kon­se­quen­ten klein­schrei­bung:

eine radi­kale posi­tion besetzt otl aicher, der sich gegen groß­buch­sta­ben gene­rell wehrt. seine begrün­dung ist, dass diese rein reprä­sen­ta­ti­ven cha­rak­ter haben, wäh­rend sich die klein­schrift als gebrauchs­schrift ent­wi­ckelt hatte, deren zweck die mit­tei­lung selbst war und nicht die form. außer­dem kri­ti­siert er das mit der groß­schrei­bung ein­her­ge­hende welt­bild, wel­ches für ihn cha­rak­te­ri­siert wird durch den sieg des adels über die städte.

wi­ki­pe­dia über jo­cob grimms po­si­ti­on zur gross­schrei­bung:

Jacob Grimm äußerte sich bereits 1854 als Gegner der Großschreibung: „den gleichverwerflichen misbrauch groszer buchstaben für das substantivum, der unserer pedantischen unart gipfel heiszen kann, habe ich [...] abgeschüttelt.”

lesefluss

oft habe ich be­haup­tet (hier zum bei­spiel oder hier), dass ich nicht glau­be, dass kon­se­quen­te klein­schrei­bung die re­zep­ti­on er­schwert. wenn man der wi­ki­pe­dia glau­ben möch­te, lässt sich dass lei­der schwer hal­ten:

Im Versuch wurden den Testpersonen Texte in ihrer Muttersprache sowohl in der üblichen Kleinschreibung als auch mit Großschreibung nach deutschem Muster vorgesetzt.

„Die Untersuchungen brachten überraschende Ergebnisse: Auch für die niederländischen Versuchspersonen stellten die Regeln der deutschen Großschreibung eine Hilfestellung dar, die den Leseprozess beschleunigten. Sie konnten Texte in ihrer eigenen Muttersprache mit den fremden satzinternen Großbuchstaben ohne Verständnisprobleme schneller lesen als solche mit der ihnen vertrauten gemäßigten Kleinschreibung. Detailanalysen der Augenbewegungsmuster ließen den Schluss zu, dass in der Tat der Orientierungscharakter der Großbuchstaben dafür verantwortlich war.“

– Köbes: Kölner Beiträge zur Sprachdidaktik (1/2005).

wel­che be­haup­tung sich al­ler­dings hal­ten lässt: ich per­sön­lich lese sehr ger­ne in klein­schrei­bung und fin­de das weg­las­sen von gross­buch­sta­ben nicht hin­der­lich beim le­se­fluss. was mich beim le­sen stört sind holp­ri­ge for­mu­lie­run­gen, prah­le­ri­sche wort­wahl, plu­ra­lis ma­je­s­ta­tis, zu lan­ge ab­sät­ze und zu ge­rin­ger zei­len­ab­stand. franz jo­sef wag­ner fin­de ich zum bei­spiel un­les­bar, ob­wohl er auch gross­buch­sta­ben ver­wen­det.

ka­dek­me­di­en hat das hier über die op­ti­ma­le les­bar­keit von text auf­ge­schrie­ben:

Um die optimale Lesbarkeit eines Textes zu gewährleisten, beachtet der Layouter vor allem folgende fünf Kriterien: Schriftgrad, Laufweite, Zeilenabstand, Zeilenlänge und Kontrast.

ich fin­de bei die­sen 5 kri­te­ri­en gebe ich mir gros­se mühe.

stil, markenzeichen

als ich vor vier jah­ren mal test­wei­se auf gross und klein­schrei­bung um­ge­stellt habe, gab es in den kom­men­ta­ren mehr­heit­lich wort­me­dun­gen die zur rück­kehr zur ge­wohn­ten klein­schrei­bung auf­rie­fen. kurz da­nach schrieb ich wie­der al­les klein.

tat­säch­lich er­war­ten vie­le le­ser hier die klein­schrei­bung, oder ge­nau­er: vie­le fin­den dass es sich nicht rich­tig an­fühlt wenn ich „nor­mal“ schrei­be. das kann man als auf­ge­setzt und ar­ro­gant enmp­fin­den, aber ich fin­de es passt zu mei­nem schreib­stil. ich fin­de form und in­halt pas­sen so gut zu­sam­men.

vorschriften, regeln

die taz schrieb an­läss­lich der recht­schreib­re­form vor ein paar jah­ren eine gan­ze aus­ga­be in (ge­mäs­sig­ter) klein­schrei­bung. die­ser satz ge­fiel mir da­mals sehr:

Die kleinschreibung in der heutigen ausgabe ist selbstverständlich nicht kategorisch vorgeschrieben, der anspruch jedes menschen auf seine eigene rechtschreibung bleibt unangetastet.

der anspruch jedes menschen auf seine eigene rechtschreibung. sehr gut. nehme ich hiermit in anspruch.

ich reis­se mich nicht um le­ser, die auf or­dent­li­cher or­to­gra­phie be­stehen. sol­che leu­te nei­gen oft zu wut und ag­gres­si­on oder un­an­geh­mer pe­dan­te­rie. ich bin in der kom­for­ta­blen lage nicht auf ein gros­ses pu­bli­kum an­ge­wie­sen zu sein, um mein tun hier zu fi­nan­zie­ren. was ich hier schrei­be und tue muss nicht je­dem ge­fal­len. mit mei­nem stil und mei­nenr schreib­wei­se kann ich (auch) le­ser ge­zielt fil­tern.

nicht für alle

auch wenn ich nicht für je­den schrei­be, so freue ich mich doch über je­den le­ser der sich die mühe macht mei­ne sei­te oder mei­ne feeds (aus­strö­mun­gen) auf­zu­fin­den und sich mit mei­nen tex­ten oder witz­chen aus­ein­an­der­zu­set­zen.

das hier schrieb ich vor 10 jah­ren:

deshalb möchte ich mich heute bei allen bedanken, die sich trotz meiner rechtschreibschwäche, meiner konsequenten kleinschreibung, der völlig unleserlichen schrift, meinem hang zum brutalen, fäkalen und schlechten witz, meiner ignoranz, meiner dilletierenden inkompetenz, meiner arroganz und überheblichkeit zahlreich und regelmässig hier blicken lassen. durch die vielzahl von lesern und guten seelen die auf mich linken oder mich in ihrer blogroll aufbewahren, habe ich ein wahrnehmungsniveau erreicht das mich stolz erröten lässt. tausend leser pro tag und kein bisschen rechtschreibung

arschlochfilter

das hier schrieb ich vor 4 jah­ren:

Dann wiederum, habe ich nie das Bedürfnis verspürt, das zu machen was andere von mir erwarten, im Gegenteil, ich schreibe hier genau das was mich interessiert — was ja auch der Reiz an diesem Blogdings ist. Etwas zu polemisch vielleicht, habe ich die Kleinschreibung auch hin und wieder als hocheffektiven „Arschlochfilter“ wahrgenommen. Mit anderen Worten, hier lesen (vermutlich) vor allem Leute mit, die das was ich schreibe interessiert und nicht wie gross oder klein ich es schreibe.

witz

ei­nen witz zur gross­schrei­bung hab ich vor 10 jah­ren auch mal ge­macht:

„ICH KANN DAS AL­LES NICHT LE­SEN.“ — „WIE­SO? IST DOCH AL­LES GROSS GE­SCHRIE­BEN …“

(ur­sprüng­lich ver­öf­fent­licht am 17.12.2004 09:12)