Nicht der Weg ist das Ziel, son­dern die Auf­bruchs­freu­de

felix schwenzel in artikel

Als ich noch re­la­tiv jung war, war ich der fes­ten Über­zeu­gung, dass Alt­sein das Schreck­lichs­te auf der Welt sei. Alte Men­schen schnauz­ten ei­nen im Bus an, wenn man auf den fal­schen Plät­zen saß, vie­le mei­ner Ver­wand­ten, die ich im­mer als sehr alt emp­fand, kri­ti­sier­ten mei­ne Fri­sur, die an­geb­lich zu en­gen Ho­sen, die ich trug oder wie ich be­stimm­te Sa­chen aus­drück­te oder tat („das sagt/tut man nicht!“).

Ich fand die meis­ten al­ten Men­schen in mei­nem Um­feld zwar nett, aber auch — auf eine Art — be­mitt­lei­dens­wert. Die alte Dame, zu der ich bei uns im Haus im­mer zum Fern­se­hen ging (wir hat­ten da­mals kei­nen ei­ge­nen Fern­se­her), war im­mer al­lei­ne, er­zähl­te stän­dig die glei­chen Sa­chen aus ih­rer Ju­gend und schau­te abends Mu­si­kan­ten­stadtl.

Mein Ein­druck vom Al­ter war: wer alt ist, ver­steht die zeit­ge­nös­si­sche Welt nicht mehr und ten­diert zur Un­freund­lich­keit und Bes­ser­wis­se­rei.

Dass ich im Üb­ri­gen auch nichts ver­stand und mein Welt­bild, wie die meis­ten (jun­gen) Men­schen, aus an­ek­do­ti­schem Wis­sen kon­stru­ier­te, merk­te ich ei­nes Abends vor dem (mitt­ler­wei­le ei­ge­nen) Fern­se­her. Dort wur­de ein sehr al­ter Mann por­trai­tiert. Der alte Mann, ich glau­be er war Phi­lo­soph, sag­te vie­le sehr klu­ge Sa­chen, war auf­ge­weckt und schnell, ganz an­ders als die al­ten Men­schen, die ich bis­her kann­te. Zum ers­ten Mal sah ich ei­nen al­ten Men­schen, der im Al­ter of­fen­bar klü­ger und nicht doo­fer ge­wor­den war und ver­lor auf ei­nen Schlag mei­ne ge­ne­ri­sche Angst vor dem Alt­wer­den. Ich ver­stand, dass der Cha­rak­ter und die Fä­hig­kei­ten ei­nes Men­schen nicht pri­mär mit dem Al­ter zu­sam­men­hän­gen.

Bis heu­te glau­be ich, dass ein na­tür­li­ches Ver­hält­nis zu Tech­no­lo­gie, In­no­va­ti­ons­fä­hig­keit oder bren­nen­de Neu­gier kei­ne Fra­ge des Al­ters sind, son­dern der Hal­tung. Oder an­ders ge­sagt: Neu­gier­de und Ri­si­ko­freu­de kom­men bei neu­gie­ri­gen und ri­si­ko­freu­di­gen Men­schen auch im hö­he­ren Al­ter vor. Ab­ge­se­hen da­von: Un­ter ekla­tan­tem Man­gel an Neu­gier, Un­ter­neh­mens­lust, Ri­si­ko­freu­de oder tech­ni­schem Ver­ständ­nis lei­den auch vie­le ju­gend­li­che Men­schen.

Zu­ge­ge­ben, jun­ge Men­schen ler­nen bes­ser und schnel­ler und las­sen sich nicht so sehr von Kon­ven­tio­nen auf­hal­ten — das aber vor al­lem, weil sie die Re­geln noch nicht ge­lernt ha­ben und oft über eine ge­wis­se grö­ßen­wahn­sin­ni­ge Ri­si­ko­be­reit­schaft ver­fü­gen.

Ge­sell­schaft­lich tun wir al­ler­dings al­les, um Men­schen, egal ob jung oder alt, ih­ren Grö­ßen­wahn und ihre Ri­si­ko­freun­de aus­zu­trei­ben. Ge­gen den Strom zu schwim­men, Ri­si­ken ein­zu­ge­hen, Din­ge an­ders zu ma­chen als bis­her, Feh­ler ma­chen, das ist über­all schwer, aber in Deutsch­land ganz be­son­ders; hier lie­ben wir den ge­mein­sa­men Nen­ner und die Ri­si­ko­ab­si­che­rung. Das Schul­sys­tem ist dar­auf aus­ge­rich­tet, der In­dus­trie und dem Mit­tel­stand gut aus­ge­bil­de­ten und an­ge­pass­ten Nach­wuchs zu lie­fern, der sich pro­blem­los in vor­han­de­ne Pro­zes­se in­te­grie­ren lässt. Er­folg mes­sen wir im­mer noch am liebs­ten an der Höhe der Ge­halts­ab­rech­nung und an der Si­cher­heit des Jobs.
Wür­den wir in un­se­rer Ge­sell­schaft das An­ders­ar­ti­ge, das Un­ge­wohn­te oder die Un­an­ge­passt­heit mehr schät­zen und för­dern, müss­ten wir nicht mehr all un­se­re Hoff­nun­gen dar­auf set­zen, dass die auf­be­geh­ren­de Ju­gend es wagt, die Kon­ven­tio­nen zu durch­bre­chen und Neu­es schafft.

Ab­ge­se­hen da­von ha­ben wir durch­aus die Fä­hig­keit, ge­le­gent­lich das An­ders­ar­ti­ge, Un­kon­ven­tio­nel­le oder vom Ge­wohn­ten Ab­wei­chen­de zu schät­zen: so­bald et­was so er­folg­reich ist, dass es im Main­stream an­ge­kom­men ist. Neu­es kann nach die­ser Her­den­lo­gik nur gut sein, wenn es alle in­ter­es­sant oder nütz­lich fin­den oder es alle Kur­ven des Gart­ner Hype-Zy­klus durch­lau­fen hat und in min­des­tens drei Ja­mes Bond-Fil­men pro­dukt­plat­ziert wor­den ist (sie­he auch → Jet­pack).

Wir schät­zen le­dig­lich das Ende des We­ges, ob­wohl wir ge­le­gent­lich auch den Weg selbst wert­schät­zen soll­ten, in­klu­si­ve der un­ver­meid­li­chen Miss­erfol­ge und Fehl­trit­te. Vor al­lem soll­ten wir uns auch hin und wie­der selbst auf die­sen Weg wa­gen. Statt­des­sen pro­ji­zie­ren wir den po­ten­zi­el­len Er­folg auf ein­zel­ne ju­gend­li­che Senk­recht­star­ter oder ver­göt­tern die, die am Ende des We­ges ste­hen.

Nicht der Weg ist das Ziel, son­dern die Auf­bruchs­freu­de.